Ernüchterung bei DemokratenDann wird es dunkel an der Harris-Wahlparty
Kamala Harris sollte an der Howard University auftreten. Dann verdüstern sich die Prognosen. Unter den Studierenden schwindet der Optimismus.
- Kamala Harris kämpft als erste schwarze Vizepräsidentin um die Präsidentschaft.
- Viele junge Wählerinnen an der Howard University unterstützen Harris als Alumna.
- Harris kündigt an, Präsidentin für alle Amerikaner sein zu wollen.
- Trotz optimistischer Ansprache verzeichnen Trump und Republikaner Erfolge.
Was ist das erst für ein wunderbar heller Wahltag am Dienstag in Washington, ehe es düster zu werden droht für Kamala Harris und die Demokraten. Strahlendes Licht, die letzten Ausläufer von Indian Summer, 24 Grad. Als ob nichts diesen 5. November 2024 trüben könnte. Die Herbstsonne scheint am Nachmittag auf das Weisse Haus, das Capitol und auch auf die Howard University, wo die Demokratin Harris dann später zur Wahlparty ruft. Hier, im Nordosten der Hauptstadt, hat die Kandidatin der Demokraten einst selbst studiert, an der renommierten Universität afroamerikanischer Intellektueller. Jetzt will sie gleich feiern, auf diesem Campus.
Läuft alles nach ihrem Plan, was in diesen Momenten vor Sonnenuntergang noch möglich ist, so wäre sie die erste Präsidentin der USA, nach 46 Präsidenten von George Washington 1789 bis Joe Biden 2021.
«Das Momentum ist auf unserer Seite», hatte Harris noch gesagt
Bisher ist sie die erste Vizepräsidentin und gleichzeitig die erste Schwarze in diesem Amt – als Tochter von Eltern, die aus Indien und Jamaika in dieses Land der Einwanderer gekommen waren. Aber bevor irgendwann in der Nacht zum Mittwoch über einen Sieg oder über eine Niederlage gegen Donald Trump gesprochen werden kann, werden mindestens Stunden vergehen. Und je mehr Stunden später ins Land gehen werden, desto wahrscheinlicher wird, dass der 45. Präsident auch der 47. Präsident wird und nicht sie, Kamala Harris.
Am Montag war sie am Ende ihres nur drei Monate langen Wahlkampfs noch mal in fünf Städten in Pennsylvania aufgetreten. Der Bundesstaat gilt als der wichtigste, vielleicht entscheidende Swing-State. 19 Stimmen der sogenannten Wahlleute sind dort zu vergeben – wer insgesamt mindestens 270 dieser Stimmen des Electoral College sammelt, dessen Wahlsieg wird am 6. Januar 2025 im Kongress bestätigt, der oder eben die wird am 20. Januar vor dem Capitol vereidigt. «Noch ein Tag», sagte Harris zum Abschluss in Pittsburgh. «Und das Momentum ist auf unserer Seite.»
Das hofft eine vermutlich recht grosse Mehrheit hier, in der an sich schon geschichtsträchtigen Howard University. Trump-Freunde sind in dieser Hochschule eine Minderheit, wie es aussieht. Charrosé King-Mathews jedenfalls hat vorhin für Kamala Harris gestimmt, sie trägt wie so viele in dieser Gegend einen Howard-Pulli, es gibt nebenan einen gut sortierten Souvenirshop. Sie ist Dozentin für Kommunikationswissenschaften und dem Anlass entsprechend aufgeregt, auch wegen der Studentinnen und Studenten, es sind ja mehrere Premieren auf einmal.
Viele der jungen Frauen und Männer hier dürfen zum ersten Mal wählen
Viele dieser jungen Frauen und Männer dürfen zum ersten Mal wählen, und nun tritt da obendrein eine Howard-Alumna an und könnte die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Noch dazu feiert sie diesen Abend auf dem Gelände ihrer Alma Mater, in der die heutige Vizepräsidentin 1986 ihren Abschluss in den Fächern Politik und Wirtschaft gemacht hatte, ehe sie daheim in Kalifornien Juristin wurde, Staatsanwältin und nachher Senatorin, Letzteres als zweite Schwarze und erste Frau im Senat mit afroamerikanischen und asiatischen Wurzeln.
Ist sie jetzt auf dem Weg ins Weisse Haus, das keine zwei Meilen südwestlich steht und wo sie im West Wing schon ein Büro hat? Schafft sie es? «Keine Ahnung», sagt Charrosé King-Mathews, «aber wir alle haben unsere Hoffnungen. Ich bin optimistisch.» Sie hat sich zuletzt absichtlich nicht zu oft die Nachrichten angesehen, «um heute nicht gestresst zu sein», sie ist es natürlich trotzdem.
Für den erhofften Höhepunkt ihrer Karriere wurden rund um das ausgedehnte Howard-Areal Zäune hochgezogen und in den Zufahrtsstrassen Barrieren aufgestellt, Polizeieinheiten haben Position bezogen, der Secret Service ist mit zahlreichen Agenten im Einsatz.
Dann wird es dunkel, angemeldetes und zugelassenes Publikum strömt gut kontrolliert und gut bewacht auf den Yard der Howard University. Hunderte Menschen stehen vor den Gebäuden dieser Institution, einer Bühne und US-Flaggen. Studenten, Reporter, andere Interessierte. Es gibt einen DJ, manche Leute tanzen, ansonsten schaut fast jeder zunehmend ungläubig auf einen grossen Bildschirm, auf dem John King von CNN die umkämpften Landkreise erklärt.
Wer auf sein Handy starrt, der sieht vielleicht auch, wie die «New York Times» schreibt, dass Trump Stärke zeige, während in den Swing-States ausgezählt werde, und Harris’ Weg Richtung Weisses Haus enger werde. Trumps Erfolg in North Carolina tut der Stimmung nicht sehr gut, Georgia scheint er auch zu erobern, dort hatte Biden vor vier Jahren noch knapp gewonnen, ebenso in Wisconsin, Michigan, Pennsylvania und Arizona.
Trumps Strategie der Schuldzuweisungen funktioniert
Nach Mitternacht liegt der Republikaner überall dort vorn, teilweise knapp. Offenbar hat es vor allem funktioniert, dass Donald Trump und J. D. Vance dem Duo Harris/Walz die Schuld an teuren Lebensmitteln und Immobilien zuweisen sowie an zu vielen Immigranten ohne Papiere. Trotz aller Hetze, trotz aller Beleidigungen. Wird Kamala Harris noch etwas sagen in diesen Stunden, in denen die Hoffnung verfliegt? Zur Geisterstunde tritt nur Cedric Richmond ans Mikrofon, einer der Sprecher von Harris’ Team.
Er bedankt sich und sagt, man werde über Nacht weiter kämpfen, «um sicherzustellen, dass jede Stimme gezählt wird, dass jede Stimme gesprochen hat». Die Chancen auf einen Triumph der Howard-Absolventin Harris und der Demokraten schwinden immer weiter, das spüren auch die Optimisten.
Später gab Kamala Harris bekannt, dass sie sich am Mittwochabend Schweizer Zeit doch noch erklären würde. Da stand ihre Niederlage bereits fest.
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