Radsport im GrenzbereichDer Kampf um jedes Gramm wird immer extremer
Auf der Jagd nach Hundertstelsekunden tüfteln die Ingenieure an allen möglichen Details. Dabei bedienen sie sich sogar in der Formel 1. Die neuesten Würfe sind nun an der Vuelta zu sehen.
An der Vuelta knöpft Favorit Primoz Roglic (Red Bull-Bora-Hansgrohe) dem überraschenden Leader Ben O’Connor (Decathlon AG2R) in diesen Tagen Minute um Minute ab. Seit Tagen pedaliert er gegen dessen Zeitvorsprung und befindet sich auf einer unerbittlichen Aufholjagd.
In den Monaten zuvor waren es wiederum die Mechaniker und Ingenieure der Teams, die Jagd auf Hundertstelsekunden und überflüssige Milligramme machten. Wo sie nur können, sparen sie bei den Velos Gewicht ein, um die Fahrer an den Aufstiegen schneller zu machen. Und sie tüfteln an der Aerodynamik der Hightechgefährte. Einige Beispiele.
Die Formel-1-Farbe aus Grossbritannien
Das Team Ineos Grenadiers hat seinen Bergvelos den Feinschliff bei einer britischen Formel-1-Firma verpasst. Diese hat deren herkömmliche Farbe erst entfernt, um die Rennräder dann mit einer superleichten Lackierung zu überziehen.
Zu sehen ist diese beispielsweise am Velo des spanischen Bergspezialisten Carlos Rodríguez, wo das Carbon des Rahmens sichtbar ist. Im Vergleich zum vorherigen Modell soll dieser Überzug die Masse des Rahmens um sieben Prozent reduzieren.
Nach dem Motto «Weniger ist mehr» behelfen sich andere Teams, indem sie nur so viel Farbe und Werbung aufs Rad pappen wie gerade nötig. So macht es das Team UAE Emirates von Topstar Tadej Pogacar. Der Tour-de-France-Sieger verzichtet auf die Vuelta und ist dieser Tage in der Schweiz unterwegs, wo er die Strecke der Rad-WM rekognosziert hat.
Sogar der Zeitmesschip ist aerodynamisch
Seit die Rennzeit der Fahrer per Chip gemessen wird, sitzt dieser an der Gabel des Velos. Da war er früher mit Kabelbindern befestigt, inzwischen nehmen die Teams dafür Klebband zur Hand. Denn so klein der Chip auch sein mag, er verursacht am windschnittigen Rahmen unerwünschte Luftverwirbelungen, die Zeit kosten – am abgedeckten Chip sind diese kleiner als am verpackten.
Doch auch wenn wir hier von Zehntel- oder Hundertstelsekunden reden, hat es den Hersteller der Velos von Ineos Grenadiers dazu bewogen, dafür nach einer noch effizienteren Lösung zu tüfteln. So verfügt das neue Gefährt der Equipe nun über eine Art aerodynamische Buchse bei der Radnabe. Darin können die Fahrer ihren Messchip verstecken – und Zeit sparen.
Aerodynamisches Reifenprofil
Insbesondere beim Zeitfahren investieren die Rennställe viel Zeit und Geld, um die sogenannten «marginal gains» (marginale Gewinne) zu erzielen. Die Fahrer sind von Helm bis Schuhüberzug auf Aerodynamik getrimmt – genauso wie ihre Position und ihre Boliden.
Ebenfalls luftoptimiert sind im Peloton an der Vuelta die Reifen einiger Equipen. Jene des aktuellen Gesamtleaders Ben O’Connor beispielsweise rollt mit Pneus, die mit viereckigen Kerben durchsetzt sind. Diese sorgen nicht etwa für mehr Halt. Sie dienen vielmehr dazu, den Luftwiderstand zu reduzieren.
Versteckte Knöpfe statt Hebel
Wenn die Zeitfahrspezialisten wie Stefan Küng in die Pedalen treten, legen sie sich regelrecht aufs Rad. Und zwar so stromlinienförmig wie nur irgendwie möglich. Dabei spielt auch die Haltung der Hände eine Rolle. Während sie einst supermanmässig nach vorn gestreckt waren, liegen sie heute weiter oben und meist so, dass die Fahrer ihr Gesicht dahinter verstecken können. So bieten sie dem Gegenwind weniger Angriffsfläche.
Damit sie diese windschnittige Position nicht verlassen müssen, wenn sie in grössere oder kleinere Gänge schalten, sind die Schalthebel idealerweise dort verbaut, wo die Hände liegen.
Doch längst sind die mechanischen Hebel modernen, elektronischen Knöpfen gewichen. Ein technologischer Fortschritt, der zugleich auch Zeit spart: Die kleinen Knöpfe lassen sich wunderbar so in die Lenkergriffe verbauen, dass die Aerodynamik noch weiter erhöht wird.
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