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Italien vor den Wahlen
Noch lodert das Erbe des Duce

Das Design der Flamme und des Balkens hat sich gewandelt, der Sinn bleibt der alte: Giorgia Meloni vor einem Parteisymbol der «Brüder Italiens» im Juli in Rom. 
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Italien debattiert über eine Flamme in den drei Nationalfarben, und das ist kein Wunder. Vielleicht ist es auch der Beginn einer viel grösseren Diskussion über die letzten hundert Jahre in der Geschichte des Landes. Anlass ist ein administrativer Termin vor den Parlamentswahlen vom kommenden 25. September: Am vergangenen Wochenende mussten die Parteien ihre Logos im Innenministerium hinterlegen. 101 Symbole kamen zusammen, das Ministerium wird die offenkundig absurden nun aussortieren.

Im Angebot bleiben wird das Logo der postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni, sie führt die Umfragen an. Man sieht darauf den Namen der Chefin und jenen der Partei auf dunkelblauem Grund, darunter die viel diskutierte trikolore Flamme: grün-weiss-rot lodernd, auf einem schwarzen Strich. Vom Strich muss gleich noch die Rede sein.

«Hier ist es, unser schönes Symbol für die Wahlen, auf das wir so stolz sind.»

Giorgia Meloni

«Hier ist es», schrieb Meloni in den sozialen Medien, «unser schönes Symbol für die Wahlen, auf das wir so stolz sind.» Es schwang auch Trotz mit. In den Tagen vor dem Ablauf der Abgabefrist hatte es viele Appelle gegeben, sie möge die Flamme entfernen, nur so löse sie sich vom postfaschistischen Vermächtnis: Die Bekenntnisse aus jüngster Zeit allein reichten nicht aus.

Senatorin Liliana Segre, 91 Jahre alt und KZ-Überlebende, sagte es so: «Worte berühren mich nicht so sehr, ich habe in meinem langen Leben schon alles Mögliche gehört. Zu Giorgia Meloni sage ich: Beginnen Sie doch einmal damit, die Flamme aus ihrem Parteisymbol zu löschen.» Meloni antwortete: «Die Flamme hat mit dem Faschismus nichts zu tun.»

Brüder im Geist: Giorgio Almirante, Mitgründer und Chef des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano, und Jean-Marie Le Pen vom damaligen Front National bei einer Veranstaltung in Paris 1985. 

Tatsächlich? Das Flammenbanner ist das wichtigste Symbol der extremen Rechten im republikanischen Italien, das war es immer schon, seit 1946 also. Damals gründeten ehemalige Kaderleute der Faschistischen Partei von Benito Mussolini und von dessen Marionettenregime in Salò eine Partei. Sie war zunächst offen neofaschistisch, nostalgisch.

Für ihr Parteiemblem wählten sie die dreifarbige Flamme, die aus einem dicken schwarzen Balken züngelte, auf dem das Akronym der Bewegung stand: M.S.I. – Movimento Sociale Italiano. Ihr Chef: Giorgio Almirante, ein Halbadliger aus Molise und treuer Wegbegleiter des Duce bis zum Schluss. Wo die Flamme genau herkam, ist nicht ganz klar. Die Faschisten arbeiteten eher mit Liktorenbündeln und Adlern. Die Idee hatte offenbar Almirante selbst.

In der politischen Deutung stand die Flamme immer für den Geist Mussolinis, der aus seinem stilisierten Sarg, dem schwarzen Balken, strömte und seine Nostalgiker nährte. Die Interpretation war lange unwidersprochen, bis in die Neunzigerjahre, als Silvio Berlusconi die Postfaschisten salonfähig machte, um selbst an die Macht zu kommen.

Er ging vielen zu weit: Gianfranco Fini hat 1995 die Wende von Fiuggi angeführt – die Flamme wollte aber auch er nicht aufgeben.

Aus dem M.S.I. wurde die Alleanza Nazionale, und deren Chef Gianfranco Fini versuchte mit Macht, das alte Erbe abzulegen. Der Kongress von Fiuggi, abgehalten 1995, gilt als Wendepunkt. Fini reiste nach Israel, nannte den Faschismus «male assoluto», etwa: das absolut Böse. Die Flamme aber beliess er im Parteisymbol, samt dem alten Akronym: M.S.I. Nur der Balken war jetzt rot.

Es hiess, die Flamme würde sich eigentlich auf eine besonders mutige Sondereinheit von freiwilligen Kämpfern im Ersten Weltkrieg beziehen, die «Arditi». Die hatten eine schwarze Flamme als Symbol. Überzeugt war niemand. 2008 zwang Berlusconi dann Fini dazu, seine Partei in das grosse rechte Sammelbecken Popolo della Libertà einzubringen. Die Flamme verschwand – und Fini galt nun vielen als Verräter. Er war ihnen zu weit gegangen.

Ein paar Jahre später gründeten Meloni und einige Weggefährten die Fratelli d’Italia, sie wollten den Kurs wieder etwas korrigieren. Und sie erwarben sich aus der Konkursmasse der Alleanza Nazionale das Recht, die Flamme zu gebrauchen. 2019 verschwanden die Namen der Vorgängerparteien aus dem Logo der «Brüder Italiens». Der Balken wurde wieder schwarz. Und er wurde dünner, er ist nur noch ein Strich. Zu übersehen ist er aber nicht.

Die Enkelin des Duce war gegen die Flamme

Nicht alle waren einverstanden damit, aber die meisten. Die Fratelli d’Italia waren damals eine Nischenpartei; bei den Parlamentswahlen 2018 hatten sie nur etwas mehr als 4 Prozent der Stimmen gewonnen. Die parteiinterne Debatte interessierte deshalb die grosse Öffentlichkeit nur sehr marginal. Meloni hatte aber nie Zweifel an der Macht des Symbols. Sie blinzle den Wehmütigen des Faschismus zu, sagen ihre politischen Gegner.

Etwas Kritik gab es aber auch aus der eigenen Partei, und dort ausgerechnet von einer Enkelin des Faschistenführers. Rachele Mussolini, römische Gemeinderätin der Fratelli d’Italia, hätte die Flamme aufgegeben. «Ich verstehe schon, dass viele Mitglieder an ihr hängen», sagte sie. «Ich hänge nicht daran.» Die Parteidebatte ist ziemlich gross geworden, nun, da Meloni sich schon als künftige Premierministerin Italiens sieht und das Ausland besorgt nach Rom schaut.