Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenRussen, die nicht kämpfen wollen, werden in Kellern eingesperrt
Immer mehr Berichte erzählen von russischen Deserteuren, die in Luhansk festgehalten werden. Gehör verschaffen ihnen ihre Frauen und Schwestern.
Russen, die nicht kämpfen wollen, werden in Kellern eingesperrt
In den letzten Tagen sind neue Berichte darüber erschienen, wie russische Soldaten in Kellern und Lagern festgehalten werden, weil sie sich weigern, zu kämpfen.
Alexei Arsiutin ist der Leiter einer Kentucky-Fried-Chicken-Filiale in der Nähe von Moskau. Andrei Martschuk arbeitet normalerweise in einem Baustoffwerk bei Moskau und erhielt seinen Marschbefehl direkt am Arbeitsplatz. Ihre Geschichte wurde vom russischsprachigen Fernsehsender Current Time, der durch die USA finanziert wird, publik gemacht – die Onlinezeitung «Meduza» hat das übersetzt.
Ende September waren die zwei Männer eingezogen worden. Von der russischen Region Belgorod, die an die Ukraine grenzt, wurden sie ohne Training in die Stadt Swatowe in der ukrainischen Region Luhansk entsendet und von dort direkt an die Front – um Schützengräben auszuheben.
Schon bald sollen sie in feindliches Feuer geraten sein. Die Männer berichteten von drei langen Tagen ohne Verpflegung, ohne Wasser oder Essen. Sie hätten ausharren müssen und seien von ihren Kommandanten mit nichts ausser ihren Waffen im Stich gelassen worden, also hätten sie den Rückzug angetreten. Und sich gewehrt.
Aber erstaunlicherweise waren es nicht die Worte der Soldaten, sondern die Protestrufe ihrer Verwandten in Russland, ihrer Mütter, Schwestern und Frauen, die ihnen Gehör verschafften.
Alsbald wurden sie zurück nach Russland geschickt, wo sie aber schikaniert und beleidigt wurden. «Als sie auf dem Militärstützpunkt in Belgorod ankamen, begann der intensive Druck. Sie wurden [...] mit allen möglichen [abfälligen] Worten beschimpft vom Kommandostab, weil sie sich zurückzogen», sagte Ekaterina Belowa, die Schwester von Alexei Arsiutin gegenüber Current Times.
Danach wurden sie zurück nach Luhansk geschickt. «Mein Bruder kontaktierte uns und sagte, dass sie in einem Keller in [dem Dorf] Zaizewe waren. Sie wurden dort tagelang festgehalten. Man hat ihnen Befehle vorgelesen, auf Video zu bestätigen, dass sie sich weigern, an der ‹besonderen Militäroperation› teilzunehmen. Jetzt werden die Jungs mit diesem Video bedroht, dass sie diesen Befehl nicht befolgt haben. [Es] befanden sich dort 250 Personen. Das sind Gefangene, schlicht und einfach. Russische Gefangenschaft», sagte die Schwester weiter.
Die Mutter des anderen Soldaten, Martschuk, konnte mit ihrem Sohn telefonieren. Er sagte ihr, dass sie in einem «Loch» seien, ohne irgendwelche Ausstattung – womit er wahrscheinlich Toilette und Bad meinte. Die festgehaltenen Männer würden die ganze Zeit unter Druck gesetzt, wieder an die Front zurückzukehren. Schliesslich seien die zwei Soldaten der russischen Ermittlungsbehörde übergeben worden.
Dies ist nur einer von vielen Berichten. In den meisten Fällen sind es die Ehefrauen, die sich für die Befreiung ihrer Männer starkmachen. Eine Gruppe von Frauen reist an verschiedene Orte in Russland, um ihre in Luhansk festgehaltenen Männer zu befreien. Wie das russische Nachrichtenportal Siren via Telegram berichtet, planen die Frauen, das Anliegen sogar an den russischen Militärstaatsanwalt zu tragen.
Schon im Sommer war bekannt geworden, dass Russland Soldaten, die sich weigern, zu kämpfen, einsperrt – in «Zentren für die Wiederherstellung der Kampfbereitschaft». Nach Schätzungen der unabhängigen russischen Onlinezeitung Mediazona sind im Sommer zwischen Juli und August Hunderte Dienstverweigerer durch diese Lager geschleust worden.
(Lesen Sie hier, wie ein Russe wegen der Mobilmachung nach Bern geflüchtet ist.)
