Zukunftsangst bei den US-DemokratenWer ist schuld an der Wahlniederlage von Kamala Harris?
Nach dem Schock der Wahlniederlage folgt der Frust. Bidens späte Auswechslung gerät in den Fokus. Und die Frage, wer nun die Führung in der Partei übernehmen soll.
- Joe Biden muss Donald Trump nach der Wahl das Präsidentenamt übergeben.
- Die Demokraten stehen unter Schock und suchen nach Gründen für die Niederlage.
- Kritiker hinterfragen Bidens erneute Kandidatur und Kamala Harris’ Chancenlosigkeit.
- Die Demokraten müssen sich bis 2026 neu erfinden und interne Konflikte bewältigen.
Joe Biden setzt kurz seine Sonnenbrille auf, Modell Aviator, es sind nur wenige Schritte vom Oval Office zum Rosengarten am Weissen Haus. Kein angenehmer Gang für ihn bei 26 Grad im November, zwei Tage nach der Wahl. Der US-Präsident am blauen Rednerpult erzählt seinem Publikum jetzt, wie er bald Donald Trump als Nachfolger begrüssen wird. «Am 20. Januar werden wir hier in Amerika eine friedliche Machtübergabe erleben», sagt Biden, viel mehr kann er für sein Land nicht mehr tun.
Sieben Minuten dauert diese Rede, darin liegt nach 51 Jahren Spitzenpolitik geballte Tragik. Dieser Demokrat hatte den Republikaner vier Jahre zuvor besiegt, anders als Hillary Clinton 2016 und soeben Kamala Harris. Trump schien damals erledigt zu sein, auch wenn er die Niederlage bis heute leugnet. Nun kehrt er mit voller Wucht zurück, mächtiger denn je. Biden muss ihm das Amt abtreten, das er ihm entrissen hatte – und es schon als Erfolg verbuchen, dass Chaos und Gewalt deswegen ausbleiben könnten.
Wieso gewinnt ein Straftäter so lässig?
Am Mittwoch hatte die Wahlverliererin Harris an der Howard University im Nordwesten Washingtons ihre Anhänger getröstet, am Donnerstag bespricht Biden die Niederlage, die auch seine ist. «Wir haben diese Schlacht verloren», sagt er. «Wir werden das schon schaffen.» Was für ein Kontrast zum Parteifest im August in Chicago, als Biden auch symbolisch seiner Vizepräsidentin Platz machte, als die Clintons, die Obamas und Oprah Winfrey das Publikum in Ekstase versetzten, als die Kandidatin strahlend ins Rennen ging.
Drei Monate später findet sich dieselbe Partei in Schockstarre wieder, die Suche nach der Schuld hat begonnen. Wie konnte das passieren? Wie kann es sein, dass ein verurteilter Straftäter, Mehrfachangeklagter und Serienlügner mehr als das halbe Land überzeugt und diese frühere Strafverfolgerin so lässig bezwingt? Wieso sind ihm trotz rassistischer Hetze und Sexismus selbst eine Menge Latinos gefolgt und zahlreiche Frauen?
Bei der Suche nach Antworten landen die Kritiker auch bei Joe Biden, sie melden sich auf allen Kanälen. 2020 war der frühere Vizepräsident ja vor allem deshalb angetreten, weil er den USA genau dies ersparen wollte. Diese neue Bewerbung war nach inzwischen allgemeiner Auffassung falsch, Biden wollte eigentlich ein Mann des Übergangs sein. Er ist 81, sein Auftritt beim TV-Duell Ende Juni war ein Desaster vor Millionenpublikum. Harris hatte dann gut 100 Tage Zeit, um sich von einer weitgehend unsichtbaren Stellvertreterin in die erste Präsidentin der US-Geschichte zu verwandeln. Es misslang trotz beherzten Einsatzes krachend.
Chancenlos – trotz finanziellem Vorteil
Trumps Klassiker Inflation und Immigration zogen mehr als ihre Themen, auch Bidens «Kampf um die Seele der Nation» ging in wesentlichen Teilen des Landes unter. Die amerikanische Wirtschaft hat sich unter ihm verblüffend erholt, aber das kommt in weiten Teilen Amerikas offenkundig nicht an. Dazu kam unter anderem der chaotische Abzug aus Afghanistan. Biden jedenfalls ist ungeachtet seiner Erfolge unbeliebt – und Harris fand keine Distanz zu ihrem Chef. Trump gilt dem Gros der Wählerschaft als Symbol des Wandels, nicht sie.
Besonders in den Swing-States sahen die Demokraten schlecht aus. Sie gaben gut 1,2 Milliarden Dollar aus, mehr als die Republikaner. Türklopfen und Fernsehspots liefen gegen Trumps Maga-Apparat ins Leere. Matt Bennett von der sozialdemokratischen Organisation Third Way formuliert für «Politico» einen simplen Rat. «Die Demokraten müssen wieder die Partei sein, die eine Mehrheit der Wähler für vernünftiger hält», sagt er. In vielen Ländern verdrängen Rechtspopulisten traditionelle Politiker, fast überall geht die Wut über zu hohe Preise und zu viele Immigranten um. Die Demokraten haben dieses Gefühl unterschätzt, weil sie, grob gesagt, vermutlich eine Partei der liberalen Metropolen geworden sind, weit weg von Arbeitern und Provinz.
Was wird aus Kamala Harris?
Taylor Swift, Beyoncé, George Clooney, Arnold Schwarzenegger, nichts und niemand hat entscheidend geholfen. Die Unterstützung der republikanischen Anti-Trumps Liz und Dick Cheney gilt sogar als Fehler, weil sie mit Kriegen in Verbindung gebracht werden. Die Republikaner haben sich Trumps Maga-Bewegung unterworfen, mit ihm als Boss. Die Demokraten sind ab sofort führerlos. Bis zu den nächsten Zwischenwahlen 2026 müssen sie sich neu erfinden.
Frust und Grabenkämpfe werden die Democratic Party bis auf weiteres beherrschen. Nach wie vor hat sie populäre Gouverneure wie Josh Shapiro in Pennsylvania, Gretchen Whitmer in Michigan oder Gavin Newsom in Kalifornien. Hätte es einer oder eine von ihnen versuchen sollen, mindestens als Running Mate von Kamala Harris statt Tim Walz aus dem unbedeutenden Minnesota? Hätten die Demokraten echte Vorwahlen veranstalten sollen, damit Harris früher geprüft und landesweit bekannt geworden wäre (lesen Sie hier im Interview, wieso Harris für viele keine Option war)?
Der scheidende Verkehrsminister Pete Buttigieg und die genannten Provinzfürsten könnten Ansprüche anmelden. Der linke Flügel um Alexandria Ocasio Cortez wird wieder lauter werden, Bidens Treue zu Israel hatte in diesem Lager Stimmen gekostet. Den Senat haben die Demokraten bereits verloren.
Vielleicht bemüht sich Kamala Harris wieder um einen Senatsposten – eher unwahrscheinlich. Vielleicht bewirbt sie sich 2028 erneut um die Präsidentschaft. Möglich, sofern Donald Trump das System nicht komplett aus den Angeln reisst.
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