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Dringend gesucht
Was gegen den Fachkräftemangel hilft: Höhere Löhne

Es wächst vor allem die Bürokratie: Eine Pflegefachfrau überprüft mit einer Taschenlampe den Zustand der Patienten in der Abteilung für Innere Medizin des Universitätsspitals in Lausanne.
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Der Schweizer Arbeitsmarkt brummt. Die Zahl der registrierten Ar­beits­lo­sen ist im März auf 92’755 gefallen, die Arbeitslosenquote auf 2 Prozent – Werte, die letztmals vor der Finanzkrise 2008 erreicht wurden.

Für den Ar­beits­markt war 2022 ei­nes der bes­ten Jahre seit Jahr­zehn­ten, stellt die Konjunkturforschungsstelle (KOF) fest. Kein Wunder, klagen fast alle Branchen und Firmen seit langem über fehlendes Personal.

Gemäss einer Untersuchung der KOF ist der Mangel besonders gross in tech­ni­schen Be­ru­fen, die ei­nen eidgenös­si­schen Fach­aus­weis ver­lan­gen. Schwer zu fin­den sind et­wa Hei­zungs­in­stal­la­teu­rin­nen, Sa­ni­tä­re und Zimmer­leu­te, aber auch Ärz­tin­nen, Pfle­ge­fach­kräf­te oder Soft­ware­ent­wick­ler. 

Wenn in einer Marktwirtschaft etwas knapp wird, steigt sein Preis. Doch damit hapert es. 2021 ist das Lohnniveau gar gesunken. 2022 sind die Löhne zwar nominal um durchschnittlich 1,5 Prozent gestiegen, nach Abzug der Teuerung aber um 1,3 Prozent gesunken. Und 2024 sinken die Reallöhne gemäss Prognosen der KOF wegen der hohen Teuerung nochmals.

Dabei sind die Löhne in den Branchen, die besonders über Personalmangel klagen, seit 2011 nur unterdurchschnittlich gestiegen – etwa im Bau, im Gesundheitswesen oder in der Gastronomie.

Der Arbeitsmarkt ist offenbar kein voll funktionierender Markt. Die Beschäftigten haben spezifische Fähigkeiten und sind nicht einfach austauschbar. Ein Stellenwechsel ist ein strategischer Entscheid, der nicht leichthin gefällt wird. 

Gewinne steigen schneller als Löhne

Trotzdem bedeutet ein lang anhaltender Personalmangel letztlich, dass die Arbeitgeber nicht das zahlen wollen oder können, was der Arbeitsmarkt verlangt. Für die Gewerkschaften ist der Fall klar. Viele Unternehmen würden die Teuerung nutzen, um ihre Preise unabhängig von den Kosten zu erhöhen, stellt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, fest.

Für die Eurozone und die USA bestätigt Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, den Befund: «Das Gewinnwachstum spielte eine wichtige Rolle für den Anstieg der Inflation», sagte sie Ende März an einer Konferenz in Washington. Der Beitrag der Gewinne zur Inflation war grösser als der Beitrag des Lohnwachstums. In der Schweiz fehlen dazu die Daten. Ein Indiz könnte sein, dass die börsenkotierten Unternehmen für das Geschäftsjahr 2022 rekordhohe Dividendenausschüttungen planen.

Dass die Löhne nur unvollständig auf die Knappheit reagieren, hat aber noch andere Ursachen. Ein wichtiger Grund ist die hohe Einwanderung, ein weiterer sind staatliche Markteingriffe. «Bei Personalmangel müssten die Löhne steigen. In manchen Bereichen tun sie das auch, zum Beispiel bei Softwareentwicklern. Aber in anderen Bereichen geschieht dies nicht oder nur sehr langsam, weil der Preismechanismus durch Eingriffe behindert wird, etwa durch Gesamtarbeitsverträge und staatlich vorgeschriebene Löhne», sagt Alexandra Janssen, Leiterin der Vermögensverwaltung der Finanzberatungsfirma Ecofin und Dozentin an der Universität Zürich.

