Abstimmung vom 18. JuniWarum der Bundesrat im Tiefsteuerland Schweiz die OECD-Mindeststeuer befürwortet
Die Steuerreform gilt als «Kampfansage an die Schweiz», trotzdem setzen sich Regierung und Bürgerliche für ein Ja an der Urne ein. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Vorlage.

Worum geht es?
Der Bundesrat will sich vom Volk die Erlaubnis erteilen lassen, auf frühestens Anfang 2024 die zweite Säule der globalen OECD-Steuerreform in der Schweiz umzusetzen. Ob er es tatsächlich tut, hängt davon ab, ob die Europäische Union die Reform ebenfalls auf 2024 umsetzt; das ist aufgrund von rechtlichen und politischen Ungereimtheiten in deren Verhältnis mit den USA noch nicht geklärt.
Tritt die Reform in Kraft, sollen Konzerne in der Schweiz Gewinnsteuern im Umfang von mindestens 15 Prozent entrichten. In einer Mehrheit der Kantone liegen die Steuersätze aktuell unter diesem Grenzwert. Dafür ist eine Ergänzungssteuer des Bundes vorgesehen, die die Differenz zwischen dem in den jeweiligen Kantonen aktuell erhobenen Satz und den 15 Prozent umfasst.
Weil für eine höhere Unternehmensbesteuerung auf Bundesebene eine Verfassungsänderung nötig ist, unterliegt das Vorhaben dem obligatorischen Referendum. Die Details will der Bundesrat dann in einer Verordnung regeln, und spätestens nach sechs Jahren muss er dem Parlament ein entsprechendes Gesetz vorlegen.
Betroffen von der Reform sind Konzerne mit einem Umsatz von über 750 Millionen Euro, also rund 200 inländische Unternehmen und 2000 Töchter ausländischer Firmen – damit würde also eine ausländische Währung in die Bundesverfassung geschrieben. Der Bund geht davon aus, dass die zusätzlichen jährlichen Steuereinnahmen zwischen 1 und 2,5 Milliarden Franken betragen werden.
Das Parlament einigte sich im vergangenen Dezember darauf, die zusätzlichen Einnahmen nach dem Schlüssel 75/25 Prozent an die Kantone und den Bund zu verteilen. Kantone, die aufgrund der neuen Steuer einen Verlust ihrer Standortattraktivität hinnehmen müssen, können so mit dem zusätzlichen Geld ihre Position wieder stärken. Hierfür bieten sich Massnahmen von Steuersenkungen für natürliche Personen über Forschungssubventionen bis hin zu Investitionen in Kinderkrippen an.
Warum gibt es die Reform?
Die OECD, ein Zusammenschluss von 38 Industrieländern inklusive der Schweiz, hat total knapp 140 Länder dazu gebracht, die Spielregeln der Reform bei sich umzusetzen. Dabei ist die erste Säule der Reform aktuell blockiert – es ist fraglich, ob sie überhaupt je umgesetzt wird: Sie würde vorsehen, dass Unternehmen Gewinne dort versteuern müssen, wo sie diese tatsächlich erwirtschaften.
Mit der zweiten Säule sollen Tiefststeuersätze für Unternehmen künftig der Vergangenheit angehören. Setzt ein Land die Reform nicht um, dürfen andere Länder den Fehlbetrag, der zum Erreichen der 15-Prozent-Limite für ein Unternehmen fehlt, abschöpfen.

«Diese 15 Prozent sind ein Angriff auf die Tiefsteuerländer, und es ist insbesondere eine Kampfansage an die Schweiz», sagte der damalige Finanzminister Ueli Maurer anlässlich der Beratung der Vorlage im Dezember im Parlament. «Man will der Schweiz Vorteile nehmen, die sie hat, indem man sie dazu zwingt, Steuern zu erhöhen. Das ist die Kampfansage.»
Trotzdem sprach sich der SVP-Mann vehement für ein Ja an der Urne aus: «Wir müssen das OECD-Projekt nicht umsetzen. Wenn wir es aber nicht tun, verlieren wir Steuersubstrat.»
Welche Kantone würden am meisten profitieren?
Eine Studie des Beratungsbüros BSS im Auftrag der SP von vergangenem Sommer schätzte die totalen Mehreinnahmen übereinstimmend mit den Annahmen des Bundes auf 1,6 Milliarden Franken pro Jahr. Den grössten Anteil würden die Tiefsteuer-Kleinkantone Basel-Stadt und Zug erhalten, zusammen kämen sie auf ein Drittel.
