Corona-Medienkonferenz in BernBAG-Mathys: «Corona-Situation ist sehr ungünstig und besorgniserregend»
Die Fallzahlen steigen, die Spitaleinweisungen nehmen zu. Was meinen die Experten des Bundes zur epidemiologischen Lage der Schweiz? Wir berichteten live.
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Das Wichtigste in Kürze:
Das BAG bezeichnet die aktuelle Corona-Situation als «sehr ungünstig und besorgniserregend».
Die Eidgenössische Impfkommission empfiehlt neu die Covid-Impfung ausdrücklich allen Kindern ab 12 Jahren und auch Schwangeren.
Der oberste Kantonsarzt stellt eine schwindende Disziplin beim Maskentragen und Abstandhalten fest.
Urs Karrer von der Taskforce stellt fest, dass die Covid-Patienten in den Spitälern jünger sind als bei der 2. oder 3. Welle.
Laut Karrer geben 40 Prozent der Covid-Patienten in den Spitälern ihren Ansteckungsort an. Davon seien 80 Prozent Rückkehrende aus Südosteuropa.
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Zusammenfassung
Die Experten des Bundes haben am Dienstag – trotz einer leichten Entschleunigung bei den Fallzahlen – ein eher düsteres Bild der aktuellen Corona-Lage gemalt. Die Situation auf den Intensivstationen sei angespannt. Es gebe auch wieder Verlegungen von Patienten zwischen den Spitälern. Sorgen bereiten die Ferienrückkehrer.
Neun von zehn Covid-19-Patienten in den Spitälern seien nicht geimpft, sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), vor den Medien in Bern. Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Task Force, sprach von einer «Epidemie der Ungeimpften».
Und von den 40 Prozent der Covid-Patienten in den Spitälern, die ihren Ansteckungsort angeben, seien 80 Prozent Rückkehrende aus Südosteuropa. Hier müssen laut Karrer weitere Anstrengungen gemacht werden, um diese Personen zu erreichen und sie für eine Impfung zu sensibilisieren. Im Contact Tracing liegt der Anteil Reiserückkehrer je nach Kanton zwischen 20 und 50 Prozent, wie der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri, ausführte.
Es brauche Disziplin und allenfalls zusätzliche Massnahmen, damit Personen nicht infiziert aus dem Ausland in die Schweiz zurückkehrten. «Für die Herbstferienwelle werden wir überlegen müssen, wie ein erneuter Anstieg der Fälle vermieden werden kann», sagte Karrer. Insgesamt sei es aber im Moment ausgesprochen schwierig, Voraussagen zu treffen.
Bedeutendes Risiko für starke Welle
Laut Mathys ist die derzeitige epidemiologische Lage als «ungünstig und besorgniserregend» einzuschätzen. Insgesamt habe das Infektionsgeschehen stark an Fahrt aufgenommen, mit einer weiteren Verschlechterung der Lage sei zu rechnen. Es bestehe ein «bedeutendes Risiko für eine starke Infektionswelle».
Die Situation erinnere ihn stark an diejenige vor einem Jahr – mit zwei Ausnahmen, erklärte Karrer: «Die Welle ist zwei Monate früher da und die Patientinnen und Patienten sind viel jünger». Die zunehmende Belastung der Spitäler mit Covid-Patienten hat in jüngster Zeit wieder zu vermehrten Verlegungen zwischen den Spitälern geführt, ergänzte Hauri.
Die Zahl der täglich positiv auf das Coronavirus getesteten Personen schwankt laut Mathys in jüngster Zeit zwischen 2500 und 3000 pro Tag. Am Dienstag wurden dem BAG innerhalb von 24 Stunden 2993 neue Coronavirus-Ansteckungen gemeldet, 157 weniger als am gleichen Tag der Vorwoche. Zudem wurden sechs neue Todesfälle (+4) und 97 Spitaleinweisungen (+35) verzeichnet.
