Sicherheitsexperte im Interview«Nordkoreanische Soldaten sind billiger als russische»
Mit dem Einsatz von Truppen aus Nordkorea sorgt der Kreml für militärische Entlastung. Welche Folgen das für den Kriegsverlauf in der Ukraine hat, erklärt Experte Christian Mölling.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un will Russland im Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Tausenden Soldaten unterstützen. Die Enthüllung des südkoreanischen Geheimdienstes hat für Aufsehen gesorgt. Wird die militärische Hilfe aus Pyongyang den Krieg verändern? Und was ist das Kalkül von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un?
Antworten auf diese Fragen gibt der deutsche Sicherheitsexperte Christian Mölling. Der 51-Jährige ist Direktor im Programm «Europas Zukunft» der Bertelsmann-Stiftung. Bekannt ist er vor allem durch seine TV-Auftritte und den wöchentlichen Podcast «Die Lage international mit Christian Mölling».
Gemäss dem südkoreanischen Geheimdienst schickt Kim Jong-un Soldaten in den Ukraine-Krieg. Die Rede ist von 12’000 Kämpfern, wovon 3000 schon in Russland sein und bald in die Ukraine kommen sollen. Herr Mölling, wie werden diese Truppen eingesetzt?
Wir wissen bisher, dass es sich bei den nordkoreanischen Soldaten um Infanteristen handelt. Es gibt zwar Gerüchte über einen möglichen Kampfeinsatz, aber das wäre extrem riskant. Die russischen und die nordkoreanischen Truppen haben nur begrenzte Fähigkeiten, um gemeinsam zu kämpfen.
Woran machen Sie das fest?
Die nordkoreanischen Truppen wären vollständig von den russischen Streitkräften abhängig, weil sie keine Panzer oder Artillerie mit sich führen. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation, natürlich gibt es Sprachprobleme zwischen Russen und Nordkoreanern. Und es gibt andere Standards bei der Kommunikationsausrüstung, veraltete nordkoreanische Funkgeräte, die nicht dem russischen Standard entsprechen.
Wie gut ausgebildet sind die nordkoreanischen Soldaten? Es ist von Elitetruppen die Rede.
Zu den Ausbildungsverhältnissen können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel sagen. Klar ist, dass die nordkoreanische Armee keine Erfahrung mit Kampfeinsätzen hoher Intensität hat. Dies gilt insbesondere für Artilleriebeschuss, Drohnenkrieg und elektronische Kriegsführung. All das ist charakteristisch für das Schlachtfeld in der Ukraine, aber untypisch für die koreanische Halbinsel.
Was hat der Einsatz der Nordkoreaner in der Ukraine dann für militärische Folgen?
Für eine militärische Wende ist die Anzahl der Truppen zu gering. Dazu muss man nur die täglichen Verluste der russischen Armee betrachten – im Schnitt sind es 1000 tote und verwundete Soldaten.
Was schliessen Sie daraus?
Es ist wahrscheinlicher, dass Moskau nordkoreanische Soldaten zur Unterstützung der russischen Truppen einsetzt, aber nicht an der vordersten Front. Möglich ist auch, dass nordkoreanische Truppen die russisch-ukrainische Grenze bewachen und militärisch verstärken, da sie in der Grenzsicherung sehr erfahren sind. Dann könnten die bisherigen russischen Truppen, die ersetzt werden, in der Ukraine oder in Kursk eingesetzt werden.
Macht es einen Unterschied, ob nordkoreanische Truppen «nur» in Russland, zum Beispiel in Kursk, eingesetzt werden oder auch in der Ukraine?
Für die Ukraine macht es keinen Unterschied, es sei denn, die Nordkoreaner nehmen ganz neue Aufgaben wahr, die russische Streitkräfte vorher nicht wahrnehmen konnten. Ich denke, vor allem entlastet der Einsatz russische Ressourcen, denn Russland muss sehr viel Geld ausgeben, um neue Soldaten anzuwerben. Es ist eine rein ökonomische Logik: Nordkoreanische Soldaten sind billiger als russische Soldaten. Für den Kreml ist das wichtig. Die russische Gesellschaft ächzt unter den Steuererhöhungen im Land infolge des Kriegs.
Wolodimir Selenski sprach vom «ersten Schritt zum Weltkrieg», und schon jetzt sehen wir, dass der Krieg internationaler wird: Russland erhält Waffen aus dem Iran und aus Nordkorea. Wie würde der Einsatz nordkoreanischer Truppen den Charakter des Krieges verändern?
Was wir auf jeden Fall sehen, ist, dass die Internationalisierung des Konfliktes nun nicht mehr nur auf Material beschränkt ist, jetzt betrifft sie auch Personal. Russland hat sich eine Militärkooperation geschaffen, von der wir in Europa nur träumen können: die Bereitschaft anderer Staaten, in einem Krieg tatsächlich einzuspringen. Bisher gab es das nur in anderen Bereichen.
Wie meinen Sie das?
Nordkorea entsendet seit langem Arbeitskräfte nach Russland. Die verdienen dort zum einen Geld, zum anderen gewinnt das nordkoreanische Regime so an Einfluss im Kreml. Das ist ein allgemeines Phänomen: Eigentlich isolierte Staaten, nicht nur Nordkorea und Russland, auch der Iran, helfen einander. Nicht aus gegenseitiger Wertschätzung, sondern weil sie daraus einen konkreten Nutzen ziehen.
Was also bezweckt Kim Jong-un mit der Entsendung seiner Truppen?
Kim Jong-un stärkt sich selbst und seine Verhandlungsposition. Für die Entsendung muss ein bilateraler Deal zwischen Russland und Nordkorea zustande gekommen sein. Ohne Zustimmung aus Peking ist diese Zusammenarbeit aber sicher nicht entstanden. China kann selbst keine Soldaten schicken, da es sich im Ukraine-Krieg ja offiziell neutral gibt. Aber indirekt hilft Peking jetzt Russland, den Krieg nicht zu verlieren.
Aber Nordkorea wird so de facto zur Kriegspartei.
Das Völkerrecht ist Kim Jong-un herzlich egal. Für ihn zählen die Beziehungen zu anderen Autokratien und Diktaturen. Wenn er da jemandem einen Dienst schuldet, will er das begleichen.
Wie soll Europa, wie sollen die USA reagieren?
Die Ukraine bekommt militärische Hilfe immer zu spät und in zu kleinen Mengen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat der Westen Waffen immer tröpfchenweise geliefert. Hätte man mit den Lieferungen nicht so lange gewartet, wäre die Situation an der Front heute eine ganz andere.
Sollte der Westen auf nordkoreanische Truppen in der Ukraine mit eigenen Nato-Soldaten reagieren? Das hatte einst Emmanuel Macron angeregt.
Nordkorea ist bislang kein relevanter Teil des Problems, das Russland für Europa darstellt. Darauf nun hektisch zu reagieren, lenkt von den grösseren Herausforderungen ab. Europa sollte einen Plan auflegen, wie es den Krieg in der Ukraine so hilft, zu beenden, dass die Chance für einen dauerhaften Frieden besteht.
Welche Wirkung hat ein möglicher Einsatz nordkoreanischer Truppen auf die russische Gesellschaft? Verfolgt der Kreml damit auch innenpolitische Absichten?
Mit nordkoreanischen Soldaten kann der Kreml eine weitere Grossmobilisierung umgehen. Putin will den Krieg vom normalen Leben der Russinnen und Russen möglichst fernhalten – und so kann er das Ausmass des Krieges weiter verschleiern.
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