Zwar ist diese Studie mit einer Reihe methodischer Schwächen behaftet, wie Fachpersonen anmerken. In der Tendenz sind ihre Schlüsse allerdings wohl nicht komplett verkehrt: Kantone, in denen mehr Konzerne ihren Sitz oder Produktionsstätten haben und in denen die Unternehmenssteuern aktuell besonders tief sind, dürften auf besonders hohe Mehreinnahmen kommen. Der Bund dagegen hat keine solchen Schätzungen angestellt.
Wer ist für die Reform?
Der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien argumentieren wie Ueli Maurer im Parlament, dass es nur bei einem Ja gelänge, das Steuersubstrat in vollem Ausmass in der Schweiz zu halten.
Für die 75/25-Regelung spreche, dass der Grossteil der Einnahmen an die Kantone gehe, in deren Kompetenz die Unternehmensbesteuerung klassischerweise fällt. Mit dieser Lösung erhielten jedoch auch Kantone, in denen wenige der betroffenen Firmen domiziliert seien, über den Finanzausgleich mehr Geld als etwa bei einer 50/50-Lösung.
Auch die Wirtschaftsverbände, allen voran Economiesuisse, sind dafür: Ihre Mitglieder werden sowieso mit 15 Prozent besteuert, doch vereinfacht es das Prozedere für sie, wenn der gesamte Betrag in der Schweiz fällig wird.
Wer ist dagegen?
Weil die Grünen Stimmfreigabe beschlossen haben und auch der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse für ein Ja ist, setzen sich bisher bloss der Verband der Hilfswerke Alliance Sud und die SP für ein Nein ein: Ende Februar setzten sich die Delegierten der Sozialdemokraten über die Empfehlung des Parteirats zur Stimmfreigabe hinweg und fassten klar die Nein-Parole. Sie stimmen einer internationalen Koordination in Steuerfragen zwar zu, sind jedoch mit der 75/25-Regelung nicht einverstanden.
Sie argumentieren, mit einer solchen Regelung flössen die zusätzlichen Einnahmen über Umwege grösstenteils zu den Konzernen zurück, indem die Kantone den Standortwettbewerb anderweitig anheizten. Profitierte dagegen der Bund mindestens hälftig von den zusätzlichen Einnahmen, würde das einem grösseren Teil der Bevölkerung zugutekommen.
Laut SP-Co-Präsident Wermuth wäre es möglich, bei einem Nein innert Kürze eine neue Vorlage zu zimmern und sie noch bis Ende Jahr erneut dem Volk vorzulegen. Während Experten aus der Wirtschaft dem widersprechen, schreibt das Finanzdepartement, man könne das erst im Falle einer Ablehnung an der Urne beurteilen: «Jedenfalls ist es nicht möglich, schon vor der Abstimmung Rechtssicherheit über ein allfälliges alternatives Vorgehen zu schaffen.»
Alliance Sud argumentiert darüber hinaus, es dürfe nicht nur darum gehen, die zusätzlichen Einnahmen in der Schweiz zu behalten. Vielmehr müsse der globale Süden davon profitieren, der seit Jahrzehnten am stärksten unter dem internationalen Steuerwettbewerb leide. Der Verband stützt sich dabei auf Gabriel Zucman, linker Professor der US-Spitzenuniversität Berkeley: Laut ihm haben Multis allein im Jahr 2021 Gewinne im Umfang von 111 Milliarden Dollar in die Schweiz verschoben, um sie hier günstiger zu versteuern.
Ist das Ganze wirklich so kompliziert, wie es klingt?
Ja – beziehungsweise es ist noch viel komplizierter. «Den Unternehmen und Steuerverwaltungen entsteht ein riesiger bürokratischer Aufwand», kritisiert Steuerrechtsprofessor Peter Hongler von der Universität St. Gallen. Dabei sei höchst umstritten, ob die Staatshaushalte global auch nur annähernd so viel einnehmen werden wie erhofft: Die OECD geht von zusätzlichem Steuersubstrat von jährlich 220 Milliarden Dollar aus.
Hongler steht der Reform darum skeptisch gegenüber: «Ich beschäftige mich schon seit über einem Jahr intensiv damit und verstehe sie immer noch nicht komplett. Das ist nicht im Sinne des Erfinders.»
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