Analyse zur US-AussenpolitikJoe Biden kämpft an zwei Fronten – und zu Hause tickt die Uhr
Der Präsident will zugleich den Iran zähmen und Israel zu einer Zweistaatenlösung zwingen. Die Doppelstrategie ist klug. Wenn nur die Wählerinnen und Wähler nicht wären.
Joe Biden führt im Nahen Osten einen Krieg an gleich drei Fronten: politisch, diplomatisch und militärisch. Ohne Zweifel hat sich der amerikanische Präsident in eine hochkomplexe Lage manövriert – oder manövrieren lassen. Denn die Ereigniskette lässt den USA keine andere Wahl, als ihre Interessen mit Wucht zu verfolgen und ein klares Ziel in diesem vielschichtigen Konflikt zu definieren.
Hielte sich Biden zurück, würde er zum Getriebenen und schliesslich zum Opfer – Opfer der israelischen Hardliner um Premier Benjamin Netanyahu, Opfer des Iran und dessen mehr oder weniger unkontrollierbarer Milizen und schliesslich Opfer der eigenen Ambitionen. Denn in Nahost steht nicht weniger als die Glaubwürdigkeit einer Supermacht zur Disposition.
Ziele sind klar definiert
Militärisch sind die amerikanischen Ziele klar definiert, der Präsident benennt sie mit grösster Transparenz und macht damit deutlich, zu welchem Ende die USA Waffen einzusetzen bereit sind. Biden kündigte also im Wissen um die eigene Überlegenheit begrenzte Luftschläge als Vergeltung für drei getötete US-Soldaten und die Angriffe der diversen Milizen in Syrien, im Jemen oder im Irak an. Er betont stets, dass er keine Eskalation wünscht, spricht von der Begrenztheit der Vergeltungsschläge und hofft so auf Eindämmung. Dies ist in der Geschichte der Kriegsführung eine gern genutzte Strategie, um eine militärische Eskalation zu vermeiden.
Die Botschaft ist vorrangig an den Iran gerichtet, wo das alles andere als monolithische Regime auch kein Interesse an einem unkontrollierten Flächenbrand und an einer direkten Auseinandersetzung mit den USA haben kann. Zwischen dem iranischen und dem amerikanischen Spiegelgefecht stehen aber kaum zu kontrollierende Milizen, die im Namen der palästinensischen Sache ihre Kämpfer motivieren und getrieben sind vom Wunsch, die USA aus der Region zu vertreiben und mithin Israel die Lebensgrundlage als Staat zu entziehen. Biden hofft, dass er mit wenigen Schlägen die Kraft dieser Milizen brechen und sie von ihren Guerillaaktionen abbringen kann.
Der zentrale Brandherd
Hier öffnet sich die diplomatische Front Bidens, denn dieses Feuer wird nicht gelöscht sein, solange der zentrale Brandherd nicht erstickt ist – der israelisch-palästinensische Urkonflikt um Land und Staat. Seit den grossen Intifadas hat keine US-Regierung so bedingungslos die Gründung eines palästinensischen Staates verlangt, wie es nun Biden und sein aussenpolitischer Kopf Antony Blinken tun. Amerikas Aussenminister wird auch in dieser Woche während seiner Reise durch die Region die Alternativlosigkeit dieses politischen Generalplans klarmachen – und damit der Regierung Netanyahu ihr Ende signalisieren.
Zwar strotzt der Biden-Plan mehr vor prinzipieller Überzeugung als vor Ideen, wie zwei Staaten im Detail entstehen und funktionieren können. Aber es ist diese Überzeugung, die Amerika erstens zum Garanten eines Friedensprozesses machen würde und zweitens zum Wächter über die militärische Sicherheit Israels und die innere Funktionsfähigkeit eines palästinensischen Staates. Das ist eine gewaltige Bürde, aber jede Alternative würde die Ausweitung des Krieges zunächst auf die Hizbollah im Libanon und in zügiger Folge auf den Iran unvermeidbar machen.
Die eigene Nation nicht stören
Einmalig ist auch das Zerwürfnis zwischen einer amerikanischen und einer israelischen Regierung. Hier ist Biden nicht zwangsläufig der Stärkere, auch wenn er mit der Einstellung der militärischen Unterstützung drohen sollte. Netanyahu aber weiss, dass die Drohung am Ende hohl ist, weil keine amerikanische Regierung Israel aufgeben und ihre Führungsrolle für einen der globalen Symbolkonflikte abgeben kann.
Spätestens hier ist Biden an seiner dritten Front angelangt, die ihn in die Tiefen der Innenpolitik führt. Der Präsident führt einen Krieg, aber die eigene Nation darf davon nicht gestört werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die amerikanische (Wahl-)Bevölkerung von Argumenten wie globaler Verantwortung, Wirkmacht in der Welt oder Systemrivalitäten beeinflussen liess.
Zehn Monate vor der Präsidentschaftswahl muss die Welt von der Heimat ferngehalten werden. Die inneren Unsicherheiten sind so gross, dass die äusseren Gefahren nur als Belästigung empfunden werden. Wirklich treffen können sie das Land nicht, warum also sich verstricken in einen kaum zu erklärenden Konflikt, der auch noch innenpolitisch instrumentalisiert wird: von der Israel-Lobby oder den linken Demokraten?
Biden steckt also in einem kaum zu lösenden Dilemma. Der Nahe Osten erfordert eigentlich die geballte Wucht der amerikanischen Politik – aber der Präsident kann sich aus innenpolitischen Zwängen eher nur beiläufig darum kümmern. Seine Doppelstrategie – Zweistaatenlösung und die iranische Eindämmung – mag klug sein, vermutlich ist sie gar zwingend, weil ohne Alternative. Aber die Uhr läuft gegen den Präsidenten.
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