Fahrdienst blitzt vor Bundesgericht abUrteil gegen Uber hat Signalwirkung für die ganze Schweiz
Das Unternehmen muss in Genf seine Fahrer wie Angestellte behandeln. Für einen Zürcher Experten hat das Urteil des Bundesgerichts einen wegweisenden Charakter.
Der Rechtsstreit über den Status der Uber-Fahrer in der Schweiz ist nun beendet. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde von Uber Switzerland und der niederländischen Uber B.V. abgewiesen und dem Staat Genf, der den Kampf auf nationaler Ebene geführt hatte, recht gegeben. Demnach sind die Fahrer, welche die Plattform des multinationalen Unternehmens nutzen, Angestellte und keine Selbstständigen.
Das Departement für Wirtschaft und Beschäftigung des Kantons Genf DEE nahm am Freitagnachmittag kein Blatt vor den Mund. Für DEE-Leiterin Fabienne Fischer ist der am selben Tag veröffentlichte Entscheid des Bundesgerichts «ein historischer Sieg», der für die ganze Schweiz präjudizierend sein werde. Die grüne Staatsrätin sieht darin «einen grossen Fortschritt im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und den Kampf gegen unlauteren Wettbewerb».
Die höchste gerichtliche Instanz des Landes bestätigte die Entscheidung, die der Kanton Genf im Oktober 2019 getroffen hatte. Dieser hatte die Fahrer und Fahrerinnen als Angestellte und nicht als Selbstständige eingestuft. Diese Entscheidung wurde von Uber vor dem Justizgericht des Kantons Genf angefochten. Nachdem die Klage abgewiesen worden war, hatte das Unternehmen den Fall an das Bundesgericht weitergezogen.
Die ersten Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichts sind für Genf sofort spürbar: Die Personenbeförderung durch Uber ist ab Samstag um Mitternacht im Kanton Genf eingestellt. Diese Massnahme wird so lange aufrechterhalten, bis das Unternehmen die gesetzlichen Bestimmungen erfüllt hat, wie das DEE auf einer Medienkonferenz bekannt gab.
Uber wird zur Kasse gebeten
Die Einhaltung der Vorschriften wird durch die Zahlung der fälligen Löhne und Sozialversicherungsbeiträge erfolgen, und zwar rückwirkend. Und hier wird das ohnehin schon schwierige Dossier noch schwieriger. Der Staat hat am Freitag deutlich gemacht, dass das weitere Vorgehen nun von der Arbeit abhängen wird, die Uber im Vorfeld geleistet hat. «Das Unternehmen hatte zweieinhalb Jahre Zeit, sich vorzubereiten», erinnerte Fischer.
Uber bestreitet, dass die Genfer Behörde dafür zuständig seien. Sie habe keine Zuständigkeit, die Zahlung von solchen Beiträgen zu verordnen, oder eine unmittelbare Anstellung aller Fahrer durch Uber BV zu veranlassen, so ein Sprecher.
Konkret bedeutet dies, dass das Unternehmen dem Departement Schätzungen über alle Personen vorlegen muss, die dank seiner Apps gearbeitet haben: Arbeitszeiten, ausbezahlte Einkommen und Ferienansprüche. «Das ist die Verantwortung eines jeden Arbeitgebers», fasste Fischer zusammen.
Was passiert mit den Fahrern und Fahrerinnen, die von einem Tag auf den anderen arbeitslos werden? Nach Ansicht des Kantons Genf sollten sie einen Lohn erhalten, denn «heute sind sie als Angestellte von Uber anerkannt. Dass sie nicht arbeiten können, wird dem Unternehmen angelastet, also müssen sie bezahlt werden.»
Auch das bestreitet Uber. Das Urteil beziehe sich nicht auf die Prüfung einzelner oder kollektiver Verhältnisse aller Fahrer, welche die Uber App nutzen oder genutzt hätten. Daher bewirke es auch keine Neuklassifizierung jeder einzelnen Beziehung zwischen Uber und den Fahrern.
