Zürcher Spitäler in NotKanton rettet Kinderspital mit 100-Millionen-Spritze – Spital Wetzikon droht das Aus
Zwei Spitäler haben um Hilfe gerufen. Der Regierungsrat unterstützt nun das Kispi, nicht aber das Zürcher Oberländer Spital. Dieses gibt aber nicht auf und prüft ziemlich unkonventionelle Lösungen.
Zahlreiche Schweizer Spitäler stecken in grossen finanziellen Schwierigkeiten. Nachdem das Spital Uster kürzlich von den Trägergemeinden mit einer Finanzspritze von 33 Millionen Franken gerettet werden musste, trifft es nun zwei weitere Krankenhäuser im Kanton Zürich. Das Kinderspital Zürich und das Spital Wetzikon haben sich mit teuren Neubauten übernommen und den Kanton um Unterstützung gebeten.
Die private Trägerin des Kinderspitals, die Eleonorenstiftung, hat um ein Darlehen von 100 Millionen Franken und einen Betriebsbeitrag von 70 Millionen ersucht, die GZO (Gesundheitszentrum Zürcher Oberland) AG Spital Wetzikon um eine Garantie oder ein Darlehen in der Höhe von 180 Millionen.
Darlehen aufgestockt
Der Regierungsrat hat die Gesuche unterschiedlich beantwortet, wie er am Donnerstag verkündet hat.
Das Kinderspital erhält das gewünschte Darlehen, muss es aber verzinsen und innert 25 Jahren zurückzahlen. Es ist eine Aufstockung: Das Kispi hatte vom Kanton bereits zwei Darlehen in der Höhe von 150 Millionen bezogen. Insgesamt sind es nun also 250 Millionen.
Das Kispi, derzeit im Quartier Fluntern beheimatet und in notorischer Platznot, zieht noch dieses Jahr in den grosszügigen Neubau von Herzog & de Meuron in der Lengg im Quartier Weinegg. Die Baukosten stiegen stetig, sie liegen inzwischen bei 761 Millionen. Ursachen für die Mehrkosten von über 150 Millionen waren etwa Lieferengpässe oder die Teuerung.
Kispi schrammt an Pleite vorbei
Nun ist das Kispi klamm. Gemäss einem Revisorenbericht hat die Eleonorenstiftung ihr gesamtes Vermögen aufgebraucht. Und wegen der fehlenden Kreditwürdigkeit kann sie auf dem Markt kein zusätzliches Fremdkapital aufnehmen. Gleichzeitig muss bis 2028 eine 200-Millionen-Anleihe refinanziert werden.
Der Regierungsrat kommt zu einem alarmierenden Befund: Ohne Finanzspritze wäre «die Zahlungsfähigkeit ab Mitte 2024 nicht mehr gewährleistet» gewesen, schreibt er.
So hat die Regierung dem Kispi auch eine Subvention für das Jahr 2024 in der Höhe von maximal 35 Millionen zugesichert, was der Hälfte der ersuchten Summe entspricht. Damit können der Neubau fertiggestellt, der Umzug bewältigt und der Spitalbetrieb aufrechterhalten werden.
Über einen weiteren Betriebsbeitrag von höchstens 25 Millionen entscheidet der Regierungsrat später. Die Budgetmittel müssen noch vom Kantonsrat bewilligt werden.
Kinderspital ist systemrelevant
Die kurze Begründung für das Ja zur Geldspritze lautet: Das Kispi ist systemrelevant. Die längere: Es behandelt mit jährlich 8000 Kindern und Jugendlichen rund die Hälfte aller stationären Fälle im Kanton. Zudem werden 140’000 ambulante und 42’000 Notfallkonsultationen im Jahr durchgeführt.