«Gewisse Frustration» in den Spitälern
Die Auslastung der Intensivstationen in den Spitälern beträgt zurzeit 75,6 Prozent. 25,4 Prozent der verfügbaren Betten werden von Covid-19-Patienten belegt. Dass diese grossmehrheitlich nicht geimpft seien, hinterlasse beim Pflegepersonal «eine gewisse Frustration», sagte Karrer. Die Tatsache sei für die Beschäftigten «schon schwierig zu schlucken» und gehe nicht spurlos an ihnen vorbei.
Zu wünschen übrig lässt aus Expertensicht auch die Einhaltung der einfachen Corona-Massnahmen durch die Bevölkerung und die Rückverfolgung. Diese Angaben sei oft unvollständig, mangelhaft oder falsch. Kantonsärzte-Präsident Hauri rief alle Menschen zur Kooperation auf, auch wenn eine Isolation oder Quarantäne natürlich einschneidende Massnahmen seien. «Aber die Pandemie geht kein bisschen schneller vorbei, wenn wir wegschauen.»
Der Stiftung meineimpfungen, die das elektronische Impfbüchlein führte, drohen nach der Einstellung ihrer Tätigkeit rechtliche und politische Schritte. Der Konsumentenschutz prüft solche, nachdem die Stiftung die Liquidation beantragt hat. Zu Fall gebracht hatten sie Sicherheitslücken. Was mit den gespeicherten Daten geschieht, ist offen.
Ende der Medienkonferenz
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Sorgen Ferienrückkehrer wirklich für einen saisonalen Effekt?
Nebst Karrer bestätigen auch die anderen drei Männer diese Feststellung. Mathys ergänzt, dass man beachten müsse, dass nun die Schulen wieder beginnen und wieder viele Angestellte vor Ort und nicht mehr im Homeoffice arbeiten. «Die Gefahr ist real, dass die Fallzahlen auch nach Ende der Feriensaison weiter zunehmen.» Prognosen seien aber schwierig.
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Soll das Covid-Zertifikat ausgebaut werden?
Kantonsarzt Hauri meint zur Ausweitung des Zertifikats in Beizen und anderen Betrieben, dass man das durchaus diskutieren solle. Er fände diese Diskussionen richtig – und er können sich das durchaus vorstellen.
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Wie hoch ist der Altersdurchschnitt auf den Intensivstationen?
Karrer antwortet, dass bei den Hospitalisierten liege das Durchschnittsalter bei 54 Jahren. Bei den Personen auf der Intensivstationen dürfte das Durchschnittsalter 2 bis 3 Jahren tiefer liegen.
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Wie sieht es mit der Motivation des Gesundheits-personals aus?
Der Markt sei ausgetrocknet, so dass man Personalressourcen nicht aufstocken könne, erklärt Karrer. «Wir haben kaum Abgänge, die sagen, dass die Belastung zu gross sei.» Viele Mitarbeiter hätten während einer früheren Welle jedoch ihr Pensum erhöht und würden eigentlich gerne wieder in ihren normalen Arbeitsrhythmus zurück gehen. «Die Personaldecke ist dünn, die Motivation aber weiterhin hoch», so Karrer.
Man sei auf den Stationen aber immer frustrierter, dass neun von zehn Hospitalisierten nicht geimpft seien, obwohl sie Gelegenheit dazu gehabt hätten. Man würde natürlich alles für diese Patienten tun, aber das gehe nicht spurlos am Personal vorbei.
Wird es noch andere Impfstoffe geben?
Berger erklärt, dass es es eine sehr kleine Gruppe von Menschen gebe, die sich nicht mit einer der beiden mRNA-Vakzinen impfen lassen können. Für diese würden die Behörden zurzeit Alternativen prüfen. Auf Personen, die den mRNA-Impfstoffen gegenüber skeptisch eingestellt seien, könnten die Behörden keine besondere Rücksicht nehmen.
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Wie sieht es mit dem Contact-Tracing aus?
Mathys: Er hoffe, dass sich wieder mehr Menschen dafür interessieren. Zurzeit sei man nicht zufrieden mit der Disziplin diesbezüglich. Es befänden sich nämlich in etwa gleich viele Personen in Isolation wie in Quarantäne. Das könne nicht sein.