Im Internet zirkulieren ausserdem Videos von Kellern und Lagern, die keinen Zweifel daran lassen, dass die Männer dort menschenunwürdig behandelt werden. Was die Schicksale von Fahnenflüchtigen quer durch die Zeit und verschiedene Kriege tragisch vereint, ist die ihnen drohende Strafe, die von Erschiessen auf der Stelle über Gerichtsverfahren bis zu Haft reicht.
Die Interpretation dieser Fahnenflucht als ein politisch motiviertes Zeichen gegen den russischen Angriffskrieg liegt nahe. Soldaten, die fliehen oder sich weigern, wurden in der Geschichte des Kriegs oft vereinfachend als Feiglinge oder als Helden dargestellt, obwohl die Gründe oft mannigfaltig sind, wie der Historiker Stefan Treiber in seinem Buch zum Thema schreibt.
Die historische Forschung zu Deserteuren im 20. Jahrhundert – vor allem im Zweiten Weltkrieg – deutet darauf hin, dass oft nur ein kleiner Anteil der fahnenflüchtigen Soldaten politisch motiviert war und eine Mehrheit durch den Wunsch zu überleben getrieben war.
Lawrow erregt mit seinem Outfit Aufsehen
Von Nora Seebach
Eine Frage auf den sozialen Medien lautet aktuell: Signalisiert der russische Aussenminister Sergei Lawrow eher seine Treue zur Ukraine mit seinem blau-gelben T-Shirt oder eher zur USA mit seinem iPhone?
Lawrow ist nicht der erste Politiker, dessen Outfit zum Thema wird. Er teilt dieses Schicksal mit unzähligen Frauen im öffentlichen Dienst, deren Outfit, Ausschnitt, Frisur, Rocklänge, Lippenstiftfarbe – oft anstelle ihrer politischen Handlungen – zum zentralen Thema der Berichterstattung gemacht wurden.
Angefangen hatte das diplomatische Debakel mit der Meldung, dass der 72-Jährige, die Vertretung Putins am G-20-Gipfel in Bali, ins Spital eingeliefert worden sei. Manche Quellen sprachen von Herzproblemen, Russland sprach von Fake News «im höchsten Grad». Am Montag bestätigte das indonesische Gesundheitsministerium, dass zwei medizinische Untersuchungen stattgefunden haben, Lawrow aber wohlauf sei.
Dies wollte Lawrow auch persönlich noch unterstreichen − und postete ein Video von der Terrasse seines Hotels in Bali. Am Handgelenk eine Uhr, die aussieht wie eine Apple-Watch ( – es sei eine Huawei, rechtfertigt sich Lawrow später), ein iPhone auf dem Tischchen. Politiker in Russland sehen sich oft der Kritik ausgesetzt, einerseits gegen den Westen zu wettern, jedoch jegliche Fortschritte und Luxusgüter zu geniessen.
Sein Outfit auf dem Video gleicht einem Pyjama. Untypisch für den Russen, der ansonsten ausschliesslich im Anzug auftritt. Das T-Shirt blau-gelb – die ukrainischen Nationalfarben. Aber das ist nicht alles: Der Druck des T-Shirts zeigt den Namen des amerikanischen Künstlers Jean-Michel Basquiat und sein bekanntes Motiv der Krone.
Die Krone im Werk des Schwarzen Künstlers wird verschieden gedeutet. Manche Kritiker:innen deuten das wiederkehrende Symbol als Referenz auf die Unterdrückung Schwarzer Menschen in den USA und als Hommage an Künstler:innen of colour, die ihn beeinflussten. Die politische Einstellung des antikolonialistischen und queeren Künstlers widerspricht den vom Kreml propagierten Werten diametral. Er starb 1988 an einer Überdosis Heroin.
Auf den sozialen Medien werden schon fleissig beissende Kommentare gepostet. Lawrows Oberteil sehe ein bisschen ausgeleiert aus, es gebe aber bessere Optionen: ein Shirt mit den gleichen Farben, das aber statt die Basquiat-Krone das zum Verwechseln ähnliche ukrainische Wappen zeigt. Dank der Hilfe von Photoshop-Künstler:innen sieht man plötzlich den russischen Aussenminister, wie er milde in die Kamera lächelnd für den Kriegsgegner wirbt: mit einem goldenen Dreizack auf dem blauen T-Shirt.
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Kleider von Politikerinnen und Politikern sind nicht nur bei Fehltritten relevant. Sie werden als «Soft Power Diplomacy» gezielt eingesetzt – auch von Männern.
Viele Staatsoberhäupter sind zum Beispiel vorsichtig in Zeiten der Knappheit, sich mit Luxuskleidern zu zeigen. Nicht so Wladimir Putin. Im März zeigte sich der russische Präsident in einer 14’000 Dollar teuren Jacke eines italienischen Designers. Ein Statement, das Berichte bekämpfen soll, die Russland als arm und schwach darstellen.
Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski setzt Kleidung gezielt ein. Seine khakifarbenen T-Shirts und sein Dreitagebart zeigen nicht nur, dass die Lage ernst ist, sondern machen ihn auch zugänglicher – was direkt auch prominente Nachahmer auf den Plan rief. Der französische Präsident Emmanuel Macron inszenierte sich kurz nach der russischen Invasion unrasiert und in einem schwarzen Hoodie, der an Selenskis Stil erinnert.
Eines der berühmtesten Fashion-Statements in der Politik sind die roten Berets, die zum Beispiel in verschiedenen afrikanischen Ländern als Symbol für eine radikale Revolution getragen werden – unter anderem vom ugandischen Oppositionellen und Musiker Bobi Wine oder vom linken südafrikanischen Politiker Julius Malema, der sagt, das Rot stehe für das Blut, das von denjenigen vergossen wurde, die ihr Leben für die Freiheit gelassen hätten.
Die Debatte über Mode und Handys mag manchen angesichts der täglichen Grauen des Ukraine-Kriegs nebensächlich erscheinen. Doch auch Mode und Symbole haben einen Einfluss auf das Kriegsgeschehen. Sie beeinflussen, wie Menschen den Krieg wahrnehmen – und bestimmen mit, wer die Deutungshoheit behält.
Russland baut neue Schützengräben auf der Krim, sagt ein Schweizer OSINT-Spezialist
Von Nora Seebach
Im Ukraine-Krieg leisten sich ganze digitale Armeen im Kampf um Informationen ein Wettrennen mit den Geheimdiensten auf beiden Seiten. Viele von ihnen sind Hobbyermittler:innen. Mittendrin: Benjamin Pittet aus Biel.
Der junge Mann Anfang zwanzig war Russland schon auf die Schliche gekommen, bevor es die Ukraine am 24. Februar angriff. Mittlerweile ist Benjamin Pittet eine internationale Grösse in der Gemeinschaft der Open Source Intelligence (OSINT) auf Twitter mit 190’400 Followern – unter ihnen sind Militärexpert:innen und Chefkorrespondent:innen führender Zeitungen.
OSINT-Recherchen nutzen öffentlich zugängliches Material im Internet – anstelle von Geheimdienstinformationen –, um zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen oder Entwicklungen im Krieg aufzudecken oder zu analysieren. (Lesen Sie hier oder hier mehr dazu.)
Dass Amateure eine Lust an der Ermittlung entdeckt haben, hat für die französische Regisseurin Chloé Galibert-Laîné, die einen kritischen Film darüber gedreht hat, damit zu tun, dass wir die Ereignisse über Bildschirme wahrnehmen.
Im April sagte Benjamin Pittet der NZZ, er brauche für seine Recherchen lediglich einen Laptop, sein Handy und «schlechtes WLAN». Er könne sich durchaus vorstellen, in Zukunft für einen Nachrichtendienst oder für Medienhäuser zu arbeiten, sagt der gelernte Bauzeichner. Und er hoffe, dass das Material seiner Recherchen irgendwann vor Gericht verwendet werden könne.
Am letzten Samstag erklärte Pittet in einem Twitter-Thread, wieso Russland sich aus Cherson zurückziehen werde. Vier Tage später, also am Mittwoch, schlug General Sergei Surowikin, Russlands oberster Befehlshaber, dem Verteidigungsminister Sergei Schoigu den Rückzug an das linke Dnipro-Ufer vor. Und Schoigu stimmte zu. (Lesen Sie hier die Reportage von der Frontlinie.)
Ermittler Pittet hatte seine Einschätzungen mit Satellitenbildern belegt, auf denen man sieht, wie die russische Armee das linke Dnipro-Ufer festigt und wie sie sich defensiv aufstellt. Aber auch der OSINT-Star macht Fehler: Zuerst verwechselte er das linke und das rechte Ufer, da die Benennung nicht nach der Karte erfolgt, sondern nach der Fliessrichtung des Flusses.
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Der Rückzug der russischen Truppen aus Cherson könnte es beiden Kriegsparteien erlauben, Kräfte in andere oder neue Frontabschnitte zu verlagern, zum Beispiel in Richtung der 2014 von Russland annektierten Krim.
Pittet veröffentlichte schon am Mittwoch seine neueste Recherche über die nächsten Schritte Russlands – fast 100 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Er schreibt: «Ich denke, dieser Thread wird Sie überraschen ... Denn Russland gräbt neue Gräben auf ... der nördlichen Krim!»
