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Meinung

Analyse zu den Energiepreisen
Wie im Jahr 1973

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Eigentlich müssten sich jetzt doch alle Klimaschützer freuen. Erdgas und Erdöl sind in diesem Herbst so teuer wie schon seit vielen Jahren nicht mehr – beides sind fossile Energieträger, bei deren Verbrennung der Klimakiller Kohlendioxid freigesetzt wird. Erdgas hat sich seit Jahresbeginn auf dem europäischen Markt um 350 Prozent verteuert, zwischenzeitlich waren es sogar fast 500 Prozent. Erdöl hat um 55 Prozent zugelegt, der Grosshandelspreis für elektrischen Strom stieg in der Folge um 390 Prozent.

Die Zusammenhänge sind klar: Die Weltwirtschaft erholt sich vom Einbruch der Corona-Pandemie, die Nachfrage nach Energie steigt deshalb und mit ihr steigen die Preise. Der Markt reagiert völlig normal; er bestraft Energieverbraucher und belohnt Energiesparer. Die Preissprünge wären demnach ein Stück ungeplante, aber sehr wirksame Klimapolitik.

«Wir wollen nicht, dass jemand diese Situation nutzt, um unseren grossen Einsatz für den Wandel zu erneuerbaren Energien und der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft in Gefahr zu bringen. Im Gegenteil.»

Teresa Ribera, spanische Umweltministerin

Doch die Entwicklung könnte sogar kontraproduktiv wirken und die bisherigen Fortschritte in der Klimapolitik zunichte machen. «Wir wollen nicht, dass jemand diese Situation nutzt, um unseren grossen Einsatz für den Wandel zu erneuerbaren Energien und der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft in Gefahr zu bringen. Im Gegenteil», sagte die spanische Umweltministerin Teresa Ribera beim jüngsten Treffen ihrer EU-Kolleginnen und -Kollegen in Luxemburg. Aber genau diese Gefahr droht offensichtlich. Polen und Ungarn geben dem EU-Handel mit Emissionsrechten und damit der europäischen Klimapolitik insgesamt die Schuld an der Preisexplosion.

Die Teuerung bei Gas, Öl und Strom zwingt die Industrieländer, ihre bisherige Politik einem Realitätscheck zu unterziehen. Nützlich ist es dabei, sich der ersten grossen Ölpreiskrise zu erinnern, die vor 48 Jahren im Oktober 1973 begann. Die Voraussetzungen waren damals völlig anders.

Autofreien Sonntage zeigten Ernst der Lage

Nur wenige Experten wussten zu Beginn der 1970er-Jahre vom Klimawandel, deshalb spielte Kohlendioxid im öffentlichen Bewusstsein keine Rolle. Aber darüber hinaus wurden in jenem Herbst sehr viele Gewissheiten über den Haufen geworfen, was Wohlstand, Sicherheit und ganz allgemein die Zukunft betraf. Als die arabischen Opec-Staaten ihre Produktion drosselten, um den Westen für die Unterstützung Israels zu bestrafen, stieg der Preis für das Fass Erdöl von drei Dollar um etwa 70 Prozent auf fünf Dollar.

Angesichts heutiger Preise (diese Woche waren es etwa 80 Dollar) sieht das nach wenig aus, damals war der Anstieg jedoch ein Schock. Die meisten Industrieländer litten unter einer Kombination aus Arbeitslosigkeit und Inflation («Stagflation»). Die Entwicklung verlieh der Atomenergie Schub, die Konsumentinnen und Konsumenten wurden zum harten Sparen angehalten.

Manches war dabei rein symbolisch. Etwa die drei autofreien Sonntage Ende des Jahres 1973. Fast allen, die das erlebt haben, fallen beim Stichwort «Ölkrise» auch heute noch als Erstes diese Sonntage ein, an denen man auf der Autobahn gefahrlos spazieren gehen konnte. In der Sache war das sinnlos, denn die Sonntage senkten den Benzinverbrauch insgesamt nicht. Aber sie vermittelten das Gefühl dafür, dass die Lage ernst war. Und das war wohl auch beabsichtigt.

Diesmal, in der Energiepreiskrise des Herbstes 2021, wissen alle um den Klimawandel. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Energiepolitik keinen Realitätscheck bräuchte. Im Gegenteil: Die Sorge vor einem kalten, teuren Winter ist ja gerade deshalb so gross, weil es noch einen riesigen Rückstand bei der Gebäudesanierung gibt – auch wenn das Thema in der Schweiz langsam an Fahrt gewinnt. 

Auch US-Präsident Biden will bezahlbaren Sprit

Und dann gibt es noch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Er hat sich zur Klimapolitik bekannt, die Vereinigten Staaten sind zur Erleichterung ihrer Verbündeten wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten. In der jetzigen Energiepreiskrise forderte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan die Opec auf, schnell mehr zu fördern.

Der Präsident wolle «bezahlbare und verlässliche Energie» für die Amerikaner, «auch an den Tankstellen». Mit anderen Worten: Erst wenn getankt und geheizt ist, kann die Klimapolitik wieder eine Rolle spielen. Das ist ebenso verständlich wie widersprüchlich.