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Essay zur US-Wahl
Biden oder Trump? Weder noch, sagt das Silicon Valley

In this combination of photos, President Joe Biden speaks on Aug. 10, 2023, in Salt Lake City, left, and former President Donald Trump speaks on June 13, 2023, in Bedminster, N.J. (AP Photo)
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Der perfekte Silicon-Valley-Kandidat für das Amt des US-Präsidenten war kürzlich in China. Unter anderem war er zu Gast in der Gigafactory des Elektroautobauers Tesla in Shanghai und sagte Folgendes: «Der Personentransport wird gerade von Grund auf verändert. Mithilfe künstlicher Intelligenz dürfte es nicht lange dauern. Es wird sehr bald fliegende Taxis ohne Piloten geben.»

Das sind Sätze, die Tesla-Chef Elon Musk und so ziemlich jeder im Techniktal an der Pazifikküste gerne hört: Sie klingen optimistisch und vor allem danach, die Visionäre möglichst ohne Kontrolle oder Restriktionen forschen zu lassen, damit Zukunft schnell Gegenwart wird. Der besagte Politiker ergänzte dann auch, man dürfe «die Gestaltung dieser Zukunft auf gar keinen Fall anderen überlassen».

Es war nicht Joe Biden, der das sagte. Der traf sich zwar in Kalifornien mit Chinas Staatsoberhaupt Xi Jinping, jedoch sagt er solche Sätze über die Techbranche eher selten; die Amerikaner (und nicht nur die) tun sich überhaupt schwer damit, die Worte «Biden» und «Zukunft» zu kombinieren.

Trump enttäuschte die Techkonzerne

Gavin Newsom sagte diese Sätze. Der Gouverneur von Kalifornien kandidiert nicht, wird aber von Republikanern ins Spiel gebracht. Das verblüfft, denn Newsom ist Demokrat. Er wird ein Jahr vor der Wahl von Bidens heftigsten Kritikern – in der Gewissheit, dass dem die Nominierung de facto nicht zu nehmen ist – hingestellt als die dynamischere, tatkräftigere, zukunftsgewandtere Variante. Neben der Joe Biden noch tattergreisiger wirkt, als er das ohnehin schon ist. Newsom ist eitel, Kritiker nennen ihn «Gouverneur Haargel», er reagiert darauf mit Lausbubenlächeln. Er ist jedoch auch ein ausgebuffter Politiker, deshalb reagiert er auch auf Fangfragen, von Fox-News-Scharfmacher Sean Hannity etwa («Würden Sie eine Nominierung unter allen Umständen ablehnen?»), mit Lausbubenlächeln und sagt: «Natürlich würde ich ablehnen.»

Ein Jahr vor der Wahl ist angesichts der Anwärter eines gewiss: Gewinnen wird ein sehr alter Mann, und die Techbranche spricht vielen Amerikanern aus der Seele, wenn sie über das Zurückhalten von Spendengeldern mitteilt: Biden (81) und Donald Trump (77) sind die jeweils schlechtestmöglichen Kandidaten beider Parteien.

Anfang Oktober veranstaltete Risikokapitalgeber Chamath Palihapitiya eine Spendengala in seiner Villa in Palo Alto. Die Mitgastgeber: Investor David Sacks (hatte 2016 mit 75’000 Dollar den Wahlkampf von Hillary Clinton unterstützt), Hedgefonds-Manager Brad Gerstner (zitierte im Januar auf X, damals noch Twitter, begeistert New Jerseys Gouverneur Phil Murphy: «Ich bin Demokrat – aber auch kaltblütiger Kapitalist»), Krypto-Investor Matt Huang. Palihapitiya hat laut «San Francisco Chronicle» in seiner Karriere insgesamt 1,3 Millionen Dollar an Demokraten gespendet. Jetzt aber wollte er, dass die Gäste – der berühmteste: Elon Musk – für 50’000 Dollar pro Eintrittskarte einen Republikaner kennen lernten: Vivek Ramaswamy. Der liegt in aktuellen Umfragen etwa gleichauf mit Ron DeSantis und Nikki Haley, alle drei deutlich hinter Trump.

