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Neuausrichtung der US-Demokraten
Eine 35-jährige Demokratin probt den Aufstand

UNITED STATES - NOVEMBER 19: Rep. Alexandria Ocasio-Cortez, D-N.Y., attends a news conference on Temporary Protected Status (TPS) for Ecuadorians residing in the U.S., outside the Capitol on Tuesday, November 19, 2024. (Tom Williams/CQ-Roll Call, Inc via Getty Images)
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Donald Trump hat die US-Wahlen keineswegs so deutlich gewonnen, wie er bei jeder Gelegenheit behauptet. Das offizielle Endresultat liegt noch immer nicht vor, aber gemäss den jüngsten Umfragewerten landet er bei 49,9 Prozent der Stimmen, rund 1,5 Prozentpunkte vor Kamala Harris. Es ist kein besonders deutliches.

Dennoch verfielen die Demokraten nach der Niederlage in eine Schockstarre. Harris erholte sich zunächst in Hawaii, seither verschanzt sie sich in ihrer Residenz im Naval Observatory in Washington. Öffentliche Auftritte bestreitet sie kaum mehr. Auch von Präsident Joe Biden ist wenig zu hören. Während sich Trump in Mar-a-Lago von Karrieristen, Wirtschaftskapitäninnen und Politikern aus aller Welt umschwänzeln lässt, flog Biden zu Staatsbesuchen nach Afrika, wo er sich zuvor vier Jahre lang nie hatte blicken lassen. Aber Trump bietet er nicht die Stirn.

Alexandria Ocasio-Cortez will Widerstand leisten

Nun versucht eine neue Generation von Demokraten, den Widerstand gegen Donald Trump und seine Republikaner zu organisieren. Dabei wollen sie ihren fatalen Fehler der Präsidentschaftswahl vermeiden, bei der sie zuliessen, dass sich der alternde Präsident ohne Konkurrenz noch einmal zum Kandidaten erklären konnte. Bis es zu spät war. Im Kongress sollen nun altgediente Demokraten rechtzeitig den Nachwuchskräften Platz machen, damit die Partei ihre Oppositionsrolle besser nutzen kann.

Alexandria Ocasio-Cortez will dabei zu einem der wichtigsten Gesichter des Widerstands werden. Die mediengewandte 35-jährige Abgeordnete aus New York macht dem 74-jährigen Gerry Connolly aus Virginia den Spitzenposten im Aufsichtsausschuss streitig. Die Kandidatur ist eine Abkehr von der Tradition der Demokraten, dass jeweils die amtsältesten Repräsentanten die Führung übernehmen. Bei der Wahl in den nächsten Tagen geht es nicht bloss um eine kleine Palastintrige. Gerungen wird um das künftige Erscheinungsbild der Demokraten in der Öffentlichkeit. Als sogenannte «ranking member» würde Ocasio-Cortez zur Wortführerin der Partei in den Anhörungen des mächtigen Kongressausschusses. Das soll eine Chance darstellen, die Position der Opposition kamerawirksamer an die Wählerschaft zu bringen. Zu vollbringen, was Joe Biden nicht mehr vermochte und auch Kamala Harris in ihrer Sprintkampagne nicht gelungen ist.

Wenn Ocasio-Cortez sich ins Feuer redet, erntet sie mit ihren Videos Millionen von Klicks in den sozialen Medien, ihr Kürzel AOC hat sie damit zu einer national bekannten Marke gemacht. Unfreiwillig helfen ihr dabei auch Trump-Konservative mit ihrer machoiden Bro-Kultur, die sich von der feministischen New Yorkerin zur Weissglut treiben lassen. Sie ist bereits jetzt eines der bekanntesten Gesichter der Partei, besonders in der Online-Welt, mit der die Demokraten und vor allem Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris Mühe bekundet hatten.

Ocasio-Cortez dürfte Wahl für sich entscheiden

Als erste US-Demokratin zählt Ocasio-Cortez seit kurzem eine Millionen-Gefolgschaft bei der rasant wachsenden Social-Media-Plattform Bluesky. Dort finden Scharen von Internetnutzern Zuflucht, die sich nach dem Rechtsruck von X nicht mehr auf der Plattform von Trump-Einflüsterer Elon Musk aufhalten wollen. Viele Demokraten hoffen überdies, dass es der Frau mit Wurzeln in Puerto Rico besser gelingt, die Latinos und Latinas anzusprechen, die bei der Wahl scharenweise das Lager gewechselt und für den Republikaner gestimmt haben.

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Ocasio-Cortez die parteiinterne Kampfwahl für sich entscheiden und die jüngste Anführerin der Demokraten in einem Kongressausschuss wird. Es sei gerade ein «Generationenwechsel» im Gang, sagte Hakeem Jeffries, als er vergangene Woche über seine Prioritäten im neuen Kongress Auskunft gab.

House Minority Leader Hakeem Jeffries, D-N.Y., responds to reporters during his weekly news conference at the Capitol in Washington, Friday, Dec. 6, 2024. (AP Photo/J. Scott Applewhite)
Hakeem Jeffries

Der New Yorker wird weiterhin als Minderheitsführer im Repräsentantenhaus wirken und damit jene Rolle ausführen, die er vor zwei Jahren übernommen hatte, ebenfalls als Zeichen des Generationenwechsels. Im Senat wird Chuck Schumer seine Führungsrolle bei den Demokraten behalten, in der kleinen Parlamentskammer ticken die Uhren anders als im grossen House.

