Nachruf auf Christian RentschSeine Texte klangen wie Musik
Der langjährige Kulturredaktor des «Tages-Anzeigers» war der härteste Kritiker von allen. Zugleich konnte er herzlich sein und grosszügig. Nun ist Rentsch 79-jährig gestorben.

- Christian Rentsch war ein brillanter Kulturtheoretiker und überwand sein Stottern durch Sprachkunst im Journalismus.
- Als streitbarer Redaktor pflegte er Freundschaften mit namhaften Musikgrössen.
- Seine scharfe Kritik an Kulturpolitik und Musikszene polarisierte die Schweizer Medienlandschaft.
- Nach seiner Absetzung als Kulturressortleiter widmete er sich der Klimawandel-Forschung.
Wenn es stimmt, dass das Schreiben einem helfen kann, jemand anderes zu werden: Dann lässt sich dieser Wandel bei Christian Rentsch schon sprachlich nachvollziehen, dem langjährigen Redaktor, Kulturtheoretiker und Jazzkritiker beim «Tages-Anzeiger». Denn der Journalist, der mit einer funkelnden, stilistisch und intellektuell brillanten Sprache schrieb, ging als schwerer Stotterer durchs Leben.
Wie typisch für ihn, dass ihn das nie am Reden, Argumentieren und Kritisieren hinderte. Weder bei seinem Studium der Soziologie an der Uni Zürich und der Freien Universität Berlin. Noch bei seinen Interviews zum Beispiel mit Miles Davis, dem Chrigel, wie wir ihn alle nannten, freundschaftlich verbunden war.
Befreundet war er mit vielen Musikern und Intellektuellen, etwa der Schweizer Jazzpianistin Irène Schweizer oder dem Ostberliner Liedermacher Wolf Biermann. Dass die Freundschaft mit ihm zwischenzeitlich kaputtging, weil Rentsch Biermanns Bekenntnis zum ersten Golfkrieg indiskutabel fand, gehört ebenso zu diesem streitbaren Journalisten wie die spätere Wiederversöhnung.
Streitbar, herzlich und grosszügig
Jetzt muss ich Transparenz herstellen: Ich bin befangen bei diesem Text, weil Chrigel im Tagi zu meinem Mentor wurde. Er hat mich gelehrt, über das Schreiben nachzudenken und über Musik zu schreiben. Es war eine harte Schule. Als ich Mitte der Achtzigerjahre zum «Tages-Anzeiger» stiess, damals noch als freier Journalist, verfügten die Achtundsechziger auf der Redaktion über die intellektuelle Definitionsmacht. Ihre Ansprüche waren ebenso hoch wie ihre Bildung, ihre intellektuelle Durchdringung und ihre Streitlust, die vernichtende Züge annehmen konnte. Und Chrigel war der härteste Kritiker von allen. Zugleich konnte er herzlich sein und grosszügig und unterstützte mehrere Schweizer Jazzmusiker finanziell.
Da aber Toleranz nicht zu seinen Tugenden gehörte, machte er sich bei vielen unbeliebt: journalistischen Vorgesetzten, Kollegen und Konkurrenten; Musikern und Musikerinnen, deren Konzerte er verriss; Konzertveranstaltern, deren Eintrittspreise und Lautstärke er zu hoch fand; Zürcher Politikern und vor allem Kulturpolitikern, deren Kompetenz er bezweifelte und deren Konzepte er für nutzlos hielt.
Was niemand infrage stellte: das stilistische und intellektuelle Niveau, mit dem Christian Rentsch argumentierte. Etwa in seiner Polemik gegen das Jazzfestival von Montreux, bei dem Festivalgründer Claude Nobs die Verfilmung der Konzerte forcierte. Und Rentsch schrieb: «Die totale Verfügbarkeit aller Kunstwerke jederzeit und allenorts zum privaten Eigengebrauch birgt die Gefahr der völligen Auszehrung, des Verschleisses, schliesslich der Vernichtung von Kultur. Denn: Wo alles je Geschaffene gleichsam das ewige Leben hat und so auch seine Geschichtlichkeit verliert, wo alles Alte permanent gegenwärtig ist, da versteinert auch das Neue im Augenblick seiner Entstehung, da es sich nicht als das Lebendige, Jetzige gegen das Tote, Vergangene absetzen kann; es geht unmittelbar in die Sammlung ein.»
Sind das die Oberkrainer von Südafrika?, fragte er
Dann wieder brachte er uns alle zum Lachen. Als sich in Montreux Ladysmith Black Mambazo auf der Bühne zum Chor gruppierten, das schwarzafrikanische, unter der Apartheid entstandene, vom New Yorker Songschreiber Paul Simon für sein «Graceland»-Album rekrutierte Ensemble, hörte sich Chrigel den Chor eine Weile an und sagte dann: «Ich frage mich, ob das nicht die Oberkrainer von Südafrika sind.»
Nur einer wie er brachte es später fertig, sich das so komplexe Thema des Klimawandels anzueignen und zwei wissenschaftliche Bände zum Thema zu schreiben und einige Text darin zu redigieren – maximal lesbar, unterhaltend und dennoch genau.
Er zwang seine Kollegen, besser zu werden
Seine grösste Hoffnung als Redaktor erlebte Christian Rentsch, als Roger de Weck 1994 die Chefredaktion des «Tages-Anzeigers» übernahm und so etwas wie einen dritten Weg als publizistische Haltung formulierte. Seine grösste Demütigung erlitt Chrigel drei Jahre später, als ihn de Weck nach einem eskalierenden Konflikt als Ressortleiter der Kultur absetzte.
Zu sagen, er sei ein schwieriger Mensch gewesen, würde er als Kompliment empfunden haben. Manche hielten ihn für dogmatisch, belehrend und unbelehrbar. Und er konnte einen mit seinen brutalen Mails fertigmachen, wenn er etwas schlecht fand, auch das habe ich und haben viele mit ihm erlebt. So zwang er einen dazu, besser zu werden.
Am 12. April ist Christian Rentsch an den Spätfolgen einer Sepsis gestorben. Er wurde 79 Jahre alt.
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