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Vor den Wahlen in Italien
Wie gefährlich ist Giorgia Meloni für die Wirtschaft?

Giorgia Meloni an einer Parteiveranstaltung in Rom. 
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Wenn die schneidige Parteichefin auf etwas ganz besonders stolz ist, dann ist das ihre Geradlinigkeit. «Io sono Giorgia», «Ich bin Giorgia», heisst der Titel ihrer Autobiografie. Dass sie sich ihre Ideen und ihre Identität von niemandem nehmen lassen will, erfährt man dort auf 336 Seiten. Als die Selbstbespiegelung im Mai 2021 erschien, hatte Giorgia Meloni gerade einmal wieder ihre Prinzipientreue vorgeführt.

Die postfaschistische Politikerin verweigerte Mario Draghi die Zustimmung zu einem epochalen Wiederaufbauplan, der Italiens Wirtschaft mit 191 Milliarden Euro EU-Geldern nach der Pandemie auf die Beine helfen soll.

Am 27. April 2021 hatte die neue römische Regierung das im Eiltempo ausgearbeitete Reform- und Investitionsprogramm den Abgeordneten zur Verabschiedung vorgelegt. Zwei Tage später wurde der Plan dann fristgerecht bei der EU-Kommission abgegeben. Giorgia Meloni ergreift das Wort in der entscheidenden Debatte: «Wenn wir für diesen Antrag stimmen würden, könnte man dann sagen, dass wir seriös sind? Ich glaube das nicht», sagt die Oppositionsführerin an Premier Draghi gewandt, der auf einem goldverzierten Lehnstuhl sitzt. Dort, wo die 45-jährige Meloni nach den Neuwahlen am 25. September selbst Platz nehmen will. Als erste Frau in Italien.

Der Gründerin der radikalen Rechtspartei Brüder Italiens missfällt das Hilfsangebot aus Brüssel. Dabei wurde Italien von den 800 Milliarden Euro der grösste Anteil, ein Viertel der Gesamtsumme, zugedacht. Meloni nutzte die Gelegenheit, ihrer antieuropäischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen: «Italiens Wachstumsschwäche ist nicht die Schuld der italienischen Unternehmen, sondern der schlecht geführten gemeinsamen Währung», sagt sie. Gemeint war: Der Euro schadet Italien.

Das ist noch keine sechzehn Monate her. Es war das fünfte Mal, das die Brüder Italiens in einer Abstimmung den europäischen Rettungskraftakt ablehnten. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass der grossen Wahlfavoritin aus der EU-Kommission und den meisten europäischen Hauptstädten tiefes Misstrauen entgegenschlägt. Denn gefährlicher als das faschistische Erbe ist Melonis europafeindliche Wirtschaftspolitik.

Ein Video als Beruhigungspille

Natürlich weiss die Nachlassverwalterin des Faschismus, dass sie sich im Jahr 2022 als pragmatische, zuverlässige Führungspersönlichkeit einer konservativen Rechten inszenieren muss, wenn sie dauerhaft die Regierung einer grossen westlichen Demokratie übernehmen will. Sie hat zudem erkannt: Ohne den Rückhalt Europas und der internationalen Finanzmärkte geht Italiens Wirtschaft in Windeseile in die Knie.

Kaum war Draghi im Juli zurückgetreten, feuerten Standard & Poor’s und Moody’s ihren Warnschuss ab: Die Ratingagenturen senkten den Ausblick für die Bonität Italiens. Und Meloni startete ihre Beruhigungsoffensive.

«Meloni gibt dem Faschismus den Laufpass wie Leute, die sich mit einer Whatsapp-Nachricht von ihrem Partner trennen», frotzelte das liberale Blatt «Il Foglio».

Mit einem Video in drei Sprachen – auf Englisch, Französisch und Spanisch – versuchte sie, den ausländischen Befürchtungen vor ihrem Wahlsieg entgegenzuwirken. «Die italienische Rechte hat den Faschismus der Geschichte überantwortet und die Unterdrückung der Demokratie sowie die schändlichen antijüdischen Gesetze verurteilt», erklärte sie. Damit war die Sache dann für sie erledigt. «Meloni gibt dem Faschismus den Laufpass wie Leute, die sich mit einer Whatsapp-Nachricht von ihrem Partner trennen», frotzelte das liberale Blatt «Il Foglio».

Festhalten wollte die Wahlkämpferin dann aber doch am Parteilogo der 2012 von ihr gegründeten Brüder Italiens: der grün-weiss-roten Flamme, die von 1946 an das Symbol der Neofaschisten in Italien war. Meloni sagt, sie sei «stolz» auf das Symbol.

Erinnerungen an Berlusconi

Man kann das wie der frühere Industrieminister Carlo Calenda problematisch finden. Calenda tritt bei den Parlamentswahlen mit einer Zentrumspartei gegen die Rechte an. Es bestehe nicht die Gefahr des Faschismus in Italien, sondern die Gefahr einer Isolierung Italiens, sagt der frühere Ferrari-Manager. «Für ein Land, das vom Export des ‹Made in Italy› und von den europäischen Finanzhilfen lebt, wäre das eine Tragödie.»

In den italienischen Unternehmen erinnert man sich noch an die Zeiten des skandalumwitterten Premiers Silvio Berlusconi, als es schwerfiel, das Image der Marke Italien auf den Weltmärkten hochzuhalten. Mit Draghi an der Regierung verkehrte sich die Situation: Nie hörte man italienische Exportmanager so begeistert über den Ruf ihres Landes im Ausland reden.

