Schweizer Forschungserfolg E-Zigaretten helfen, mit dem Rauchen aufzuhören
Mit nikotinhaltigen Vapes gelingt der Tabakausstieg fast doppelt so gut wie ohne – allerdings hat dieser Ausstieg einen Nachteil.
Gute Vapes, schlechte Vapes – je nach Perspektive können E-Zigaretten schädlich oder hilfreich sein. Bei Kindern und Jugendlichen führen die E-Dampfer oft rasch in die Nikotinsucht und können auch ein Einstieg in den Zigarettenkonsum sein. Werbeverbote, schlechte Verfügbarkeit und hohe Preise wirken dem entgegen, wie Studien und Erfahrungen anderer Länder zeigen.
Kontrovers diskutieren Fachleute jedoch die andere Seite der nikotinhaltigen E-Dampfer: Können sie Raucherinnen und Rauchern dabei helfen, ihre Zigarettensucht zu beenden? Dafür liefert jetzt eine Schweizer Nationalfonds-Studie, die soeben im Fachblatt «New England Journal of Medicine» erschienen ist, handfeste Belege. Sie ist nicht die erste Untersuchung zum Thema, aber die weltweit grösste und industrieunabhängig. Insgesamt fünf Studienzentren in Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen und Zürich waren daran beteiligt.
Bessere Erfolgschancen
Ausstiegswillige Erwachsene waren dabei nach sechs Monaten über anderthalb- bis zweimal so erfolgreich beim Rauchstopp, wenn sie neben einer Beratung zusätzlich nikotinhaltige E-Zigaretten verwenden konnten. «Für Ausstiegswillige sind diese Produkte ein Weg, um die Erfolgschancen beim Rauchstopp zu erhöhen», sagt Studienleiter Reto Auer von der Universität Bern und Unisanté in Lausanne. Viele bleiben allerdings nach dieser Art Rauchstopp nikotinabhängig. Wie problematisch dies ist, ist unter Fachleuten umstritten. Auer betont aber: «Nikotinhaltige E-Dampfer sind im Vergleich zu Tabakzigaretten viel weniger gesundheitsschädigend.»
In der Studie erhielten die 1246 Teilnehmenden alle die gleiche Rauchstoppberatung mit therapeutischen Angeboten sowie Empfehlungen zu Medikamenten und Nikotinersatzprodukten wie Pflaster oder Kaugummi. Ein zufällig ausgewählter Teil durfte zusätzlich nikotinhaltige E-Zigaretten nach Wahl verwenden. Nach sechs Monaten zeigte sich, dass in der E-Zigaretten-Gruppe 60 Prozent in den letzten sieben Tagen nicht mehr herkömmliche Zigaretten geraucht hatten. In der Kontrollgruppe waren es 39 Prozent. Über die ganzen sechs Monate war der Rauchstopp-Erfolg etwas schlechter: 29 Prozent mit E-Zigaretten und 16 Prozent ohne.
Ein entscheidender Grund, wieso E-Dampfer besser funktionieren als Nikotinersatzprodukte, ist laut Auer, dass sie den gleichen Nikotinflash wie herkömmliche Zigaretten erzeugen. Bei Pflastern oder Kaugummis dauert es mindestens zehn Minuten, bis der Stoff seine Wirkung im Körper entfalten kann.
Kein Freipass für E-Zigaretten
Die Kehrseite: Zwei Drittel derjenigen, die mithilfe von Vapes zu rauchen aufgehört hatten, waren weiterhin nikotinabhängig. In der Kontrollgruppe war dies nur jede achte Person. Das bedeutet: Nikotinhaltige E-Zigaretten ermöglichen zwar mehr Menschen den Rauchstopp, sie führen aber auch dazu, dass ein Teil der Ausgestiegenen nikotinabhängig bleibt, obwohl diese auch einen kompletten Verzicht auf Nikotinprodukte geschafft hätten. «Diese Betroffenen könnten in einem zweiten Schritt auch aus der Nikotinsucht aussteigen», sagt Reto Auer, der am Berner Institut für Hausarztmedizin den Bereich Substanzkonsum leitet. «Wir werden die Entwicklung im Rahmen der Studie weiter verfolgen.»
