Humanitäre Lage in GazaUSA drohen Israel mit Kürzung von Militärhilfe – zu einem brisanten Zeitpunkt
Washington stellt eine Art Ultimatum: Die Situation der Menschen im Gazastreifen müsse spürbar verbessert werden. Sonst droht ein Waffenembargo.

- Das Weisse Haus hat Israel mehr Schutz und Mittel zugesichert, um sich gegen den Iran zu verteidigen.
- Gleichzeitig fordern die USA, dass Netanyahu die humanitäre Katastrophe in Gaza lindern müsse.
- Israel könnte versucht sein, wegen der US-Wahlen die gesetzte Frist einfach verstreichen zu lassen.
Eben erst hat Präsident Joe Biden angeordnet, Abwehrraketen mit 100 Soldaten in Israel zu stationieren, um die Verbündeten vor dem Iran zu schützen. Gleichzeitig aber hat die US-Regierung dem Kabinett von Benjamin Netanyahu ein Ultimatum gestellt, wie nun bekannt wird. Die israelische Führung habe 30 Tage Zeit, um die humanitäre Katastrophe in Gaza zu lindern, schrieben Aussenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin am Sonntag in einem Brief, der am Dienstag publik wurde. Die US-Regierung sei «tiefst besorgt» über die sich zuspitzende humanitäre Lage in Gaza.
Andernfalls, so warnen die amerikanischen Minister etwas gewunden, müssten die Vereinigten Staaten überprüfen, ob alle Bedingungen für die US-Gesetze über Waffenexporte und Militärhilfe erfüllt sind – etwa jene zur humanitären Hilfe und zur Einhaltung des Kriegsrechts, beispielsweise des Schutzes von Zivilisten. Mit anderen Worten: Falls Israel nicht dafür sorgt, dass ausreichend Nahrung und Medizin nach Gaza gelangen, droht Washington, die Lieferung von Kriegsmaterial auf den Prüfstand zu stellen, ohne das allerdings explizit zu sagen. (Lesen Sie auch: 99 US-Ärzte beklagen «unfassbare Verbrechen» Israels in Gaza.)
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Regierungssprecher in Washington lehnten es ab, die Konsequenzen auszuführen, die Israel zu befürchten hätte. Es gehe darum, dass Israel jetzt konkrete Massnahmen ergreife. Einen ähnlichen Brief hatten die Amerikaner schon im April nach Israel geschickt, sie drohten damals ebenfalls indirekt damit, die Waffenexporte zu pausieren. Damals reagierte Netanyahu rasch auf die Drohung, die Abwicklung von Lastwagen an der Grenze zu Gaza nahm Fahrt auf, Israel öffnete weitere Übergänge für Hilfslieferungen.
Inzwischen aber ist der Fluss der lebenswichtigen Güter wieder ins Stocken geraten. Die humanitären Lieferungen seien jüngst halbiert worden, sagte Matthew Miller, Sprecher des Aussenministeriums. Im September seien sie gar auf das tiefste Niveau seit Kriegsbeginn gefallen, entsprechend angespannt ist die Lage der in Gaza eingeschlossenen Menschen.
Nun müsse Israel täglich mindestens 350 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Gaza passieren lassen und dafür einen fünften Grenzübergang öffnen, verlangt die US-Regierung in ihrem jüngsten Brief. Zudem müsse die israelische Armee humanitäre Pausen bei allen Kampfhandlungen vorsehen, damit Impfaktionen stattfinden und die Hilfen verteilt werden könnten. Insbesondere bei den angekündigten Militäraktionen im Norden des Gazastreifens seien Zivilisten zu schützen.
Israel gerät international unter Druck
Den Brief schickte die US-Regierung in einer Phase, in der Israel international zunehmend unter Druck gerät. Eben erst hat das Weisse Haus Netanyahu wissen lassen, dass es die Bombardierung der libanesischen Hauptstadt Beirut nicht goutiere. Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte nach dem Eindringen israelischer Truppen in einen Stützpunkt der UNO-Friedenstruppen im Libanon, dass Israel die Beschlüsse der Vereinten Nationen nicht missachten könne. Und auch in Deutschland läuft die Diskussion über Waffenlieferungen nach Israel heiss.

Auffällig am Brief der USA ist, dass die Frist von 30 Tagen erst nach den US-Präsidentschaftswahlen vom 5. November ausläuft. Eine Lesart davon ist, dass Joe Biden dann mehr Spielraum hätte, Israel hart anzugehen, ohne den Wahlkampf von Kamala Harris zu beeinträchtigen. Die Demokratin versucht derzeit einen Spagat, indem sie Israel stets ihrer unverbrüchlichen Unterstützung versichert, gleichzeitig aber mehr Schutz für die Palästinenser verlangt und betont, diese hätten ein Recht auf Selbstbestimmung. Am Sonntag schrieb die Vizepräsidentin, nach UNO-Angaben seien seit zwei Wochen keine Nahrungsmittel mehr in Gaza eingetroffen. Israel müsse mehr unternehmen, um das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.
Krieg in Nahost hat Einfluss auf US-Wahlkampf
Die Mehrheit der US-Wählerschaft gibt in Umfragen an, hinter Israel zu stehen. Doch Harris muss auch Rücksicht nehmen auf linke Gruppierungen und muslimische Wähler, die über die blutigen Kämpfe in Gaza und im Libanon erzürnt sind. Sollten sie Harris ihre Stimmen verweigern, könnten sie ihr besonders im Swing-State Michigan eine Niederlage zufügen – und damit möglicherweise auf nationaler Ebene.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu könnte allerdings versucht sein, die amerikanische Frist ungenutzt verstreichen zu lassen. In der Hoffnung, dass sein Freund Donald Trump die Wahl gewinnt. Er könnte darauf spekulieren, dass es Joe Biden in den letzten Wochen seiner Amtszeit nicht mehr riskieren würde, Israel tatsächlich zu bestrafen – und dass Trump ihn frei gewähren lassen würde.
Während die Spannungen zwischen den USA und Israel zunehmen, was das Vorgehen in Gaza und im Libanon betrifft, scheinen sich die Länder hingegen in der Frage über den richtigen Umgang mit Iran anzunähern. In Washington hiess es, Israel habe zugesichert, beim nächsten Vergeltungsschlag ausschliesslich iranische Militärstellungen anzugreifen, die Öl- und Atomanlagen hingegen nicht ins Visier zu nehmen.
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