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Energiepreise und Klimawandel
Warum die Energiekrise die Nachhaltigkeitsziele gefährdet

Schon jetzt geschieht zu wenig, um die Treibhausgase zu reduzieren: Stahlanlage von Thyssenkrupp im deutschen Duisburg.
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Ende Oktober bis Mitte November werden im schottischen Glasgow Staatschefs von über 100 Regierungen erwartet. Darunter auch US-Präsident Joe Biden und der Schweizer Bundespräsident Guy Parmelin. Anlass ist die COP26, eine Konferenz der UNO zum Thema Klimawandel.

Doch schon bevor sich die Politiker dort versammeln, wird das dringende Anliegen, die Treibhausgase zu reduzieren, durch die weltweit explodierenden Energiepreise gefährdet. Der Ölpreis ist gemessen an der Sorte Brent seit einem Jahr um mehr als 100 Prozent von rund 40 auf über 80 Dollar angestiegen.

Das gleiche Bild zeigt sich beim Gaspreis.

Der Preis für Kohle hat sich sogar rund vervierfacht.

Weil diese Rohstoffe an vielen Orten auch für die Stromproduktion benötigt werden – in Deutschland zum Beispiel basiert sie mit einem Anteil von 27 Prozent noch immer stark auf Kohle –, steigen auch diese Preise vielerorts stark an. Besser beim Strom dran ist bisher die Schweiz, die vorerst noch von langfristig vereinbarten Preisen profitiert. Die Gas- und Ölpreise legen aber ebenfalls stark zu.

Der drohende Rückschlag

Eine Verteuerung der Energie, die auf dem Ausstoss von Treibhausgasen basiert, wäre eigentlich ganz im Sinn des erwünschten Wandels. Vor allem weil sie Anreize für Innovationen zu nachhaltiger Energieproduktion setzt.

Doch die jüngste Preis- und Knappheitsentwicklung hat nichts mit Lenkungsanreizen zu tun, und sie erzielt auch nicht den gewünschten Effekt. Aktuell zeigt sich sogar das Gegenteil: Länder wie China oder Grossbritannien setzen bereits wieder auf die herkömmliche, umweltschädliche Energiegewinnung, vor allem über Kohle.

Um breite Bevölkerungsschichten für die Reduktion der Treibhausgase zu gewinnen, wird gern argumentiert, dass am Ende alle gewinnen. Nicht nur verhindern wir so schwere Katastrophen und sichern unser Überleben, der Umbau der Wirtschaft führt zu neuen zukunftsträchtigen Investitionen und Jobs.

Doch kurzfristig ist das Gegenteil wahrscheinlicher, wie die aktuelle Entwicklung zeigt: Der Strukturwandel ist mit hohen Kosten verbunden – nicht nur durch höhere Preise für die herkömmlichen Energien, sondern auch durch ökonomische Verwerfungen. Wenn Ängste um die nahe wirtschaftliche Zukunft steigen, droht die Dringlichkeit des Klimawandels in den Hintergrund zu geraten.

Eine dieser Ängste ist, dass eine sogenannte Stagflation wie in den 1970er-Jahren drohe. Damals stieg, ausgelöst durch hohe Ölpreise wie jetzt, die Teuerung stark an, während gleichzeitig die Wirtschaft lahmte und die Arbeitslosigkeit deutlich zulegte.

Von höheren Energiepreisen sind überdies Empfänger von tieferen Einkommen deutlich stärker betroffen als jene am oberen Ende. Kaum eine Regierung dürfte sich Proteste wünschen, wie jene der Gelbwesten in Paris. Ausgelöst wurden diese ursprünglich durch eine geplante Erhöhung von Energiepreisen.

Ein Mangel an Investitionen

Als Gründe für die aktuelle Entwicklung an den Energiemärkten werden eine Reihe von Faktoren genannt. Zum einen geht der Preisanstieg auf einen gewaltigen Nachfrageschub nach dem Ende der weltweiten Lockdowns zurück, wie er sich auch bei anderen Gütern zeigt. Auf der anderen Seite sind aber auch mangelhafte Investitionen der Regierungen für die Knappheit mitverantwortlich.

Die Schwierigkeit beim Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft besteht darin, neue Energieformen so weit aufzubauen, dass auf alte verzichtet werden kann. Laut dem britischen «Economist» sind die Investitionen in fossile Energieträger seit 2015 bereits um 40 Prozent zurückgegangen. Ihr Anteil an der gesamten Energienachfrage macht aber noch immer 83 Prozent aus.

In neue Energieformen wird aber erst halb so viel investiert, wie nötig wäre, damit das Null-Emissions-Ziel bis 2050 erreicht werden kann. Aktuell besteht das Risiko, dass Regierungen angesichts der stark gestiegenen Staatsverschuldung sich mit Investitionen in den Umbau der Energiegewinnung weiterhin zurückhalten.

«Um Energiesicherheit zu erreichen, braucht es ein sorgfältiges Gleichgewicht von Marktkräften, Technologien, Politik und Weltpolitik, das nicht zu ideologischen Vorgaben passt.»

Brenda Shaffer, Energieexpertin

Ungenügende Investitionen sind nur ein Teil des Problems. «Um Energiesicherheit zu erreichen, braucht es ein sorgfältiges Gleichgewicht von Marktkräften, Technologien, Politik und Weltpolitik, das nicht zu ideologischen Vorgaben passt», schreibt die Energieexpertin Brenda Shaffer zur Energiepolitik im renommierten Medium «Foreign Policy». Konkret kreidet Shaffer der Politik vor allem in Europa zum einen an, zu sehr auf Tagesmärkte etwa für Erdgas gesetzt zu haben. Langfristige Preisabsicherungen oder das Anlegen von Reserven kamen daher zu kurz, und es gab auch kaum Anreize dafür.

Die Folge ist, das die Europäer in ihrer Not nun ausgerechnet auf den russischen Autokraten Wladimir Putin angewiesen sind. Denn Russland, der weltweit viertgrösste Emittent von Treibhausgasen, verfügt über massive Erdgasreserven. Mit einem Anteil von 41 Prozent der Gasimporte hat das Land einen dominierenden Einfluss auf das Angebot und die Preise in Europa.

Zweitens kritisiert Shaffer, dass bei der Bevorzugung von alternativen Energien eine Gesamtsicht fehle: «Die aktuelle Europäische Kommission hat die Energiepolitik gänzlich der Klimapolitik untergeordnet», schreibt die Expertin und ergänzt, «der Sicherheit des Angebots von Energie und ob sie sich die Leute noch leisten können, schenkt sie keine Aufmerksamkeit.»

Beim Treffen der Staatschefs Ende Monat in Glasgow ist dringend eine Gesamtsicht gefragt, die sowohl die aktuellen wie die künftigen Herausforderungen berücksichtigt. Denn wenn nun ein harter Winter folgt und die Preise für Energieträger noch weiter ansteigen, droht dem klimaneutralen Umbau der Wirtschaft ein gefährlicher Rückschlag.