Britische BestsellerautorinVersunken in Schweizer Klischees
Die Engländerin Julie Caplin lässt sich für ihren Wohlfühlroman von einer Kochbuchautorin in der Schweiz inspirieren. Da wird die Solothurner Torte schon mal zum Nationalgericht.
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Autorin Julie Caplin versinkt derzeit nicht nur im Schnee, sondern auch in Schweizer Klischees. Wenn auch ziemlich erfolgreich: Ihr Roman «Das kleine Chalet in der Schweiz» steht seit vielen Wochen auf der Taschenbuch-Bestsellerliste. Die Britin ist Spezialistin im Genre «Romantic Escape» – kleine, romantische Fluchten: Sie lässt ihre Protagonistinnen regelmässig in fremde Länder reisen, Paris war schon an der Reihe, Island oder Tokio. Und nun also die Schweiz. Hauptfigur Mina fährt von Manchester aus zu ihrer Patentante ins Wallis, genauer: nach Reckingen. Dort verliebt sie sich in einen Briten und absolviert das Touristinnenprogramm: Sie lernt innerhalb eines Tages Ski fahren, macht in Broc bei Cailler Schokolade, die Fertigkeit eignet sie sich ebenfalls in Rekordzeit an, und schaut dem Schnee zu. Wer sich das bildlich vorstellen will: Es ist das Gegenteil von «Tschugger».
Nebenbei lernt Mina Schweizer Spezialitäten backen. Das ist interessant, aber zimperlich darf man als Leserin nicht sein. Mit viel Goodwill kann man schulmeisterlichen Erklärungen Schweizer Geografie und vor allem Backwaren noch etwas abgewinnen, doch es sind halt auch Fehler zu finden. Was dem deutschen Verlag geschuldet ist, denn sie sind vor allem sprachlicher Natur (mal ist von «Zürichern» die Rede, ein anderes Mal von «Sankt Gallen» usw.).
Wer es bis zum Schluss des Wohlfühlromans schafft, erfährt, woher Caplin ihr Wissen über eidgenössische Kuchen hat. Von Andie Pilot, die den Blog Helvetic Kitchen betreibt.
Doch wer ist Andie Pilot? Eine Kanadierin! So halb zumindest. In Calgary mit einer Schweizer Mutter aufgewachsen, lebt Andie Pilot seit über zehn Jahren im Bernbiet, zurzeit im Emmental. Von ihr stammt auch das Rezept am Ende des Romantic-Escape-Romans, wie wir auf Anfrage bei Pilot erfahren: eine Basler Kirschenbrottorte, die man hierzulande auch als Kirschen-Tschu oder Chriesitschoppe kennt. Das Rezept gelingt ohne Probleme, der Kuchen schmeckt wunderbar. Die Bloggerin aus dem Emmental hat auch gerade ein «Schweizer Guetzli»-Buch (sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch) herausgegeben mit den Rezepten ihrer Mutter und ihrer Grossmutter. Bei dem es es nur einen einzigen Schönheitsfehler gibt: Das unschweizerische Unwort «Leckereien» im Titel. Der Rest ist wunderschön – und echt. Andie Pilot liefert auch Tricks und stellt Guetsli-Fabriken vor, und überhaupt merkt man schnell: Diese Frau weiss, wovon sie spricht.
Caplin kennt also all die «Leckereien» nur vom Hörensagen.
Im Gegensatz zu Julie Caplin, der Romanautorin. Die hat sich zwar bei Andie Pilot dafür bedankt, dass sie für ihren Roman «schamlos die Schatzkiste» plündern durfte (die Artikel auf dem Blog gelesen hat). Sie gestand ihr aber auch, dass sie die Recherchen für «Das kleine Chalet in der Schweiz» von England aus getätigt hatte – wegen den Corona-Reiseeinschränkungen! Caplin kennt also all die «Leckereien» nur vom Hörensagen.
Das erklärt auch, warum bei Julie Caplin zum Beispiel die Solothurner Torte zum superbekannten Vorzeigedessert mutiert, das alle kennen. Oder Canapés mit Lachsröllchen (mit Avocado und Meerrettich gefüllt) zu den «Schweizer Spezialitäten» zählen. Sie weiss es einfach nicht besser.
Wohlfühlen kann man sich trotzdem in der Geschichte. Und wer weiss. Vielleicht geht die nächste Escape ja ins Emmental.
Andie Pilot: «Schweizer Guetzli und andere Leckereien», 144 Seiten, Bergli Books, ca. 30 Franken; Julie Caplin: «Das kleine Chalet in der Schweiz», Roman, 416 Seiten, Rowohlt Taschenbuch, ca. 18 Franken
Lust auf noch mehr passives Backen? Hier gehts zu unserem Guetzli-Quartett.
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