Mögliche Nachfolger No 10 Downing StreetDie aussichtsreichsten Kandidaten, die Johnson beerben wollen
In London ist bereits der Nachfolgekampf in Gang gekommen. Einen klaren Favoriten oder eine Favoritin für seine Nachfolge gibt es bisher nicht im Regierungslager.
So sehr sich Boris Johnson auch sträubt, sein Amt und seine Dienstwohnung in No 10 Downing Street aufzugeben, so sicher sind sich Insider in London, dass der britische Premierminister sich nicht mehr lange halten kann. Einen klaren Favoriten oder eine Favoritin für seine Nachfolge gibt es zwar bisher nicht im Regierungslager. Aber einige Namen werden immer wieder genannt.
Nadhim Zahawi: Der verlässliche Administrator
Der 55-Jährige ist der Kandidat mit der wohl steilsten Karriere. Bis voriges Jahr war er nur Unterstaatssekretär im Gesundheitsministerium, gehörte also noch gar nicht zum Kabinett. Danach war er Bildungsminister. Am Dienstagabend aber, als Finanzminister Rishi Sunak im Protest aus der Regierung ausstieg, übertrug Johnson Zahawi die Schatzkanzlei, das wichtigste Ressort in London. Nunmehr rechnet sich der neue Schatzkanzler Chancen auf die Topposition aus.
Zahawi gilt als verlässlicher Administrator. Sein Job im Gesundheitsministerium während der Pandemie war die Aufsicht über die Impfoperationen – was ihm viel Applaus eintrug. Geboren in Baghdad, als irakischer Kurde, war Zahawi mit neun Jahren, damals noch ganz ohne Englischkenntnisse, nach England gekommen. In späteren Jahren machte er in London als erfolgreicher Geschäftsmann von sich reden. Seinen heutigen Wohlstand (er soll einer der reichsten Abgeordneten sein) verdankt er nicht zuletzt profitablen Geschäften mit Öl.
Ben Wallace: Der ruhige Schotte
Der Verteidigungsminister (52) gilt ebenfalls als aussichtsreicher Kandidat für die Johnson-Nachfolge. Er machte sich mit seiner ruhigen Art bei vielen Tories beliebt während des Truppenabzugs aus Afghanistan. Auch sein beherrschtes Agieren in der Ukraine-Krise, im Kontrast zu den bombastischen Auftritten des Premierministers, verschaffte ihm Respekt. Dass er als Schotte früher einmal im schottischen Parlament sass und in seiner Zeit als Soldat den Verbänden der Scots Guards angehörte, könnte sich in den Augen vieler Tories als nützlich erweisen in einer Zeit, in der in Schottland wieder vermehrt von Unabhängigkeit die Rede ist.
Penny Mordaunt: Sie ist ein wenig ein Geheimtipp
Die 49-Jährige war Verteidigungsministerin gewesen, bis Boris Johnson sie absetzte – wohl, weil sie sich bei der Stichwahl zum Parteichef 2019 für Johnsons Rivalen Jeremy Hunt starkgemacht hatte. Mordaunt ist ein wenig ein Geheimtipp, weil sie sich kaum in den Vordergrund drängt, aber viele Anhänger in den Tory-Reihen hat. In letzter Zeit war sie als Staatssekretärin im Ministerium für Aussenhandel, also in relativ untergeordneter Funktion, in Whitehall tätig. Nach den Partygate-Skandalen zeigte sie sich «schockiert über die Dummheit», die in Downing Street vor sich gegangen ist.
Jeremy Hunt: Er war gegen Brexit
Boris Johnsons ehemaliger Rivale war bis 2019 Aussenminister gewesen und hatte zuvor lange das Gesundheitsministerium geführt. Nach seiner Niederlage gegen Johnson und seiner anschliessenden Entlassung baute er sich in der Fraktion eine neue Führungsposition als Ausschussvorsitzender aus. Ein Vorteil für den 55-jährigen Hunt ist, dass er der Johnson-Regierung nicht angehörte, dass also kein Schatten auf ihn fällt dieser Tage. Als Nachteil dürfte sich allerdings erweisen, dass er ursprünglich gegen Brexit war und dass er als Zentrist den Hardlinern der Fraktion nicht radikal genug ist.
Rishi Sunak: Als Schatzkanzler war er beliebt
Der 42-Jährige war vor allem zu Beginn der Pandemie von vielen Tories als der natürliche Nachfolger Johnsons betrachtet worden. Er hatte sich als Schatzkanzler beliebt gemacht mit rascher finanzieller Hilfe für seine Landsleute in der härtesten Lockdown-Zeit. Zuletzt hatte er allerdings die Steuern drastisch heraufgeschraubt und der Bevölkerung trotz akuter Lebenshaltungskrise enorme neue Lasten aufgebürdet. Zugleich hatte die Enthüllung des Milliardenvermögens und gewisser Steuervermeidungsmanöver seiner Frau sein persönliches Image schwer beschädigt. Offenbar hofft Sunak nun, sich ausserhalb der Regierung neu in Stellung bringen zu können für die Nachfolgeschlacht.
Liz Truss: Sie will die neue «Eiserne Lady» sein
Johnsons Aussenministerin hat stets Rückendeckung gesucht bei der Tory-Rechten. Mit scharfer Rhetorik, gerade auch in Sachen Ukraine, hat sie ihre kriegerische Seite herausgestrichen und sich zugleich zu einem rechtskonservativen Monetarismus bekannt. In Erscheinung und Ton sucht Truss an die frühere Tory-Premierministerin Margaret Thatcher zu erinnern: Ihr geht es darum, sich als neue «Eiserne Lady» der Tories zu präsentieren. Viele ihrer jüngsten Erklärungen sind allerdings recht oberflächlich ausgefallen. Und ihre chronisch-verkniffenen Züge helfen ihr nicht gerade, wo ihre Partei dringlich nach einer optimistischen Miene sucht.
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