Das Valley ist politisch rechts und sozial links

Ramaswamy, 38 Jahre alter Multimillionär (das Magazin «Forbes» schätzt sein Vermögen auf 950 Millionen Dollar; er wurde reich als Biotech-Firmengründer und Investor), stilisiert sich als dynamischere, tatkräftigere und unbelastete Variante von Trump. Einer, der die Versprechen halten wird, von denen sie im Silicon Valley gehofft hatten, dass Trump sie halten würde während seiner ersten Amtszeit: starke Deregulierung, unternehmerfreundliche Gesetze, keine Aufsicht beim Experimentieren mit Technologien wie künstlicher Intelligenz, Kryptowährungen, Robotaxis. Doch Trump legte sich immer wieder mit Big Tech an, was vor allem seinen Anhängern am frustriert-rechten Rand gefiel. Eine Person aus dem engen Umkreis der Techmilliardäre sagt: «Er hat all die Allianzen, die er vor der Wahl geschmiedet hatte, irgendwann enttäuscht oder gebrochen. Er hätte es viel einfacher haben können.»

Keith Rabois ist ein Mitglied der sogenannten «Paypal-Mafia», zu der Gründer, Investoren oder frühe Angestellte des Bezahldienstleisters gehören, Leute also wie Musk, Sacks und Peter Thiel. Mittlerweile ist Rabois Manager bei Founders Fund, der Investmentfirma von Thiel, der 2016 Trump unterstützt, ihn danach beraten und bei den Midterms 2022 die von Trump ausgewählten Kandidaten gefördert hatte. «Trumps grosses Problem: Er war undiszipliniert, Charakterschwächen sabotierten politische Reformen», sagte Rabois kürzlich der «Washington Post». «Er hat nur für Chaos gesorgt, und deshalb hat er nicht geliefert.» Ja, er sagte: geliefert. Thiel hat mittlerweile gesagt – er gab in «The Atlantic» sogar das Versprechen ab –, sich aus der Wahl 2024 heraushalten zu wollen. Rabois tut das nicht, er unterstützte Nikki Haley kürzlich mit einer Spendengala.

«Das Problem ist, dass die meisten Leute im Silicon Valley politisch konservativ sind – aber nicht gesellschaftlich», sagt eine Person, die im Techniktal zwischen Geldgebern und Anwärtern vermittelt. Eine andere Person, die auch anonym bleiben will, wird deutlicher: «Die Debatte, was an Schulen in puncto Rassismus- und Sexismusgeschichte gelehrt werden soll, wer auf welche Gendertoilette geht, ob es Frauen- und Minderheitenquoten gibt, erachten die Leute im Silicon Valley zumindest auf rein politischer Ebene für nicht so bedeutsam wie die Frage, ob die USA der Ort sind, um möglichst frei von Restriktionen an Visionen arbeiten zu können.» Auch wenn Kalifornien gesellschaftlich linksliberal bleibt – und es gibt kein Anzeichen, warum sich daran mittelfristig etwas ändern sollte –, unterstützen die Techmilliardäre auf Bundesebene Bewerber, die ihnen grösstmögliche Freiheit versprechen.

Es gehört zu den Grundrechten einer Demokratie, dass jeder aus seinen ganz persönlichen Gründen wählen oder unterstützen darf, wen er will. Das Kalkül im Techtal 2016 war also ganz einfach ein egoistisches: Trump würde mehr für sie tun als Clinton.

Sie wollen Trump als Kandidaten verhindern

Trump hatte in den Jahren 2015 bis 2020 zahlreiche Geldgeber aus dem Silicon Valley: Thiel (1,25 Millionen Dollar für den ersten Wahlkampf), Risikokapitalgeber Doug Leone (200’000 Dollar), Oracle-Gründer Larry Ellison (lieh Trump sein Haus für eine Spendengala 2020) oder Sun-Microsystems-Gründer Scott McNealy (500’000 Dollar), der 2019 eine 100’000-Dollar-pro-Ticket-Spendengala für Trump veranstaltete. Jetzt: auffällige Ruhe um Trump.

