Neue Studie zu ImpfstoffVeraltete Zahlen oder Irrtum? AstraZeneca will Datendebakel aufklären
Die Studie war sehnlichst erwartet worden, nun zweifelt die US-Gesundheitsbehörde an deren Aktualität. Swissmedic will unabhängig davon «genau» prüfen.
Es dürfte ein simples Missverständnis gewesen sein, das sich schnell aufklären lässt. Aber eines, das dennoch fatal für das Vertrauen sein könnte: AstraZeneca will innerhalb 48 Stunden Ordnung in das Datenschlamassel um seine klinische Studie in den USA bringen. Die Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic hat bislang noch keine neuen Daten der aktuellen Studie von AstraZeneca erhalten. Auf jeden Fall erfolge die Prüfung genau, wie Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi sagt. Ob sich die Zulassung in der Schweiz dadurch verzögere, hänge davon ab, ob die Firma nun länger für die Eingabe der Daten bei Swissmedic brauche.
Die US-Gesundheitsbehörde NIH hatte in der Nacht auf Dienstag eine aussergewöhnliche Stellungnahme zur neuen Impfstoff-Studie von AstraZeneca veröffentlicht. Das für Daten und Sicherheit zuständige Überwachungsgremium (DSMB) zeigt sich besorgt, dass AstraZeneca möglicherweise veraltete Informationen einbezogen hat, die ein unvollständiges Bild der Wirksamkeitsdaten vermittelt haben könnten.
Die Daten basierten auf der Zwischenanalyse der Studie mit Daten bis zum 17. Februar, hiess es darauf von AstraZeneca. Die jetzt erfolgte vorläufige finale Analyse stimme mit den damaligen Resultaten überein, so der britische-schwedische Konzern weiter. Er werde dem Überwachungsgremium DSMB sofort die neuesten Daten liefern. In 48 Stunden sollen die Resultate der Abschlussanalyse der Studie publiziert werden.
Das Überwachungsgremium hatte AstraZeneca dazu aufgefordert, die Zahlen zu überprüfen und sicherzustellen, dass die genauesten und aktuellsten Informationen so schnell wie möglich veröffentlicht werden. Gemäss einer Auskunftsperson soll das Gremium die Veröffentlichung der Studie zuvor schon mehrmals verschoben haben, um Daten nachzufordern, wie die «New York Times» berichtet. Eine Sprecherin von AstraZeneca bestätigt dies, weist aber darauf hin, dass die Vorgänge in einem solchen Prozess normal seien.
Experte: «Noch nie gesehen»
Ein US-Experte hält den Vorgang auf Anfrage der «New York Times» aber für aussergewöhnlich und besorgniserregend. So sagt Eric Topol, ein Experte für klinische Studien in San Diego, es sei «höchst unüblich», eine solche öffentliche Auseinandersetzung zu sehen. Normalerweise arbeiteten Überwachungsausschuss und die Firma, welche die Studie durchführt, eng zusammen. «So etwas habe ich noch nie gesehen», sagte Topol zur Stellungnahme, «das ist sehr beunruhigend.»
Für die USA ist AstraZeneca ohnehin kein wichtiger Impfstoff mehr, sie setzen auf das Mittel von Johnson & Johnson, welches bereits im Land verteilt wird. Eine mögliche Lieferung von AstraZeneca würde erst im Mai eintreffen, da die USA später bestellt haben. Bis dahin soll es aber genügend Impfstoffe von Moderna, Biontech und Johnson & Johnson geben.
Zulassung in der Schweiz verzögert?
In der Schweiz könnte AstraZeneca als dritter Impfstoff nach Biontech und Moderna zum Einsatz kommen, nachdem Johnson & Johnson zwar zugelassen, aber nicht bestellt wurde. Die neuen Studienresultate des britisch-schwedischen Konzerns vom Montag weckten Hoffnung auf den ersehnten Impfschub, falls Swissmedic das Vakzin rasch zulässt. Das BAG hat 5,3 Millionen Dosen bestellt, die gemäss AstraZeneca «sehr zeitnah nach der Zulassung» in der Schweiz eintreffen könnten.
