Papablog: Autorität in der ErziehungWenn das Kind die Eltern schlägt
Gewaltfreie Kommunikation ist ja schön und gut. Aber wie soll man als Eltern reagieren, wenn man wütend ist und authentisch bleiben will?
Neulich bekam ich im GZ eine Situation mit: Ein etwa vierjähriger Junge wollte unbedingt ein Glacé haben, seine Eltern verweigerten ihm dies. Vielleicht hatte er schon eins, vielleicht gabs bald Zvieri oder Znacht, wer weiss, gibt ja viele Gründe, einem Kind kein Glacé zu geben. Jedenfalls rastete der Bub total aus, schrie, wälzte sich auf dem Boden – und schlug immer wieder seinen Vater, erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust.
Nun kann ein so kleiner Junge wohl nicht viel Schaden beziehungsweise Schmerzen anrichten, dennoch überraschte es mich, wie seelenruhig der Vater sich vom kleinen Berserker malträtieren liess. Weder packte er ihn an den Schultern, noch gab er ein lautes «Stopp» von sich, er versuchte einfach nur, ruhig auf den Kleinen einzureden, während dessen winzige Fäuste auf ihn einprasselten. Die Mutter stand übrigens auch sichtlich genervt und ratlos daneben.
Irrational und emotional
Die Szene hat mich an jene Situationen mit meiner Tochter erinnert, in denen ich oft auch nicht weiss, wie ich reagieren soll. Unsere Kleine ist nicht mehr so klein, sie ist sieben Jahre alt, benimmt sich aber aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerung in vielerlei Hinsicht wie eine Zwei- oder Dreijährige: höchst irrational und emotional. Zum Beispiel ist sie derzeit ganz wild auf Beauty-Sachen wie Nagellack, Halskettchen, Armbändchen, sogar farbige Haarverlängerungen. Und weil sie zu zwanghaftem Verhalten neigt, kann das sehr anstrengend werden. Etwa wenn sie so einen Zopf haben möchte, wie das Mädchen im Youtube-Video, obwohl sie weder genug lange Haare dafür hat (geschweige denn die Geduld, lange stillzuhalten) noch ich über die Fingerfertigkeit fürs Flechten verfüge.
Oder, wenn sie unbedingt Nagellack auf die Finger haben will, aber kaum hat man die richtige Farbe eruiert, dann keinesfalls die Nägel lackiert haben möchte. Ich weiss nicht, ob es daran liegt, dass sie das Auftragen als unangenehm empfindet oder wo sonst das Problem liegt. Ich stelle nur fest, dass sie sowohl will, aber auch nicht will. Oft eskaliert dann die Situation, weil sie sich gar nicht zu helfen weiss. Und ich mir auch nicht. Argumentieren (eigentlich immer meine erste Wahl) hilft nicht. Entweder versteht sie es nicht oder will es nicht verstehen. Da sie sich vorwiegend mit Gebärden und ein paar wenigen Worten verständigt, vermag ich auch nicht zu eruieren, was davon der Fall ist.
Die Giraffe hat ausgedient
Ich kann sie aber auch schlecht beruhigen, ihr Frust nährt sich von sich selbst, sodass sie sich quasi in Rage frustet. Und auch wenn wir zig Mal versucht haben, ihr zu zeigen, wie sie ihre Wut ablassen kann (in Kissen schlagen etc.), weiss sie sich offenbar oftmals nicht anders zu helfen, als mich zu hauen. Nun sprechen wir vom Frust einer Zweijährigen mit den Fäusten einer Siebenjährigen. Das kann schon recht fitzen. Begebe ich mich auf Augenhöhe, wird es bedrohlich. Meist versuche ich dann, ihr aus dem Weg zu gehen. Aber sie läuft mir hinterher, als bräuchte sie mich als Prellbock. Ich kann sie aber nicht einfach auf mich einprügeln lassen. Es tut mir weh, ich bin genervt und ich will das nicht. Und weil ich der Ansicht bin, dass sie ruhig merken darf, wie es mir in der Situation geht, reagiere ich: Ich packe sie, nicht so, dass es wehtut, aber so, dass sie erschrickt; oder ich werde laut, kurz und heftig, damit sie schnell aus ihrem Film gerissen wird und registriert: Papa findet das nicht okay.
Die Gratwanderung zwischen Vater sein und nicht autoritär sein, fällt mir schwer.
Für mich stimmt das halbwegs. Als authentischste der suboptimalen Lösungen. Im Prinzip würde ich es gerne vermeiden, total ruhig bleiben, bis der Sturm vorbei ist. Allerdings hätte ich dann auch das Gefühl, nicht für meine eigenen Interessen einzustehen, mich zu verbiegen, einfach nachzugeben. Auch das finde ich nicht optimal, denn ein Kind muss Grenzen kennen lernen und früher oder später feststellen, dass andere Menschen auch ihre Bedürfnisse und Wünsche haben.
Obwohl ich also schon ein paar solche Situationen erlebt und auch immer wieder andere Lösungsansätze probiert habe (ablenken, sie ins Zimmer stellen – bei offener Tür notabene, ich hab mich sogar schon im Bad verbarrikadiert), ein Rezept habe ich nicht gefunden. Die Gratwanderung zwischen Vater sein und nicht autoritär sein, zwischen authentisch und druckfrei fällt mir schwer. Vielleicht ist es auf lange Sicht nicht so schlimm, eskaliert es nämlich zwischen mir und meiner Tochter, finden wir auch sehr schnell wieder zusammen. Im Moment ist es aber stets unbefriedigend.
Gleichzeitig authentisch und druckfrei?
In der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg spricht man von der Giraffe, die mit Weitblick und grossem Herz auf Augenhöhe mit dem Kind kommuniziert. Dieses Bild macht gerade auch klar, dass es sich dabei nur um ein Ideal handeln kann: Die Giraffe hat per Definition die Augen recht weit oben. Andererseits heisst es immer, man solle als Elternteil möglichst authentisch sein. Da Kinder ohnehin spüren, wenn man sich verstellt. Und schon haben wir den schönsten Widerspruch. Klar sage ich «weisch, wenn du mich haust, tut mir das weh», bevor ich «stopp» rufe, aber hilft das nichts, muss ich doch zur nächsten Intensitätsstufe übergehen, oder nicht?
Ich habe für mich gemerkt: Ich bin keine Giraffe. Eher ein Lama oder ein Maulesel. Oder sogar etwas mit variablem Hals, mal länger, mal kürzer. Und ich nehme an, der Vater, der von seinem kleinen Jungen «verprügelt» wurde, ist noch einmal eine andere Gattung. So ist halt jeder im Moment etwas für sich – oder eben: ausser sich.
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