Das Problem in einem Zweiparteiensystem mit gesellschaftlichem Graben, tiefer als der Grand Canyon: Wen soll man wählen, wenn man umweltbewusst und gesellschaftlich eher linksliberal ist, aber auch wirtschaftsfreundlich und gegen allzu grosse Einmischung des Staates? Die Antwort der Techbranche darauf spricht vielen Amerikanern aus der Seele: keinesfalls Biden, keinesfalls Trump.

Die Konsequenz daraus ist deshalb pragmatisch: Biden ist amtierender Präsident und als Kandidat der Demokraten de facto nicht zu verhindern. Die einzige Lösung aus Sicht des Silicon Valley: Trump auf gar keinen Fall Kandidat der Republikaner werden lassen.

DeSantis wetterte gegen Wokeness-Rhetorik

Die erste Ausweichoption für die Techmilliardäre war Ron DeSantis, Leone etwa spendete zwei Millionen Dollar. Der Gouverneur von Florida verkündete seine Kandidatur im Gespräch mit Musk auf Twitter, Sacks (der auch an DeSantis spendete) hatte vermittelt. DeSantis gefiel sich in seiner Rolle als wählbarer Trump so sehr, dass er es mit extremer Anti-Wokeness-Rhetorik probierte – daran jedoch hatten sie kein Interesse im Silicon Valley: dass einer wieder am rechten gesellschaftlichen Rand auf Stimmenfang geht – und womöglich wieder nicht liefert. Die Techunternehmer wandten sich von DeSantis ab. Ellison spendete an Tim Scott, der vergangene Woche aus dem Rennen ausstieg. McNealy spendete 6000 Dollar an Doug Burgum, der mit weniger als einem Prozent der Stimmen bei Umfragen aussichtslos zurückliegt. Rabois unterstützte Haley mit der Gala. Das Kalkül: Ja, Trump liegt weit vorne, mit mehr als der Hälfte aller Stimmen; aber wenn sich das Feld ausdünnt und nur eine Gegenkandidatin oder ein Gegenkandidat für Trump übrig bleibt, könnte es vielleicht doch spannend werden.

Der Favorit im Silicon Valley: Ramaswamy. Dessen Agenda: Entbürokratisierung. Er will drei Viertel aller Bundesbeamten entlassen; möglichst wenig Einmischung des Staates; keine Quoten zur Gleichberechtigung oder für Minderheiten. Ramaswamy fiel auf mit Aussagen gegen die LGBTQ+-Bewegung und Abtreibung, wurde allerdings zuletzt bei diesen gesellschaftlichen Themen auffällig leise. So verliert man Trump-Fans am rechten Rand. Aus dem Umfeld von Silicon-Valley-Geldgebern ist deshalb zu hören, dass Ramaswamy bald Robert F. Kennedy Jr. als möglichen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten vorstellen dürfte. Kennedy kandidierte zunächst aufseiten der Demokraten, mittlerweile kandidiert er als Unabhängiger. Er machte seinen ohnehin schon sehr berühmten Namen noch ein wenig prominenter durch seine offen zur Schau gestellte Haltung als Covid-Impfgegner.

Kennedy könnte als Stimmenfänger am rechten Rand dienen, als Vize wäre er später politisch eher irrelevant. Ramaswamy wäre dann derjenige, der als Präsident fürs Silicon Valley liefert. So das Kalkül, weil es die einzige realistische Chance ist, die Kandidatur von Trump zu verhindern – von dessen juristischen Problemen mal abgesehen.

Und wenn das alles nicht funktioniert? Dann könnte es sein, dass Techmilliardäre ihre Geldspeicher verschlossen halten bis 2028. Gibt ja einen, der sich in Stellung bringt als der grosse Freund des Silicon Valley: Gavin Newsom, Demokrat.