Silvio Berlusconi an einem Fussballspiel in Monza. 

Nun liegt vor Italien ein Winter der Zumutungen, Entbehrungen und sozialen Spannungen. Auf die neue Regierung warten 8 Prozent Inflation, die Energiekrise, der Krieg in der Ukraine und 150 Prozent Staatsverschuldung. Die Blitzaufsteigerin Meloni weiss das. Im Unterschied zu ihren beiden männlichen Bündnispartnern, dem Lega-Chef Matteo Salvini und Forza-Italia-Patriarch Berlusconi, denen die Wähler gegenwärtig in Scharen davonlaufen, zog sie Konsequenzen daraus: Die leidenschaftliche Rechte bemüht sich um Mässigung.

Das sieht dann so aus: Aufgekratzt wendet sich der 85-jährige Berlusconi an die Zuschauer seines Fernsehsenders Canale 5. Er verspricht eine Anhebung der Renten für alle, «auch für unsere Muttis», auf mindestens 1000 Euro. Der Rechtspopulist Salvini inspiriert sich am Hit der Popband Abba und schreit nach «Geld, Geld, Geld». Auf Pump will er einen einheitlichen Einkommenssteuersatz von 15 Prozent, eine Amnestie für Steuerhinterzieher und die Frührente für alle finanzieren. Von der Seitenlinie ermahnt Meloni die beiden, im Wahlkampf nicht mehr zu versprechen, als man auch halten kann. Sie wirkt dann wie die grosse Schwester, die ihre übermütigen Brüder im Zaum halten muss. Das Zeug zur Primadonna hat sie.

Lega-Chef Matteo Salvini in Genua. 

Meloni hat schnell gelernt. Noch vor drei Monaten auf dem Programmparteitag der Brüder Italiens in Mailand stellte sie selbst einen Massnahmenkatalog vor, dessen Umsetzung mindestens 80 Milliarden Euro kosten würde. Auch sie wollte die Steuern senken und die Mindestrenten anheben. Das Programm wurde nun eilig zur Ideensammlung abgestuft. «Selbst Nationalisten wissen, dass ein Land mit unserer Staatsverschuldung alles daransetzen muss, dass diese Schulden auf dem Markt zu immer niedrigeren Zinsen aufgenommen werden können», sagt Guido Crosetto, Partei-Mitgründer und Unternehmer. Ein Wahlprogramm haben die Brüder Italiens bis heute nicht vorgestellt.

Geschickt stilisiert sich Meloni als zukunftsorientierte Strategin, die in die Regierungsverantwortung drängt. Doch zwischen ihrem Anspruch und der Wirklichkeit klafft eine grosse Lücke.

Kassiert hat die Nationalistin bereits ihre Ablehnung des europäischen Wiederaufbauprogramms. «Niemand wird auf die Idee kommen, über fünf Jahre hinweg auf Investitionen in Höhe von 2 Prozent der Wirtschaftsleistung zu verzichten», versichert Crosetti. Von wegen Sabotage. Meloni nimmt sich vor, den von Draghi mit Brüssel vereinbarten Plan zu verbessern. «Wir werden in Verhandlungen mit der EU-Kommission treten, um den Vertrag entsprechend den gewandelten Bedingungen und Bedürfnissen zu überarbeiten», sagt sie.

Erfolgversprechend ist das Vorhaben nicht. Zwar hat der Ukraine-Krieg die Ausgangslage tatsächlich radikal verändert. «Eine Neugestaltung des Plans ist aber eine Schnapsidee», sagt der Europa-Experte Luciano Monti von der römischen Privathochschule LUISS. Das eng durchgetaktete 191-Milliarden-Euro-Programm auseinanderzunehmen, hiesse, den ganzen Prozess zu stoppen. «Für Italien ist es wichtig, nicht von diesem Zug abzuspringen», mahnt er.

Meloni muss tun, was sie bekämpft hat

In der Opposition stand Meloni siebzehn Monate lang als einzige Widersacherin Draghis im Rampenlicht. Sie hat die Regierung des früheren EZB-Chefs jeden Tag als Sklavin Europas und der internationalen Finanzwelt und als Feindin der Italiener angeprangert. Will sie nun Draghis Nachfolge antreten, muss sie an seiner Stelle jene Reformversprechen einhalten, gegen die sie bisher zu Felde gezogen ist.

Wie zum Beispiel die Wettbewerbsöffnungen abgeschotteter Märkte oder die Privatisierung der römischen Fluggesellschaft ITA. Auch ihr Faible für die Staatswirtschaft, eine gewisse Autarkie und den Schutz diverser Einzelinteressen stünde der Bewältigung der gigantischen Probleme im Weg.

Aber: Der Machtwille Melonis scheint keine Grenzen zu kennen. Wissend, dass den Brüdern Italiens eine ministrable Führungsklasse fehlt, hat sich die Postfaschistin auf die Suche nach parteilosen Experten gemacht. Der wichtigste Mann auf ihrer Kabinettswunschliste soll Fabio Panetta, Direktoriumsmitglied der EZB in Frankfurt, sein. Ausgerechnet.

Der international erfahrene Zentralbanker ist ein enger Weggefährte Draghis, den sie so unerbittlich bekämpft hat. Panetta würde sie gern das wichtigste Ressort in Italien anvertrauen: das Finanzministerium. Fünf Wochen vor der Wahl soll Melonis Botschaft offenbar lauten: Draghi geht, seine Politik bleibt.

Das wirft die Frage auf: Wer ist Giorgia?