Ist das Volk nicht Pandemie-müde?
Karrer sagt, dass Vogelstrauss-Politik niemandem helfe. Das Gesundheitspersonal wisse, wie die Lage in den Spitälern sei. «Wir verlassen uns auf das Faktische. Aber wir müssen aufzeigen, wo der Dampfer steht und wie schnell er unterwegs ist.»
Mathys ergänzt und ruft noch einmal in Erinnerung, dass während den intensivsten Zeiten der Pandemie 500 Intensivbetten durch Covid-Patienten belegt waren. Dies sei nur möglich gewesen, weil rund 30'000 Wahleingriffe verschoben wurden. Vielen von diesen hätten noch immer nicht nachgeholt werden können. «Es darf nie eine 100-prozentige Auslastung der Intensivstation geben, damit wir alle Notfälle aufnehmen können.» Man wolle nie in eine Situation kommen, wo das Alter über einen Eingriff entscheiden müsse. Das wäre der Schweiz unwürdig.
Welchen Rat hat die Taskforce nun?
Karrer sagt, es sei nicht Aufgabe der Taskforce, Massnahmen vorzuschlagen. Die Taskforce müsse die möglichen Szenarien beleuchten. «Sie wissen, unsere Kristallkugel hat auch schon den einen oder anderen Bruch erlitten.» Es sei schwierig zu sagen, wo die Schweiz in einem Monat stehe. «Im Moment haben wir sehr relevante Risiken. Eine zusätzliche Beschleunigung des Infektionsgeschehens könnte die Spitäler sehr hart treffen.» Daher appelliert Karrer nochmals an jeden Einzelnen, die Abstands- und Hygienemassnahmen zu befolgen.
Mathys ergänzt: «Wenn wir so weiter gehen wie bisher, dann werden wir in vier bis sechs Wochen an einem Punkt sein, an dem die Spitäler am Anschlag sind.» Dies müsse so aber nicht eintreten. Der Bundesrat muss den richtigen Zeitpunkt für mögliche zusätzliche Massnahmen finden – weder zu früh noch zu spät. «Ich beneide ihn nicht», sagt Mathys noch.
Können wir überhaupt noch Schlimmeres abwenden?
Karrer antwortet: «Vielleicht haben wir zurzeit etwas Glück, dass ein Teil der Infizierten sich in Ländern angesteckt hat, in denen die Inzidenz relativ hoch ist.» Die Hoffnung sei, dass der Zustrom an Infizierten sich langsam dem Ende zuneige.
«Grosser Anteil von Rückkehrenden aus Südosteuropa»
40 Prozent der Covid-Patienten in den Spitälern geben ihren Ansteckungsort an. Davon seien 80 Prozent Rückkehrende aus Südosteuropa, sagte Urs Karrer. Das sei ein sehr grosser Anteil, sagte er auf die Frage einer Journalistin nach der angeblichen Überrepräsentation dieser Bevölkerungsgruppe in den Spitälern. Die Sonntagsmedien hatten jüngst über diesen Aspekt ausführlich berichtet.
Dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sei schon länger bekannt, dass das Verständnis und die Durchimpfungsrate bei Personen mit anderem Sprachhintergrund relativ tief sei, sagte Patrick Mathys, Leiter der Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim BAG.
Bei der Aufklärung und Information dieser Bevölkerungsgruppen komme den Gemeinden und Kantonen eine wichtige Rolle zu, da sie mit diesen Gemeinschaften enger verbunden seien, betonte Karrer.
Das sei aber nicht ganz einfach, ergänzte Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte. Einen Flyer zu verteilen reiche da nicht. Man müsse versuchen, Personen anzusprechen, die in diesen Gemeinschaften etwas zu sagen hätten. Hier sei das Engagement der Kantone aber permanent gross.
Gibt es Zahlen zu Reiserückkehrern?
Karrer erklärt, dass bei der Aufnahme eines Patienten auch ein möglicher Ansteckungsort festgehalten werde. So seien die Angaben von 40 Prozent Reiserückkehrern unter den Hospitalisierten zustande gekommen. Man hätte dafür die Zahlen seit Anfang Juli zusammengetragen.