Alexander Möller, Lungenspezialist und Abteilungsleiter Pneumologie am Universitätskinderspital Zürich, lobt die Studie zwar als qualitativ hochwertig, hat jedoch Vorbehalte: Die Teilnehmenden seien vergleichsweise jung, gebildet und keine sehr starken Raucher gewesen. «Das ist nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, die Resultate sollten deshalb zurückhaltend interpretiert werden», sagt der Mediziner. Und weil die Teilnehmenden die feste Absicht hatten, mit Rauchen aufzuhören, ist für ihn klar: «Die Studie darf nicht als Freipass für E-Zigaretten interpretiert werden.» Diese müssten gleich reguliert werden wie Tabakzigaretten. «Leicht zugängliche Vapes führen nicht dazu, dass weniger herkömmliche Zigaretten geraucht werden – auch wenn die Industrie dies zu suggerieren versucht.»
Für den Lungenspezialisten ist der Wechsel von der Zigaretten-Nikotinsucht zur E-Dampfer-Nikotinsucht nicht die Lösung. «Dafür ist der Zusatznutzen eher bescheiden», sagt er. «E-Zigaretten sind nicht harmlos, vor allem bei den Zusatz- und Aromastoffen sind noch viele Fragen ungeklärt.» Nikotin wiederum könne Blasenkrebs auslösen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. «Es kann sein, dass wir in 20 Jahren die gleichen Diskussionen haben wie heute bei Zigaretten», mahnt der Mediziner.
Der andere Grund, wieso Fachleute wie Möller gegenüber dem Ausstieg mit E-Zigaretten skeptisch sind: Bleibt die Nikotinsucht bestehen, könnte die Rückfallgefahr erhöht sein. «Das werden künftige Auswertungen der Studie zeigen», entgegnet Studienleiter Auer. Für ihn ist aber unbestritten, dass E-Dampfer weniger schädlich sind als herkömmliche Tabakzigaretten. Bei den Zigaretten seien vor allem die Verbrennungsprodukte gesundheitsschädlich, weniger das Nikotin, sagt er. «Und man weiss schon viel über die Aromen, und sie werden weiter untersucht.»
Nikotin ist im Gegensatz zum Tabak nicht tödlich
Auch für Auer sind E-Dampfer nicht die Lösung – aber eine Massnahme zur Schadensminderung für Raucherinnen und Raucher. Nikotin sei im Gegensatz zu Tabak nicht tödlich, löse aber ein Suchtverhalten aus. «Das ist eher eine Frage der Werthaltung als eine medizinische», sagt der Mediziner. «Es geht um die Einstellung zu Sucht und wie wir als Gesellschaft mit Nikotin umgehen.»
Darüber hinaus ist es ein wichtiges Ziel der Studie, zu ermitteln, wie sicher die E-Dampfer sind, wenn sie im Rahmen einer Rauchstoppberatung und über längere Zeit konsumiert werden. Im Beobachtungszeitraum von sechs Monaten wurden jedenfalls keine besorgniserregenden Nebenwirkungen beobachtet. Milde Folgen wie gereizte Atemwege waren bei den E-Dampfern häufiger, da das Nikotin aus den Liquids den Hals stärker reizt als bei herkömmlichen Zigaretten. Dafür hatten die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe mehr Husten oder Auswurf.
Die Resultate der Schweizer Studie passen zu denen früherer Studien. Die im Januar aktualisierte Analyse aller verfügbaren Daten durch das unabhängige Wissenschaftsnetzwerk Cochrane Collaboration kommt ebenfalls zum Schluss, dass der Rauchstopp mithilfe von E-Zigaretten erfolgreicher ist als klassische Nikotinersatztherapien oder Verhaltensunterstützung. Allerdings sind die konkreten Zahlen tiefer als bei der Schweizer Studie: Von 100 Personen waren nur zwischen vier und zehn während sechs Monaten erfolgreich beim Rauchstopp. Das dürfte aber damit zusammenhängen, dass die Rahmenbedingungen in den Studien jeweils sehr unterschiedlich sind. «Die Daten deuten heute klar darauf hin, dass E-Dampfer bei der Rauchstopp-Beratung unbedingt als mögliche Option einbezogen werden sollten», sagt Auer.
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