Auf der Spitalliste ist das Kispi der einzige Anbieter hoch spezialisierter pädiatrischer und kinderchirurgischer Behandlungen. Zudem werden sowohl Kinderärztinnen und -ärzte ausgebildet als auch neue Therapien erforscht. «Diese Leistung kann kein anderes Spital übernehmen», sagte Jörg Gruber, stellvertretender Chef des Amts für Gesundheit, an der Medienorientierung. Das Kispi ist auch für andere Deutschschweizer Kantone versorgungsrelevant.
Georg Schäppi, CEO des Kinderspitals, nimmt die Finanzhilfe dankend an: «Ich bin froh, dass der Regierungsrat uns sein Vertrauen schenkt», sagt er auf Anfrage. Vertrauen – und Kontrolle. Der Kanton hat die finanzielle Hilfe an Auflagen geknüpft. So muss das Kispi bis September beweisen, dass es ab 2026 keine weiteren Kantonsbeiträge braucht.
«Wir werden liefern, das ist gar keine Frage», sagt Schäppi. Er ist zuversichtlich, dass das Spital schon bald wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Für ihn lösen sich viele der finanziellen Probleme mit dem Umzug in den Neubau: «Im Moment haben wir zwei Standorte, die funktionieren müssen, und das sind ungeheure Zusatzkosten.» Ausserdem verfüge der neue Standort über eine bessere Infrastruktur, und die Arbeitsprozesse würden optimiert werden können, was ebenfalls Kosten spare.
Spital Wetzikon geht leer aus
Weniger gut waren die Nachrichten für das Spital Wetzikon. Dieses ist eine AG mit zwölf Gemeinden aus dem Zürcher Oberland als Aktionären. Und es muss im Juni 2024 eine Anleihe von 170 Millionen ablösen. Das ist aber schon seit 2022 wegen des fehlenden Eigenkapitals infrage gestellt. Seither hat sich die Situation des Spitals, das von der Gesundheitsdirektion vor anderthalb Jahren noch einen Platz auf der Spitalliste erhielt, verschlechtert. Kürzlich sind sogar 25 Mitarbeitende entlassen worden.
Ein Investor war bereit zu helfen – unter der Bedingung, dass die Refinanzierung der auslaufenden Anleihe gesichert sei. Doch die Hürde war zu hoch, der Deal platzte.
Aus diesem Umstand resultierte vor zwei Monaten das 180-Millionen-Gesuch, das die Regierung nun abgelehnt hat. Das Spital Wetzikon ist «nicht unverzichtbar», lautet die Begründung.
Die Leistungen könnten auch andere Spitäler übernehmen: «Innerhalb von 25 Minuten haben 98 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner im betroffenen Gebiet mit dem privaten Verkehr ein anderes Spital erreicht», sagte Jörg Gruber. Die nächsten Spitäler sind jene in Uster und Männedorf.
Rickli: Listenplatz ist keine Garantie
Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) sagte, ein Platz auf der Spitalliste sei keine Staatsgarantie. Sie sieht nun die Eigentümerschaft des Spitals Wetzikon in der Pflicht, die finanzielle Stabilität sicherzustellen.
Für den Fall, dass die GZO keine alternative Finanzierungslösung finde und die Einstellung des Spitalbetriebs unausweichlich werden sollte, werde die Gesundheitsdirektion in Zusammenarbeit mit der GZO und den anderen Spitälern «Massnahmen treffen, um für die Bevölkerung im Zürcher Oberland weiterhin eine qualitativ hochstehende und bedarfsgerechte Spitalversorgung sicherzustellen».
Stadt will helfen
In einer Mitteilung bedauert der Wetziker Stadtrat den Entscheid des Regierungsrats und zeigt sich besorgt über die «ernste finanzielle Situation» des Regionalspitals.
Nun erwartet auch der Stadtrat vom GZO-Verwaltungsrat einen Finanzierungsplan für die Anleihe und einen tragfähigen Businessplan. Eine finanzielle Unterstützung des Spitals durch die Stadt könne sich der Stadtrat «grundsätzlich vorstellen».