Laut Mathys würden die Contact Tracern vermelden, dass ein «beträchtlicher» Anteil der Neuinfektionen auf Reiserückkehrer zurückzuführen sei. Über die Wiedereinführung einer Reisequarantäne müsse der Bundesrat entscheiden. «Wir haben Risiken in Kauf genommen und es hat sich leider gezeigt, dass diese relativ gross waren und wir ein gewisses Infektionsgeschehen importiert haben.» Mit Sicherheit könne man aber nicht angeben, wie stark der Einfluss der Sommerferien gewesen sei.
Wie viele Patienten sind verlegt worden?
Hauri kann keine absoluten Zahlen für das ganze Land nennen. In der Zentralschweiz komme es aber immer wieder zu Verlegungen. Sie seien sicher häufiger als vorher.
Alles versuchen, um junge Leben zu retten
Jüngere schwer an Covid-19 erkrankte Menschen sterben weniger häufig, weil sie mehr Reserven haben. Sie seien aber nicht zwingend weniger krank und lägen auch nicht weniger lange auf der Intensivstation, sagte Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Task Force, am Dienstag vor den Medien.
Das habe auch damit zu tun, dass man «das hinter- und allerletzte versucht, um dieses Leben zu retten». Dies sei vielleicht etwas anders als während des Höhepunkts der zweiten Welle bei einer sehr betagten Person mit Vorerkrankungen.
Allerdings habe das Spitalpersonal unterdessen auch einen unglaublichen Erfahrungsgewinn machen können, der es ihm erlaube, genau zu wissen, wie die Patienten zu beatmen seien oder wann welche Medikamente sinnvollerweise am besten eingesetzt würden, um «die Lunge über die Runden zu bringen».
Wie akut ist die Entwicklung bei den Todesfällen?
Mathys antwortet: Die Entwicklung bei den Todesfällen befinde sich immer etwas hinter den Infektions- und Hospitalisierungszahlen. Es sei davon auszugehen, dass man in den kommenden Wochen mehr Todesfälle sehen werde.
Karrer ergänzt, dass rund 25 Prozent der Intensivbetten in der Schweiz von Corona-Patienten belegt seien. Zwar müssten noch keine Operationen verschoben werden, aber der Druck baue sich auf. Das Problem sei, das die Deltavariante aggressiver sei als die vorhergehenden Varianten.
Davon blieben auch jüngere Patienten nicht verschont: Jüngere hätten zwar mehr Reserven, aber würden nicht weniger krank. Man gewinne natürlich bei der Behandlung von Covid-Patienten stets mehr Know-how dazu, aber Medikamente gegen Corona seien nach wie vor nur beschränkt verfügbar, erklärt Karrer.
Wer erhält die dritte Impfung?
Berger sagt, dass die Behörden noch weitere Daten diesbezüglich brauchen. Auch brauche es Erkenntnisse von Hospitalisierungen. Momentan lägen aber diese Daten einfach noch nicht vor.
Wie kann das Gesundheits-system vor einer Überlastung schützen?
Karrer meint: «Wir müssen in den Herbstferien verhindern, dass eine grosse Zahl von Infizierten aus dem Ausland in die Schweiz zurückkehrt.» Es brauche mehr Disziplin bei den geltenden Massnahmen oder allenfalls zusätzliche Massnahmen zur Impfung.
Soll die Covid-Zertifikatspflicht ausgeweitet werden?
Karrer antwortet, dass die Politik entscheiden müsse, welche Massnahmen ausgeweitet werden sollen. Das sei eine denkbare Option von der Taskforce. Aber es sei nicht ihre Forderung. Aber sie können bei der Epidemie eine Bremswirkung erreichen.
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Erreicht die Impfkampagne wirklich alle in diesem Land?
Berger meint, dass man «niederschwellige Impfangebote» sicherstellen wolle. Hauri erwähnt in diesem Zusammenhang die sogenannten «Walk-in-Impfungen» für die keine Voranmeldung notwendig sei.
/fal
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