Der Wirbel um die Studiendaten könnte die erhoffte baldige Zulassung nun nochmals verzögern. Das Debakel dürfte die Situation für AstraZeneca in der Schweiz kaum verbessern, wobei ohnehin nicht sicher ist, ob das BAG überhaupt noch auf das britisch-schwedische Mittel setzt. Vor einem Monat sagte Nora Kronig vom BAG noch, dass die Schweiz AstraZeneca gar nicht mehr benötige und überlege, den Impfstoff weiterzugeben. Stattdessen wartet man noch auf die Zulassung des Protein-Impfstoffs Novavax (6 Millionen Dosen bestellt) und des mRNA-Impfstoffs Curevac (5 Millionen), für welche das BAG Lieferungen ab Mai einplant. Zudem wurden vom Biontech-Impfstoff nochmals 3 Millionen Dosen nachbestellt.
Kontroverse bereits um erste Studie
Um den Impfstoff von AstraZeneca gibt es seit Monaten Kontroversen. Nach der EU-weiten Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs Ende Dezember hatten Deutschland und andere Mitgliedsländer die Nutzung zunächst für Menschen bis 64 Jahre eingeschränkt, weil für ältere Menschen nicht genügend Daten vorlagen. Die Studie, auf der die Zulassung basierte, sorgte auch wegen mehrerer Fehler für Wirbel. So wurde teilweise nur die halbe Dosis verabreicht, was sogar zu besseren Resultaten führte. AstraZeneca nannte den Fehler einen «Glücksfall». Gleichzeitig gab es aber auch Unklarheiten beim Zeitintervall zwischen erster und zweiter Impfung. Erst Anfang März gaben Deutschland und auch andere EU-Länder das Mittel auf Grundlage neuer Forschungsdaten auch für ältere Menschen frei.
Nach Berichten über Blutgerinnsel im zeitlichen Zusammenhang mit AstraZeneca-Impfungen hatten Deutschland und zahlreiche andere Länder die Impfungen Mitte März dann ganz gestoppt. Die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) bekräftigte nach einer erneuten Überprüfung aber ihre Einschätzung, dass der Impfstoff «sicher und wirksam» sei. Die meisten Länder nahmen die Impfungen daraufhin wieder auf.
Vertrauen in AstraZeneca gesunken
Schon vor den neuen Turbulenzen war das Vertrauen in AstraZeneca in mehreren europäischen Ländern deutlich gesunken. Laut einer Umfrage des britischen Instituts Yougov hält eine Mehrheit der Menschen in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien den Impfstoff für unsicher. Demnach erhöhte sich der Anteil der Deutschen, die dem AstraZeneca-Präparat misstrauen, innerhalb eines Monats um 15 Prozentpunkte auf 55 Prozent. Nur 32 Prozent der Bundesbürger stuften den Impfstoff als sicher ein. Die neuerliche Wirrwarr bei der US-Studie könnte die Skepsis ausweiten.
Ein ganz anderes Bild herrscht in Grossbritannien, wo laut der Umfrage weiterhin mehr als drei Viertel der Bürger angaben, dass sie den AstraZeneca-Impfstoff für sicher halten. Verschiedene Studien zeigten dort, dass der Impfstoff eine hohe Wirksamkeit hat und schwere Verläufe verhindert. Die Briten untersuchen auch, ob das AstraZeneca-Mittel sogar besser wirkt, wenn die zweite Impfung erst nach drei Monaten verabreicht wird.
Auch Asien setzt auf das britisch-schwedische Vakzin. Südkorea impft damit schon länger, und am Montag startete auch Taiwan seine Corona-Impfkampagne damit. Regierungschef Su Tseng-chang und Gesundheitsminister Chen Shih-chung liessen sich impfen, um in der Bevölkerung für Akzeptanz zu werben. Bisher hat AstraZeneca als einziger Hersteller Impfdosen nach Taiwan geliefert.
/ish/anf
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