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Teures Gas, leere Regale
Fällt in Grossbritannien dieses Jahr Weihnachten aus?

Heizen wird im Vereinigten Königreich teurer – vielen Menschen könnte das Geld ausgehen. 
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Der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng hat diese Woche Alarm geschlagen: Er warnte seine Landsleute, dass es für viele von ihnen infolge einer ernsten neuen Energiekrise zu einem «sehr schwierigen Winter» kommen könne.

In London befürchtet man, dass Hunderttausende von Menschen im Vereinigten Königreich bald schon ihre Gas- und Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können. Beziehungsweise, dass sie sich zwischen der Beheizung ihrer Wohnung und etwas Warmem zum Essen entscheiden müssen, wenn ihnen das Geld ausgeht.

Trotz der Bemühungen der Regierung, die Lage zu entschärfen, fragen sich viele Briten ausserdem, ob sich in den nächsten Wochen die Regale in ihren Lebensmittelläden und Supermärkten leeren werden. Grosshändler haben gewarnt, dass Fleisch, Brot, Salat und vieles anderes sehr schnell Mangelware werden könnte. Mancherorts haben schon Hamsterkäufe von Bier begonnen.

Stahlkonzerne und andere Grossbetriebe können teilweise nicht mehr in vollem Umfang operieren. Einige von ihnen haben die Arbeitszeit für ihr Personal bereits reduziert oder erwägen die kurzfristige Einführung einer 3- bis 4-Tage-Woche.

Gaspreis um 250 Prozent höher

Es sei «vollkommen ausgeschlossen, dass die Lichter bei uns ausgehen oder dass die Leute ihre Häuser nicht mehr beheizen können», entgegnete Minister Kwarteng. Auch die Vorstellung einer 3-Tage-Woche, «wie in den 70er-Jahren», als das Vereinigte Königreich unter starker Energieknappheit litt, sei in der gegenwärtigen Situation «abwegig» und «wenig hilfreich».

Ursache der jüngsten Krise ist der steile Anstieg der Gaspreise in Land. Seit Jahresanfang hat sich der Gaspreis auf der Insel um rund 250 Prozent erhöht. Allein im August betrug der Anstieg 70 Prozent. Der Entwicklung liegt eine globale Verknappung des Gasangebots zugrunde, für das unter anderem der lange, kalte letzte Winter verantwortlich ist. Hinzu kommt zum Beispiel, dass in den letzten Monaten zahlreiche Länder der südlichen Hemisphäre mehr Gas importiert haben und der wichtige Exporteur Nigeria weniger gefördert hat als in den Vorjahren.

Da die britischen Energiefirmen einen entsprechend hohen Einkaufspreis für Gas nicht in dieser Form an ihre individuellen Kunden weitergeben dürfen, sind viele kleinere inzwischen schon kollabiert. Die grösseren Firmen, die die Kundschaft der kleineren nun mitversorgen sollen, können sich aber selbst nur mit Mühe halten. Die Regierung hofft, dieses halbe Dutzend grosser Unternehmen fürs Erste mit Überbrückungskrediten zu stabilisieren.

Versetzte seine Landsleute in Alarmbereitschaft: Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng.

Eine volle Übernahme der Energiekonzerne – eine Nationalisierung des Energiesektors – lehnt man in London aber ab. Die Lage ist im Vereinigten Königreich vertrackter als in anderen Ländern, weil das Land kaum über Gaslager verfügt, aber ein Grossteil der Stromproduktion und der Beheizung von Häusern ohne Gas nicht funktioniert.

Wegen der hohen Gaspreise sind zahlreiche Industriebetriebe wie Stahlwerke und Chemiekonzerne in Schwierigkeiten geraten und haben ihre Produktion verringert. Zugleich kann Kohlendioxid (CO₂) nicht ohne Gas hergestellt werden; es wird unter anderem zur Betäubung von Schlachtvieh und für Vakuumverpackungen bei Lebensmitteln benutzt.

«Wir tun alles, was wir können, um die Versorgung mit CO₂ zu sichern.»

Kwasi Kwarteng, Wirtschaftsminister

CO₂ spielt auch eine Rolle bei der Herstellung von Softdrinks und Bier. Und offenbar fürchtet man in der Regierung auch, dass ohne CO₂-Nachschub die Kühlung von sechs Atomkraftwerken nicht mehr bewerkstelligt werden könnte. Diese müssten dann stillgelegt werden. «Wir tun alles, was wir können, um die Versorgung mit CO₂ zu sichern», beteuerte Minister Kwarteng am Dienstag.

Erschwert wird das Vorhaben, weil der Hauptproduzent für CO₂ auf der Insel, das Unternehmen CF Industries, wegen der hohen Gaskosten vor kurzem den Betrieb in seinen zwei Werken in England eingestellt hat. Minister Kwarteng hat nun mit dem Konzern ausgehandelt, dass dieser wenigstens eines davon wieder öffnet.

Um das zu ermöglichen, will die britische Regierung dem US-Unternehmen bis zu 50 Millionen Pfund zur Verfügung stellen und so dessen Betriebskosten bis Mitte Oktober mit Steuergeld decken.

Enormes soziales Problem

Bauernverbände, die fleischverarbeitende Industrie und die Getränkebranche zeigten sich erleichtert darüber, dass nun die CO₂-Produktion wieder in Gang gesetzt werden soll. Was die längerfristige Entwicklung angeht, sind sie dagegen weiterhin skeptisch. Ein Geflügel-Grossproduzent hatte bereits gewarnt, dass bei einer ungünstigen Entwicklung dieses Jahr im Vereinigten Königreich «Weihnachten ausfallen» werde.

Andere Lebensmittelproduzenten hatten prophezeit, dass der CO₂-Mangel schon am kommenden Wochenende dazu führen könne, dass es im Detailhandel an Waren fehlt. Dieser kämpft schon seit längerem mit leeren Regalen – unter anderem, weil es an Last- und Lieferwagenfahrern fehlt. Für den Engpass sind sowohl der Brexit als auch Covid verantwortlich.

Beobachter in London sehen mit der neuen Energiekrise freilich auch ein enormes soziales Problem auf ihr Land zukommen. Schon im Oktober droht den Haushalten eine spürbare Erhöhung ihrer Gasrechnungen. Im kommenden Frühjahr könnte es dann zu einem noch steileren Anstieg kommen. Zugleich zeichnen sich auch in vielen anderen Lebensbereichen scharfe Preiserhöhungen ab.

Am härtesten trifft es die Armen

Ausserdem versucht die Regierung gerade, einen Teil der Sozialhilfe zu kürzen, was rund sechs Millionen der ärmsten Familien 1000 Pfund (1260 Franken) im Jahr kosten würde. Hinzu kommt, dass im nächsten April eine just beschlossene neue Steuererhöhung in Kraft tritt. Zusammen mit diesen Belastungen werde der steile Anstieg der Lebenskosten «die Schwächsten der Gesellschaft am härtesten treffen», hat die oppositionelle Labour Party kalkuliert.

«Dies könnte ein heikler Winter werden», hat auch der frühere Tory-Vorsitzende William Hague erkannt.
«Sogar mehr als heikel, ehrlich gesagt.» Premier Boris Johnson hält diese Sorge jedoch für unbegründet. Das Ganze sei «nur ein kurzfristiges Problem», das sich «schon wieder einrenken» werde. «Ich glaube nicht, dass es jemandem an Essen fehlen wird diesen Winter», sagte Johnson. Und: «Weihnachten findet auf jeden Fall statt.»