Insgesamt vier Parteisenioren im Repräsentantenhaus sehen sich mit jüngeren Bewerbern um ihre Ausschussmandate konfrontiert, zwei haben bereits mehr oder weniger freiwillig ihren Verzicht erklärt. Der 77-jährige Jerry Nadler beispielsweise zog sich zurück von seinem Posten im Justizausschuss. Nun wird dort der 62-jährige Jamie Raskin gegen rechtsstaatliche Sündenfälle der Trump-Regierung anreden, eine Aufgabe, die der frühere Professor für Verfassungsrecht schon im Untersuchungsausschuss zum Capitol-Sturm wirkungsvoll erledigt hatte.

WASHINGTON, DC - NOVEMBER 19: House Oversight Committee Ranking Member Rep. Jamie Raskin (D-MD) participates in a hearing with Administrator of the U.S. Federal Emergency Management Agency (FEMA) Deanne Criswell during an Oversight Committee Hearing at the Rayburn House Office Building on November 19, 2024 in Washington, DC. Criswell testifies during a hearing on oversight of FEMA and their response to Hurricanes Milton and Helene.   Kevin Dietsch/Getty Images/AFP (Photo by Kevin Dietsch / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

Die Kampfansage von Alexandria Ocasio-Cortez erhält mitten in diesem Umbruch am meisten Beachtung, weil sie ein weiteres Zeichen dafür ist, dass die wortgewandte Politikerin nach höheren Weihen strebt. Als AOC 2018 zu ihrer ersten Kongresswahl antrat, führte sie ihre Kampagne aus einer New Yorker Bar, wo sie damals ihr Geld als Serviceangestellte verdiente – und verdrängte gleich einen altgedienten und mächtigen Demokraten. Kaum in Washington angekommen, legte sie sich mit dem Parteiestablishment an, organisierte einen Sitzstreik im Büro der damaligen Mehrheitsführerin Nancy Pelosi und gründete die Squad mit, eine aufmüpfige Gruppe besonders linker Abgeordneter.

Ausrichtung der Demokraten im Gang

Der Aufstieg von Alexandria Ocasio-Cortez wirft darum auch die Frage auf, ob die Demokraten insgesamt nach links rücken werden. Nach der Wahlniederlage ist auch die Debatte über die künftige Ausrichtung der Partei derzeit voll im Gang. Allerdings streiten die verschiedenen Lager vorerst noch darüber, warum die Wählerinnen und Wähler sich lieber der Alternative zuwandten, sowohl für das Weisse Haus als auch für beide Kongresskammern. War es der zu alte Präsidentschaftskandidat? War es die Inflation als Folge der Covid-Pandemie? War es die Einwanderung? Ist die Partei zu woke für Latinos und Afroamerikaner? Zu abgehoben für die Arbeiterschaft? Oder ein bisschen von allem?

Die Antwort ist für viele Demokraten noch nicht eindeutig, und noch viel weniger herrscht Einigkeit darüber, was das für den Kurs der Partei bedeutet. Squad-Frau Ocasio-Cortez jedenfalls zeigt sich zunehmend flexibel, hat sich nach ihren rebellischen Anfangsjahren mit dem Establishment versöhnt und zahlt neuerdings sogar ihre Abgaben in die Spendentöpfe der Partei, was sie zu Beginn ihrer Karriere im Kongress öffentlichkeitswirksam verweigert hatte. Sie legte sich überdies als Aushängeschild für Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ins Zeug, obwohl sie in einem der wichtigsten Streitthemen der Demokraten, dem Umgang mit Israel und Gaza, überhaupt nicht auf der Linie des Duos Biden/Harris lag. Nach ihrer Rede am Parteitag der Demokraten erhielt sie so begeisterten Applaus, dass Vergleiche mit Barack Obama laut wurden, der als junger State Senator mit einem charismatischen Auftritt vor dem Parteitag seinen kometenhaften Aufstieg auf der nationalen Bühne eingeleitet hatte.

Wohin sich die Partei nun politisch bewegen wird, dürfte sich in den nächsten Monaten erst nach und nach herausschälen. Ein wichtiger Zwischenschritt dabei wird die Wahl des neuen Parteipräsidenten im Februar sein. An den Namen jener Person werden sich die wenigsten Amerikaner erinnern – doch kann sie die künftige Positionierung der Partei entscheidend mitgestalten. Um das Präsidium haben sich die Parteipräsidenten von Minnesota und Wisconsin beworben, der frühere Gouverneur von Maryland und ein Senator in New York, allesamt weisse Männer.

Sie versprechen alle vier, mit Wirtschaftspopulismus Wähler zurückzugewinnen, ohne genauer auszuführen, was das bedeuten soll. Der Sieger wird aber schnell Konkretes liefern müssen: Bereits in zwei Jahren finden schon wieder Zwischenwahlen statt. Und wenig später werden bereits die Kampagnen für die nächsten Präsidentschaftsvorwahlen beginnen. Noch halten sich die potenziellen Anwärterinnen und Anwärter bedeckt. Schon bald aber werden sie beginnen müssen, Geld zu sammeln. Auch Kamala Harris, falls sie an ihrem Versprechen festhält, den Kampf noch nicht aufgegeben zu haben.

Korrektur vom 26. Dezember 2024: In einer früheren Version dieses Artikels stand fälschlicherweise, Donald Trump habe als erster Republikaner seit Ronald Reagan bei der Präsidentschaftswahl das Volksmehr gewonnen. Das trifft nicht zu. George H.W. Bush holte 1988 das Volksmehr, George W. Bush bei seiner zweiten Wahl im Jahr 2004 ebenso.