Betreffend Gesundheitswesen weist Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, seit langem auf starre Lohnsysteme vieler Spitäler und Pflegeinstitutionen hin. Lohnerhöhungen seien hier hauptsächlich über akademische Abschlüsse erreichbar. Wer sich so weiterbilde, wechsle jedoch meist in die Pflegebürokratie, die stark wächst. Das erhöht die Gesundheitskosten, ohne den Mangel in der Pflege zu beseitigen. 

Lohntransparenz zwischen Unternehmen führt zu höheren Löhnen

Ein wenig beachteter Grund für die mangelnde Anpassung der Löhne an die Knappheit ist fehlende Transparenz. Die Vorschriften zur Lohntransparenz, die in vielen Ländern erlassen wurden, zielen meist auf die Beseitigung von ungleicher Entlohnung für gleiche Arbeit ab. Sie verkleinerten die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Aber sie senkten gleichzeitig die Durchschnittslöhne, weil die Löhne der Männer sanken, wie Untersuchungen zeigen. Das liegt daran, dass sie die Verhandlungsmacht einseitig hin zum Arbeitgeber verschieben. Dieser weist bei Lohntransparenz individuelle Erhöhungen zurück, weil er sie sonst allen gewähren müsste.

Eine positive Wirkung auf die Löhne hat dagegen die vertikale Lohntransparenz, also Informationen über die Unterschiede zwischen hierarchischen Ebenen. So können die Menschen besser einschätzen, was sie im Falle einer Beförderung verdienen. Das fördert die Leistung und führt so zu höherer Produktivität und höheren Löhnen.

Die Menschen unterschätzen systematisch die Lohnsprünge durch Stellenwechsel. Transparenz über die Löhne in anderen Firmen führt deshalb zu höheren Löhnen, wie Untersuchungen nachweisen. Die Arbeitskräfte erfahren, wo sie mehr verdienen können, was ihre Verhandlungsmacht stärkt. Davon profitieren Geringverdiener am meisten. Solche Lohntransparenz verstärkt zudem den Wettbewerb zwischen Arbeitgebern, was die Löhne im gesamten Markt unter Aufwärtsdruck setzt.

Was ist mit Firmen, die keine höheren Löhne zahlen können? Sie automatisieren oder verlagern die Produktion ins Ausland, was den Arbeitsmarkt in Zeiten des Personalmangels nicht belastet. Beides haben Schweizer Unternehmen immer wieder erfolgreich getan.

Personalknappheit gehört seit mindestens 35 Jahren dazu

Die schwächsten Firmen können allerdings nicht mithalten. Was für die einzelne Firma ein Drama, ist gesamtwirtschaftlich jedoch ein Gewinn. Steigende Löhne drängen die schwächsten Unternehmen aus dem Markt und setzen damit Personal frei für die produktivsten.

Die schwachen Lohnsteigerungen könnten denn auch damit zusammenhängen, dass die Covid-Hilfen zahlreiche Unternehmen am Leben erhalten haben, die langfristig nicht überlebensfähig sind – sogenannte Zombiefirmen.

Mehr Wettbewerb kann so zu «einer doppelten Dividende» führen, wie Clemens Fuest, Leiter des deutschen Ifo-Instituts, betont: Arbeitskräfte werden vermehrt dort eingesetzt, wo sie produktiver sind, und Löhne und Arbeitsbedingungen verbessern sich dort, wo sie aus marktwirtschaftlicher Sicht zu schlecht waren. 

Das hat die Schweiz erfolgreich getan. Denn Personalknappheit gehört seit mindestens 35 Jahren dazu: «Alarmierender Fachkräftemangel in der Schweiz» meldete die Schweizerische Depeschenagentur am 24. August 1987. 

«Die kleine Schweiz produziert für die ganze Welt. Solange die Weltkonjunktur brummt, können wir immer noch mehr produzieren und haben deshalb immer Fachkräftemangel», sagt Alexandra Janssen. Sorgen müssten wir uns machen, wenn niemand mehr über Personalmangel klagt.