«Brutale Botschaft»: Spital prüft Nachlassstundung
«Natürlich sind wir enttäuscht vom Regierungsratsentscheid», sagt Jörg Kündig, Verwaltungsratspräsident der GZO AG Spital Wetzikon. Brutal sei insbesondere die Botschaft, nicht unverzichtbar zu sein. Aufgeben will er aber nicht; man prüfe nun alle Optionen. Dazu zählt etwa die Möglichkeit der Nachlassstundung. Das würde bedeuten, dass das Spital bis zu 32 Monate Zahlungsaufschub bekommen könnte. «Damit würden wir Zeit gewinnen, um eine Lösung zu finden für die Refinanzierung der Anleihe», sagt Kündig.
Das führt zu einer weiteren Idee: Sale and lease back, heisst sie im Finanzjargon. Das Spital würde den Neubau und die anderen Gebäude verkaufen und zurückmieten. «Das wäre für einen grösseren Investorenkreis interessant», meint Kündig.
Springen Gemeinden ein?
Auch werde man im Gespräch mit den Trägergemeinden bleiben, welche gemäss Kündig klar hinter dem Spital stehen. Diese könnten zwar nicht allein und ohne längere Vorlaufzeit die 170-Millionen-Anleihe stemmen. Aber sie könnten bei der Betriebsfortführung helfen, wie er sagt. Auch eine Kapitalerhöhung wie in Uster ist denkbar, sagt Kündig, der auch Gossauer Gemeindepräsident und FDP-Kantonsrat ist.
Am Donnerstagabend verkündeten die zwölf Gemeinden in einer Medienmitteilung, sie hätten eine Taskforce gegründet, um «alle politisch möglichen Vorkehrungen zu treffen», damit die Gesundheits- und Notfallversorgung im Zürcher Oberland gewährleistet bleibe.
Wichtig ist Kündig, zu betonen, dass das Spital Wetzikon «weiterhin im vollen Umfang seiner Leistungsaufträge für die Bevölkerung da ist und die Mitarbeiterlöhne sichergestellt sind».
Verbandschef warnt und fordert höhere Tarife
Gemäss dem Präsidenten des Zürcher Spitalverbands (VZK), Christian Schär, ist klar, dass weitere Spitäler in Bedrängnis kommen werden, falls es keine Tariferhöhungen gibt.
«Wir können uns das auf stationäre Spitalbehandlungen ausgerichtete Gesundheitssystem nicht mehr leisten», sagt er auf Anfrage. «Wir müssen den Wechsel von stationär auf ambulant vorantreiben.» Dafür brauche es eine einheitliche Finanzierung der Behandlungen, gleich ob diese ambulant oder beim Spitalaufenthalt erfolgten.
Schär kritisiert die Politik, die seit 15 Jahren über diesen Systemwechsel – genannt Efas – diskutiere. «Der VZK versteht nicht, weshalb ein Gesetz so lange braucht.» Das Gleiche gelte für die Digitalisierung und das elektronische Patientendossier. Da hinke die Schweiz europaweit immer noch weit hinterher.
Viele Spitäler in Not
Die Zürcher Spitäler sind nicht allein mit finanziellen Problemen. So haben kürzlich die St. Galler Spitäler und das Berner Inselspital Verluste von 100 Millionen Franken oder mehr für das vergangene Jahr verkündet. Die Standortkantone müssen mit dreistelligen Millionenbeträgen einspringen. Der Kanton Aargau hat letztes Jahr 240 Millionen in sein Kantonsspital einschiessen müssen, um es zu retten.
Die Spitäler nehmen trotz Patientenschwemme zu wenig ein. Sie klagen, dass die Tarife viel zu tief seien, um kostendeckend zu arbeiten. Gleichzeitig sind in den letzten Jahren die Preise etwa für den Strom, die Lebensmittel oder fürs medizinische Material explodiert. Auch die Lohnkosten fürs Spitalpersonal stiegen seit der Pandemie stark. Einige – wie das Kinderspital Zürich – stemmen zudem millionenteure Investitionen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.