Wahlkampf in den USAStarhistoriker Robert Kagan warnt vor Trump-Diktatur
Kagan ist einer der wichtigsten US-Intellektuellen. Früher ein neokonservativer Republikaner, wandelte er sich zum liberalen Weltdeuter – und zu einem glaubwürdigen Warner.
Zwei Zutaten reichen aus, um den Vorweihnachtspunsch der US-Politik in ein toxisches Heissgetränk zu verwandeln: ein paar Zahlen und Robert Kagan. Bei den Zahlen handelt es sich um Umfrageergebnisse der «New York Times», die ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl die Erkenntnis lieferten, dass Donald Trump fünf der sechs kritischen Bundesstaaten mit unentschlossenen Wählern (Swing States) gewinnen könnte. Swing States sind am Ende entscheidend für die Zusammensetzung des Wahlleutegremiums und damit für die Präsidentschaft.
Dann veröffentlichte vor einer Woche der Historiker und Publizist Robert Kagan in der «Washington Post» ein Pamphlet, das im stets nervösen Kosmos der US-Hauptstadt die Wirkung eines Dampfhammers entwickelte: «Eine Trump-Diktatur ist zunehmend unvermeidbar. Wir sollten aufhören, uns etwas vorzumachen.» Kagans eloquentes und deutlich zu langes Werk bestimmt seitdem jede Cocktailrunde: Ist Trump wirklich unvermeidbar, und ist er tatsächlich so gefährlich?
Ein geschickter Schachzug
Jetzt haben sich die wichtigsten Protagonisten in diesem Kampf persönlich zu Wort gemeldet: Präsident Joe Biden und Trump selbst. Biden nutzte auf einer Spendengala die Gelegenheit und räumte ein, dass er eigentlich nur wegen Trump kandidiere. Er sei der Einzige, der diesen Mann verhindern könne. Ein geschickter Schachzug: Allen Wahlstrategen ist klar, dass Biden die Wahl nur wird gewinnen können, wenn er sie in ein Referendum über Trump umfunktioniert – nicht in eine Abstimmung über seine eigene Person.
Aber auch Trump ist nicht zufällig mit einem sensationellen Machtinstinkt ausgestattet. Weil er den Angriff von Kagan und Biden sofort erkannte, liess er den Diktatorenmantel an sich herabgleiten. Lediglich einen Tag würde er als Diktator fungieren – am ersten, und an der Grenze zu Mexiko würde er seine Macht austoben. Es geht also mal wieder um die Migranten.
Wer ist also dieser Kagan, der mithilfe einer brillanten Rhetorik die US-Politik in Furcht und Schrecken versetzen kann? Kagan ist einer der bekanntesten public intellectuals der USA, eine Ein-Mann-Denkfabrik und Schreibwerkstatt, die selten, aber dafür umso nachhaltiger die politische Klasse des Landes in seinen Bann zieht. Seine politische Heimat sah der 1958 in Griechenland geborene und in Yale und Harvard ausgebildete Historiker bei den Republikanern, genauer gesagt bei den Neokonservativen.
Diese Neocons eroberten Anfang der Nullerjahre mit George W. Bush Washington, wobei Kagan nachhaltig Schützenhilfe leistete. Sein Essay über Macht und Ohnmacht lieferte 2003 das geistige Fundament für einen Macht- und Weltordnungsschub, den die USA seit Vietnam nicht mehr erlebt hatten. In Europa blieb das Büchlein deswegen im Gedächtnis haften, weil Kagan die USA auf dem Kriegerplaneten Mars verortete, während als Symbol für die weibisch-weiche Alte Welt die Venus herhalten musste.
Das Power-Pärchen aus Washington
Unfreiwillige Schützenhilfe leistete Jahre später Kagans Frau: Die Diplomatin Victoria Nuland war es, die in einem von Russland abgehörten und später durchgestochenen Gespräch über den Euromaidan in der Ukraine die weichen Europäer mit harten Worten belegte. Heute ist Nuland Vizeaussenministerin und bildet mit Kagan eines jener Power-Pärchen, die man vor allem in der US-Hauptstadt antrifft.
Inzwischen sieht sich Kagan nicht mehr als neokonservativer Denker, vielmehr würde er sich eher als typischen US-Liberalen bezeichnen. Mit der Republikanischen Partei brach er, als Donald Trump an die Macht kam. Er trat aus, wählte erfolglos Hillary Clinton und begab sich anschliessend auf seinen persönlichen Kreuzzug zur Verhinderung des Faschismus in den USA. Schon 2016 malte er die Trump-Herrschaft in düsteren Worten aus; nun ist er sich sicher, dass die Vereinigten Staaten vor einer diktatorischen Phase stehen.
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