Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenWieso die Spendengelder zurückgehen
Fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn müssen ukrainische Hilfsorganisationen kreativere Kampagnen erfinden, um Aufmerksamkeit zu wecken.
Seit Beginn des russischen Überfalls ist die Ukraine auf die Unterstützung durch Spenden angewiesen. Insbesondere lokale Wohltätigkeitsorganisationen nehmen in der Versorgung der ukrainischen Armee an der Front eine bedeutende Rolle ein: Sie organisieren dank Spendengeldern benötigtes Material oft schneller, als die ukrainische Armee dazu in der Lage ist. Auch Soldaten zählen seit Beginn auf die zivile Bevölkerung und besorgen über Spendenaufrufe auf Social Media dringend benötigtes Material.
Lange schien dieses System den Umständen entsprechend zu funktionieren. Doch nun, nach bald zwei Jahren Krieg, erleben ukrainische Hilfsorganisationen einen merkbaren Rückgang der Spendengelder. Die Wohltätigkeitsorganisation Come Back Alive – die grösste zivile Stiftung in der Ukraine – verzeichnet eine Abnahme der Anzahl der Spenden sowie der durchschnittlichen Höhe der Spendengelder, wie veröffentlichte Daten zeigen.
Während von Januar bis Oktober 2022 im Schnitt 1’319'914 Spenden getätigt wurden, betrug die Anzahl der Spenden in der gleichen Periode im Jahr 2023 nur noch 1’111'513. Und als im vergangenen Jahr die durchschnittliche Spende 129 US-Dollar betrug, sank der durchschnittliche Betrag in diesem Jahr auf 83 Dollar.
Die Spenden brechen weg
Auch kleinere ukrainische Spendenorganisationen bemerken einen Einbruch der Gelder – und der Aufmerksamkeit. Andri Nedilko, Mitbegründer der gemeinnützigen Organisation Frontline Care, sagte der Zeitung «The Kyiv Independent», dass heute ein einfacher Spendenaufruf in den sozialen Medien nicht mehr viel bewirken würde – es sei denn, ein Account habe Millionen von Followern. «Das schwierigste Problem, mit dem wir jetzt konfrontiert sind, ist es, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen», sagte Nedilko weiter.
Zu Beginn des Krieges konnte man in zwei Stunden 41’000 Dollar sammeln, berichtete Liubow Halan, eine weitere Mitbegründerin von Frontline Care. Heute hingegen sei es für kleine Organisationen fast unmöglich, solch hohe Beträge in kurzer Zeit zu sammeln. Laut Nedilko erhielt die Organisation im Sommer 2022 durchschnittlich 28 bis 55 Dollar pro Spende – inzwischen betragen die durchschnittlichen Spendenbeträge zwischen 1 und 3 Dollar.
Andere Spendenorganisationen berichten Ähnliches. Les Yakymchuk, 30, sammelt mit seiner Wohltätigkeitsorganisation UA First Aid seit Beginn des Krieges Erste-Hilfe-Kästen. Der US-Zeitung «The New York Times» sagte er bereits vergangenen Juli, dass es zunehmend schwieriger geworden sei, das Interesse aufrechtzuerhalten. «Wenn man ein Jahr lang oder länger Spenden sammelt und immer wieder über dieselben Dinge spricht, werden die Leute irgendwann müde und wollen kein Geld mehr schicken», sagte er.
Geringere finanzielle Mittel
Die Spendenbereitschaft schwindet dabei im In- wie im Ausland. Übergreifende Studien, wie viel Ukrainer und Ukrainerinnen im Vergleich zu Kriegsbeginn spenden, fehlen zwar. Eine Umfrage der ukrainischen Softwareentwicklergemeinschaft DOU mit 14'059 beschäftigten Ukrainern und Ukrainerinnen in der IT-Branche zeigt ein deutliches Bild: So ist der durchschnittliche monatliche Spendenbetrag der Befragten von 270 Dollar im Jahr 2022 auf 190 Dollar in diesem Jahr gesunken.
Das dürfte vor allem auch mit der wirtschaftlichen Situation zu tun haben: Denn die Ukrainer und Ukrainerinnen haben immer weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. «Die wirtschaftliche Lage im Land ist schwieriger geworden als noch vor einem Jahr», sagte auch Oleh Karpenko, der stellvertretende Leiter der Stiftung Come Back Alive, im Juli der «The New York Times».
Im Ausland wird ebenfalls ein Rückgang der Spenden beobachtet. Von Deutschland bis nach Estland berichten Hilfsorganisationen über einen Einbruch der Spendengelder. Und auch in der Schweiz wird weniger Geld für die Ukraine gespendet, wie verschiedene Organisationen berichten.
Immer kreativere Kampagnen
In der Ukraine versuchen Wohltätigkeitsorganisationen derweil, mit immer kreativeren Slogans um die Aufmerksamkeit möglicher Spendenden zu buhlen. Man verbringe Stunden damit, über neue Spendenkampagnen nachzudenken, sagte etwa Nedilko, der Co-Gründer von Frontline Care.
Wie das Resultat einer solchen Kampagne aussehen kann, zeigt das Video von vier ukrainischen Comedians und dem Sänger Volodimir Dantes vom vergangenen September. In dem Clip parodiert die Gruppe den Hit «I Want It That Way» der Backstreet Boys aus dem Jahr 1999.
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Statt Bilder von zerstörten Häusern oder verletzten Soldaten zu zeigen, setzt der Spendenaufruf auf 1990er-Optik und gute Laune: Die Gruppe tanzt singend und lachend um einen Kampfjet und bittet dabei auf Ukrainisch um Geld für neue Drohnen. Die Produzenten landeten damit einen Volltreffer: Innerhalb von vier Stunden wurden 138'000 Dollar gespendet.
Neben der generellen Kriegsmüdigkeit zieht neu zusätzlich auch der Krieg im Nahen Osten den Fokus von der Front in der Ukraine ab. Die Spenden für die Ukraine dürften damit weiter abnehmen – obwohl der Konflikt weiterhin gleich blutig ausgetragen wird und die Zahl der Opfer täglich steigt.
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