Sollte das multinationale Unternehmen aufgrund der jüngsten Entwicklungen, die sich negativ auf sein Geschäftsmodell auswirken, beschliessen, den Kanton – oder sogar die Schweiz – zu verlassen, hätten Fahrer und Zusteller dank der Bestätigung ihres Status als Angestellte Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die potenzielle Berechnung der Entschädigungen wird jedoch Kopfzerbrechen bereiten. Charles Barbey, Generaldirektor des kantonalen Arbeitsamtes, stellte sich vor, «dass es bei Uber eine Krisensituation nach sich ziehen wird».
In einem zweiten Urteil, das diesmal die Lieferdienste von Uber Eats betraf, betrachtete das Bundesgericht diese ebenfalls als Angestellte. Nach Angaben des DEE kann der Dienst jedoch bis zur Einhaltung der Vorschriften weitergeführt werden.
Zürcher Professor spricht von «klarer Signalwirkung»
Laut Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich, haben die Urteile des Bundesgerichts zu den Diensten von Uber nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für ähnliche Vertragsbeziehungen anderer Anbieter eine Warnfunktion. «Die beiden Urteile haben eine klare Signalwirkung, auch wenn aus juristischer Sicht noch nicht in allen Fällen von einer geklärten Situation gesprochen werden kann», erklärt der Experte.
Der Entscheid sei laut Rudolph wichtig, da dass Bundesgericht erstmals ausführlich zur Schlüsselfrage Stellung genommen habe, ob zwischen Uber und seinen Fahrern ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Obligationenrechts besteht.
Auch im Fall von Uber Eats hat das Bundesgericht die Sicht der Genfer Vorinstanz, dass ein Arbeitsverhältnis vorliege, geteilt. Die Beschwerde wurde aber dennoch gutgeheissen, dies weil kein Personalverleih vorlag. «Das ändert aber nichts am Befund des Bundesgerichts, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Uber und den Eats-Fahrern vorliege», sagt Arbeitsrechtler Rudolph.
Auf Gewerkschaftsseite wird der Sieg gefeiert, man wartet aber gleichzeitig auf Massnahmen. «Es ist neun Jahre her, seit Uber in die Schweiz kam. Neun Jahre Schwarzarbeit und Hunderte von Millionen Franken, die dem Personal und den Sozialversicherungen entgangen sind», hebt Roman Künzler, Leiter Transport und Logistik der Gewerkschaft Unia, in einem Communiqué hervor.
Die Unia fordert nun den Bund auf, sich rasch mit den Kantonen und den Arbeitnehmervertretern zusammenzusetzen, «um sicherzustellen, dass in maximal drei Monaten alle Uber-Fahrerinnen und -Fahrer und das Lieferpersonal von Uber Eats in der Schweiz einen Arbeitsvertrag haben, ansonsten werden die Aktivitäten von Uber im ganzen Land untersagt». Weiter fordert die Gewerkschaft: «Uber muss aufgefordert werden, das Geld zu blockieren, das notwendig ist, um die Sozialversicherungen sowie die Löhne und Spesen der Lieferanten und Fahrer aus den letzten Jahren zurückzuzahlen.»
Die Stellungnahme von Uber
Ein Sprecher des multinationalen Unternehmens erklärte nach dem Urteil, dass «diese Entscheidungen die Tatsache ausser Acht lassen, dass Fahrer und Kuriere nicht beschäftigt werden wollen. Sie berücksichtigen auch nicht alle Änderungen, die wir in den letzten Jahren vorgenommen haben, um die Auswahl, Kontrolle und Autonomie zu erhöhen.»
Während die heutigen Urteile keine Auswirkungen auf die Uber-Eats-Aktivitäten in Genf hätten, wo die Firma nicht mehr mit unabhängigen Kurieren zusammenarbeiten würde, lasse das Urteil keine andere Wahl, als die Fahrdienste im Kanton vorübergehend auszusetzen, heisst es weiter in der Stellungnahme. «Wir werden uns erneut mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen, um eine akzeptable Lösung zu finden.»
Der Artikel wurde am Samstag, 4. Juni, mit einer erweiterten Stellungnahme von Uber ergänzt.
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