Riskantes Manöver von PyongyangNordkoreas Russland-Truppen bringen China in Bedrängnis – warum nimmt Peking das hin?
China ist wichtigster Partner des Regimes in Pyongyang. Dieses entsendet nun 10’000 Soldaten und tut auch sonst nicht immer, was dem grossen Nachbarn gefällt.
- Kim Jong-un verstärkt seine militärischen Beziehungen zu Russland trotz alter Allianzen mit China.
- Peking zeigt sich besorgt wegen Nordkoreas Truppenentsendungen in den Ukraine-Krieg.
- China sieht die nukleare Bewaffnung Nordkoreas als regionale Gefahr.
- Trotz Spannungen bleibt China Schutzmacht Nordkoreas.
Als Zhao Leji, die Nummer drei der chinesischen Führung, im April nach Nordkorea reiste, sollte das der Auftakt eines historischen Jahres werden. Beide Seiten feierten den 75. Jahrestag der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen.
Jener formelle Austausch begann 1949, damals unter Mao Zedong. Zwei Jahre später griff China, sehr zur Überraschung der Amerikaner, in den Koreakrieg ein und kam Kim Il-sung mit 400’000 Soldaten zur Hilfe. Heute lässt die Propaganda beider Seiten verlauten, die Beziehungen seien «eng wie Lippen und Zähne» sowie «in Blut getaucht». Jüngst verkündete Chinas Staatschef Xi Jinping, die «Freundschaft» habe den Test der Zeit überstanden und sei eine «wertvolle Ressource».
Doch tatsächlich sind die Beziehungen deutlich komplizierter, als China zugeben will. Und die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea dürfte das Verhältnis weiter belasten.
Beide Länder unterstützen Russland
Laut US-Verteidigungsministerium sind etwa 10’000 nordkoreanische Soldaten nach Russland entsandt worden. Peking steht im Ukraine-Krieg zwar fest an Moskaus Seite, dennoch könnte Nordkoreas direkte Verstrickung in den Ukraine-Krieg langfristig das Mächtegleichgewicht in Nordostasien verändern. Es ist eine Entwicklung, die Peking als Bedrohung empfinden dürfte.
Auch wenn China als wichtigster Verbündeter Nordkoreas gilt, waren die Beziehungen stets von Höhen und Tiefen geprägt. Bereits Staatsgründer Kim Il-sung verstand die Spannungen zwischen der Sowjetunion und China zu nutzen, um seine eigene Position zu stärken. Peking wiederum schockierte seinen Partner mit der Annäherung an die USA im Jahr 1972 und, 20 Jahre später, mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Südkorea.
Grösster Konfliktpunkt zwischen den beiden Staaten ist heute Pyongyangs Kernwaffenprogramm. Eric Ballbach von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt: «China sieht in einem nuklear bewaffneten Nordkorea einen Instabilitätsfaktor für die Region.» Deshalb habe China in der Vergangenheit auch UNO-Sanktionen mitgetragen, die den Handel mit Nordkorea einschränkten.
Flüchtlingsströme und eine Wiedervereinigung befürchtet
Trotzdem fungiert Peking weiter als Schutzmacht und wirtschaftliche Lebensader für Nordkorea. Denn noch grösser als die Angst vor Kims Nuklearwaffen ist Pekings Furcht vor einem in sich instabilen Nordkorea. Experte Ballbach sagt: «Dieses könnte Flüchtlingsströme bedeuten oder eine etwaige Wiedervereinigung Koreas unter südkoreanischer Flagge, die amerikanische Truppen bis an die eigene Aussengrenze heranrücken liesse.»
Spannungen zwischen Peking und Pyongyang werden immer wieder durch Provokationen von Nordkoreas Seite deutlich: Wiederholt hat das Land Atomwaffen- und Raketentests während politisch wichtiger Ereignisse in China angesetzt. Zudem hat Kim Jong-un mehrere seiner politischen Kontrahenten ermorden lassen, die in Pekings Gunst standen. Darunter 2017 seinen Halbbruder Kim Jong-nam, der angeblich unter Pekings Schutz in der chinesischen Sonderverwaltungszone Macao lebte.
Der Besuch von Chinas Toppolitiker Zhao Leji im April erfolgte auch vor dem Hintergrund eines grundlegenden Kurswechsels Pyongyangs. Anstatt auf Verhandlungen, etwa zur Abmilderung der Sanktionen, setzt das Land seit 2019 auf militärische Modernisierung und engere Beziehungen zu China und Russland. Anfang 2024 gab Kim Jong-un das Ziel auf, eine friedliche Wiedervereinigung Koreas zu erreichen. Südkorea erklärte er zum «unverrückbaren Hauptfeind».
Für die Entsendung von nordkoreanischen Truppen dürfte sich Nordkorea von Russland nun einen «hohen Preis» bezahlen lassen, sagt Experte Ballbach. «Wenn diese Unterstützung beispielsweise strategische Waffen beinhaltet, ist die Frage, ob für China damit eine rote Linie überschritten wird.» Wirtschaftliche Unterstützung durch Russland könnte Pekings Einfluss indes schwächen.
Offiziell hat Peking den Einsatz nordkoreanischer Truppen bisher nicht kommentiert. Die Staatsmedien konzentrieren sich bis jetzt auf einen anderen vermeintlichen Feind: die USA. Washingtons Auftreten habe Russland und Nordkorea zu ihrer militärischen Allianz gezwungen.
«Asiatische Nato» könnte China Probleme machen
Peking fühlt sich durch die verstärkte Kooperation zwischen Südkorea, den USA und Japan bedroht. Chinas grösste Furcht ist eine Art «asiatische Nato», mit der Washington versucht, Chinas Einfluss im indopazifischen Raum einzudämmen. Ironischerweise könnte das gefährliche Manöver Pyongyangs, Truppen nach Europa zu entsenden, US-Allianzen in der Region verstärken – und Chinas Verdacht scheinbar bestätigen.
Die Rivalität mit Washington dürfte auch verhindern, dass Peking seinen Einfluss auf Russland oder Nordkorea nutzt, um den Einsatz zu stoppen. Selbst wenn China die Entwicklung nicht gutheisst, dürfte das Gegenteil passieren: Je stärker Washington seine Kooperationen in der Region ausbaut, desto wichtiger dürfte für Peking Nordkorea als Pufferzone werden.
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