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Porträt Giorgia Meloni
Die Ängstliche macht allen Angst

Sieht sich gern in der Opferrolle: Giorgia Meloni. 
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Giorgia Meloni hat einen ausgeprägten Hang zur Selbstentblössung, zumal für eine aufstrebende Politikerin. Neulich sagte die Chefin der italienischen Postfaschisten zur Zeitschrift «Sette», ihr Problem sei das Serotonin, das Hormon. «Ich habe viel zu wenig davon, und darum bin ich nie gelassen.» Es komme ihr immer so vor, als sei sie nicht auf der Höhe der Situation. «Wie an der Maturaprüfung fühle ich mich – ständig.» Bei anderer Gelegenheit sagte sie, sie sei voller Ängste. Und zwinge sich dazu, ihre Ängste zu überwinden.
 
Ängstlich? So kommt sie selten rüber. Wenn sich Giorgia Meloni öffentlich in Rage redet, was recht oft passiert, im Parlament und an Wahlveranstaltungen, dann verzerrt sich ihr Gesicht, die tiefe Stimme übersteuert, und in einer reissenden Kaskade brechen alle Slogans aus ihr heraus: gegen die «Bürokraten aus Brüssel», gegen die «Masseninvasion von Migranten» natürlich, gegen die «Lobby der LGBT», gegen die «Islamisierung unserer christlichen Identität». «Okay, ich habe meinen Stil und meine Art», sagt sie. «Aber wer kann ernsthaft denken, dass ich eine Gefahr für die Demokratie bin?»

Ausgerechnet «la Meloni»?

Nun, die Sorge ist berechtigt, vielleicht ist sie sogar drängend. Glaubt man den Umfragen, schicken sich Giorgia Melonis Fratelli d’Italia und die Rechte an, die Parlamentswahlen vom 25. September zu gewinnen. Sie persönlich zeigt Ambitionen, Ministerpräsidentin zu werden. Es wäre eine Premiere in der Geschichte Italiens: Nie zuvor schaffte es eine Frau an die Spitze der Regierung. Aber ausgerechnet «la Meloni»?, fragen auch rechte Intellektuelle.

Mit ihrem Frausein hat das aber herzlich wenig zu tun, obschon ihre Partei das behauptet. Meloni würde selbst auch nicht mit dem Geschlecht argumentieren, sie war nie Feministin. «Ich bin doch kein Panda», sagt sie über die Quotenregelung, als funktionierten Förderprogramme für Frauen wie Tierschutz.

Die Schatten des Faschismus

Das Problem sind ihre Ideen, ihre Sehnsucht nach einem Präsidialsystem, die Nähe zu Viktor Orban und zur neofranquistischen Partei Vox in Spanien, die vielen trüben Nostalgiker in ihrer Entourage. Schwarze Schatten umwehen ihre Partei, immer noch, selbst nach halbem Wandel und einigen Aufräumarbeiten – es sind die Schatten des Faschismus.

Meloni wuchs in Garbatella auf, einem linken Arbeiterviertel Roms. Mit 15 Jahren schloss sie sich dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano an, dem MSI – offenbar, weil sie es so ihrem kommunistischen Vater heimzahlen wollte, wie sie es in ihrer Autobiografie «Io sono Giorgia» andeutet. Der hatte die Familie verlassen, als sie noch klein war.

Bald war sie Chefin der radikalen Jugendabteilung des MSI, schrieb für das Zentralorgan «Secolo d’Italia». Mit 29, als die Partei schon Alleanza Nazionale hiess und moderater auftrat, wurde sie Abgeordnete. Mit 31 machte Silvio Berlusconi sie zur Ministerin für die Jugend. Sie steht also schon eine Weile auf der Bühne. Dass sie mit 45 ganz vorn stehen würde, auf dem Sprung in die Geschichtsbücher, hätte aber wohl niemand für möglich gehalten.

Vor vier Jahren noch eine Minikraft

Bei den Parlamentswahlen 2018 gewann Meloni nämlich nur etwas mehr als vier Prozent, eine Minikraft. Ihren schnellen Aufstieg verdankt sie einer besonderen Konstellation und einer geschickten, geduldig umgesetzten taktischen Entscheidung. Das Parlament, das damals aus den Wahlen hervorging, war aufgesplittet in drei Pole. Daraus eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden, war kompliziert.

Meloni hätte die Möglichkeit gehabt, mit den Cinque Stelle und der Lega die Macht zu teilen, unter
Giuseppe Conte als Premier. Sie verzichtete, das fiel aber niemandem sonderlich auf – so unbedeutend war sie. Die zweite Regierung Contes, das sogenannte «Conte II», mit den Fünf Sternen und den Sozialdemokraten als Hauptpartnern, kam für Meloni aus leicht verständlichen ideologischen Gründen noch weniger infrage. Und als im Februar 2021 Mario Draghi beauftragt wurde, eine Regierung der nationalen Einheit zu formen, blieb sie wieder draussen. Mittlerweile war ihre Partei stark gewachsen. Dennoch hiess es, es sei gar nicht schlecht, wenn wenigstens eine Partei ein bisschen opponiere.

Sie profitiert vom Unmut

So kam es, dass die «Brüder Italiens» am Ende die einzige Partei gewesen sein wird, die in der nun ablaufenden Legislaturperiode nie mitregierte, in keiner Kombination. Für viele Italiener ist das ein Beleg für Kohärenz, nach dem turbulenten und absurden Sturz Draghis sowieso. Meloni schlägt aus allem Unmut Kapital: In den jüngsten Umfragen steht sie für ein Institut bei 25 Prozent. Von 4 auf 25 Prozent in viereinhalb Jahren: Italiens Politik ist eben sehr volatil, das Personal kommt und geht, steigt plötzlich sehr hoch und stürzt dann abrupt ab in der Gunst des Volkes, und das in immer kürzeren Intervallen.  

Wollen verhindern, dass Meloni das Land regieren wird: Matteo Salvini (links) und Silvio Berlusconi. 

Die meisten Stimmen, so zeigen es die Studien, nimmt Meloni Matteo Salvini von der Lega weg, ihrem Rivalen am ultrarechten Rand. Auch im Norden des Landes, dem Stammland der Lega. Salvini ist es denn auch, der sie als Premier verhindern will. Zusammen mit Silvio Berlusconi von Forza Italia. Beide finden, Meloni sei ungeeignet für den Job, sie setze den Sieg der Rechten aufs Spiel, weil man sie im Ausland fürchte – in Brüssel vor allem. «Fuoco amico», sagen die Italiener, Eigenbeschuss.

Meloni klagt aber lieber über das «Establishment», die «ausländische Presse», den «ganzen Schlamm gegen uns». Die Opferrolle, sie funktionierte schon immer gut in Italien. Auch wenn es natürlich denkbar grotesk ist, dass die Faschisten die Opfer geben.