Atommacht vor den Wahlen«Pakistan ist ein Paradies für die Reichen und die Hölle für Arme»
Die Menschen in Pakistan wählen am Donnerstag ein neues Parlament. Die meisten Wähler gehen von einem abgekarteten Spiel aus – mit der Armee als Strippenzieher.
Es ist wieder die Zeit grosser Worte. Ein Kandidat verspricht, die Wirtschaftsleistung des Landes zu verdoppeln. Mal so eben. Der andere sagt, nach der Abstimmung werde es nicht nur Wohlstand für alle Menschen in diesem Land geben, sondern auch Frieden. Und aus der Partei des Favoriten heisst es, prosperieren könne das Land selbstverständlich nur unter seiner Führung. Allein: Den Menschen in Pakistan fehlt der Glaube.
Anwar Ali kann sie nicht mehr hören, die grossen Versprechungen, die nach der Abstimmung ohnehin nicht eingehalten werden. «Ich mache mir überhaupt keine Hoffnungen, dass sich etwas ändern wird», sagt der 40-Jährige, der in Larkana, einer Stadt in der Sindh-Provinz im Südosten des Landes, Hilfsprojekte koordiniert.
«Die arbeiten alle nur für sich»
Die Zahl der Menschen, die in seiner Region permanent finanzielle Sorgen haben, schätzt Ali auf 70 Prozent. Wer Essen für die Familie auf den Tisch bringen wolle, müsse an der Kleidung sparen. Die politische Klasse interessiere sich allerdings nicht für die Nöte der Massen: «Die arbeiten alle nur für sich», sagt Ali. Er klingt dabei nicht wütend. Nur ernüchtert.
In Pakistan, mit etwa 242 Millionen Menschen das bevölkerungsmässig fünftgrösste Land der Welt, wird am Donnerstag ein neues Parlament gewählt. Die Menschen in der muslimischen Nation haben sich daran gewöhnt, dass auf grosse Versprechen grosse Enttäuschungen folgen. Euphorie vor dieser Abstimmung ist nirgendwo zu spüren.
Ein Held in Haft
Das war vor der letzten Wahl im Jahr 2018 anders. Imran Khan, ein ehemaliger Cricket-Star und Captain der Weltmeistermannschaft von 1992, war angetreten. Ein nationaler Held. Vor allem junge Wählerinnen und Wähler waren begeistert von seinem Charisma, seinem Plan, das Land umzukrempeln. Eingelöst hat auch er all die Zusicherungen nicht in seiner kurzen Zeit als Regierungschef. Doch Khan ist nach wie vor beliebt bei der Jugend.
Die Teilnahme an der anstehenden Wahl ist ihm aber verboten worden, seine Partei sendet nur noch zusammengesetzte Clips von ihm mithilfe künstlicher Intelligenz. Khan war im April 2022 durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt worden. Inzwischen sitzt er im Adiala-Gefängnis, einer der grossen Haftanstalten des Landes in der Garnisonsstadt Rawalpindi.
Verurteilt hat ihn die Justiz wegen Korruption, der Weitergabe von Staatsgeheimnissen und weil er bei seiner dritten Ehe gegen islamische Gesetze verstossen habe. Khans Anhänger überzeugt das nicht. Sie halten die Vorwürfe für konstruiert. Die Einschätzung, dass das mächtige Militär den populären Populisten kaltstellen will, ist weitverbreitet.
Der Einfluss der Familiendynastien
Tatsächlich, so sagt der Wirtschaftsanalyst Sakib Sherani in Islamabad, sei es in Pakistan nichts Neues, dass die Armee sich in Wahlen einmische. Seit der Staatsgründung der muslimischen Nation im Jahr 1947 regieren die Generäle Pakistan, mal offen, mal eher im Hintergrund.
Inzwischen aber habe der Einfluss des Militärs eine neue Dimension: «Die konstitutionelle Demokratie existiert in diesem Land nicht mehr», konstatiert Sherani. Er steht Khan politisch nahe. Der inhaftierte Ex-Premier habe sich sowohl gegen die Armee als auch die grossen politischen Familiendynastien des Landes aufgelehnt – das sei ihm zum Verhängnis geworden.
Politikverbot aufgehoben
Sherani meint damit die Bhuttos und die Sharifs. Tatsächlich machen sie sich gerade nicht für Khan stark. Ihre Clans haben das Land in den vergangenen Jahrzehnten abwechselnd regiert – in engen Grenzen, mit dem Segen des Militärs, das im Hintergrund die Strippen zieht. Die Bhuttos und Sharifs sind bei den obersten Militärs immer wieder selbst auch in Ungnade gefallen. Das passiert in Pakistan schnell, und genauso schnell kehrt die Gunst wieder zurück.
Das ist gerade wieder einmal zu beobachten. Der Spitzenkandidat der Pakistanischen Muslimliga (PML-N), Nawaz Sharif, hat das Land bereits dreimal regiert, mit mässigem Erfolg, zuletzt unmittelbar vor Khan. Dann kam er nach Korruptionsvorwürfen ins Gefängnis, ging ins Exil und kehrte nun, rechtzeitig zur Abstimmung, wieder nach Pakistan zurück. Dafür hat die Justiz ein Politikverbot gegen ihn aufgehoben. Er gilt als Favorit auf das Amt des Premierministers. Pakistans Politik, so darf man wohl konstatieren, ist ein Drama in Dauerschleife.
41 Prozent der Pakistanerinnen und Pakistaner sind Analphabeten
Pakistan ist ein Land der Extreme, mit wenigen Superreichen und der grossen Masse, die von der Hand in den Mund leben muss – vor allem auf dem Land. Oder, um es in den Worten eines Mannes auszudrücken, der sich mit der sozialen Schieflage seines Landes bestens auskennt: «Pakistan ist ein Paradies für die Reichen und die Hölle für Arme.»
Faisal Edhi leitet die nach seinem Vater benannte Stiftung in der Altstadt von Karachi, einer Metropole mit etwa 20 Millionen Einwohnern im Süden Pakistans. Die Edhi Foundation leistet das, was der pakistanische Staat nicht flächendeckend zu leisten vermag: Edhi-Mitarbeiter bringen mit eigenen Krankenwagen Unfallopfer ins Spital. Sie bergen Erdbebenopfer mit Helikoptern, sie retten Menschen mit Schlauchbooten, wenn wie im Jahr 2022 eine Flut weite Teile des Landes heimsucht.
41 Prozent der Pakistanerinnen und Pakistaner sind nach offiziellen Angaben Analphabeten. Die jungen Menschen brauchen Jobs, eine Perspektive. Das, was jetzt vor der Wahl alle versprechen und niemand einhalten wird. Der Wahlkampf ist von Anschlägen überschattet. Gewissheiten gibt es in Pakistan nur wenige, aber eines steht fest: Die Mehrheit des Volkes leidet – egal wer regiert.
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