Mithilfe von Vorher-Nachher-Bildern oder Aufnahmen, die zeigen, wie Bagger Gräben ausheben, zeichnet Pittet akribisch nach, was auf der Krim vorgeht – und das alles aus der Luft. Er kommentiert: «Sie bauen eine Festung.» Die Russen stellen sich defensiv auf, weil sie offenbar mit einem weiteren Vorrücken der Ukrainer rechnen, bis hin zur annektierten Krim.
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Die hochaufgelösten Satellitenbilder, die Pittet zur Beweisführung herbeizieht, sind teuer. Am Schluss seines Twitter-Threads erwähnt er seine Mitstreiter in der Ermittlungsarbeit. Und als Leser:in bekommt man die Möglichkeit, ihm einen Kaffee zu spendieren.
Der «Verräter aus Kiew» und seine Edelsteine
Von Enver Robelli, aus Pristina
Andri Naumow war einst ein einflussreicher Mann im ukrainischen Geheimdienst SBU. Er leitete dort unter anderem die Abteilung für die innere Sicherheit, die gegen mutmasslich korrupte oder kriminelle Beamte ermittelt. Staatschef Wolodimir Selenski erhob ihn sogar in den Rang eines Generals.
Naumow war aber keineswegs unumstritten. Auf ihn sollen Geheimdienstoffiziere ein Attentat geplant haben. 2021 wurde der hochrangige Geheimdienstler plötzlich entlassen, die ukrainischen Behörden werfen ihm vor, er habe der russischen Seite heikle Informationen über die Sicherheitslage auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks in Tschernobyl weitergegeben.
Am 23. Februar 2022, wenige Stunden vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, ergriff Andri Naumow die Flucht. Offenbar hatte er mit seiner Festnahme gerechnet. Kurz darauf wurde ihm sein Dienstgrad aberkannt. Der Ex-General wurde des Landesverrats bezichtigt.
Das alles konnte Naumow von Serbien aus verfolgen, wo er sich aufhielt. Das Balkanland gilt als russlandfreundlich, die aggressive Boulevardpresse verbreitet Wladimir Putins Propaganda und ultranationalistische Gruppen organisieren häufig «Solidaritätskundgebungen» mit Russland.
Die serbische Regierung weigert sich, die EU-Sanktionen gegen Moskau zu übernehmen. In die Fake-News-Annalen wird der folgende Titel einer Belgrader Hasspostille vom 22. Februar 2022 eingehen: «Die Ukraine hat Russland angegriffen». Nach Angaben des Belgrader Zentrums für euroatlantische Studien treiben in Serbien über 100 prorussische Organisationen ihr Unwesen.
Andri Naumow geriet im Juni in die Schlagzeilen, als er von der serbischen Polizei an einem Grenzübergang zu Nordmazedonien festgenommen wurde. Der Ukrainer war in Begleitung eines deutschen Staatsangehörigen, der auf der Sanktionsliste Kiews steht. In Naumows Fahrzeug fanden die Beamten über 600'000 Euro, etwa 125'000 US-Dollar und zwei teure Smaragde.
Mittlerweile fordert die Ukraine von Serbien die Auslieferung Naumows. Ihm wird Machtmissbrauch und Unterschlagung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Ungemach droht dem früheren Geheimdienstler auch in Serbien: Die dortige Justiz beschuldigt ihn der Geldwäscherei.
Diese Woche fand vor einem Gericht in der südserbischen Stadt Nis eine Anhörung statt über die Auslieferung Naumows an die Ukraine. Sein serbischer Anwalt erklärte, es gebe keine Rechtsgrundlage für die Überstellung seines Klienten nach Kiew. Naumow sei ein politischer Verfolgter.
Während seiner Zeit beim ukrainischen Geheimdienst soll Naumow die rechte Hand von Iwan Bakanow gewesen sein. Bakanow war 2019 von seinem Schulfreund Wolodimir Selenski, der zuvor die Wahlen gewonnen hatte, zum Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU ernannt worden.
Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, hatte doch Selenski als fiktiver Präsident in der Fernsehserie «Diener des Volkes» alte Freunde auf wichtige Posten gehievt, weil er im Haifischbecken der ukrainischen Politik niemandem vertrauen konnte oder wollte. Iwan Bakanow leitete Selenskis Fernsehproduktionsfirma und seinen Wahlkampf.
Im Sommer entliess Selenski Bakanow vom Posten des SBU-Chefs. Hintergrund waren mehrere Verdachtsfälle von Landesverrat durch Angehörige des ukrainischen Sicherheitsapparats. Bakanow war für den Job nicht qualifiziert: Er hatte in seinem Berufsleben nichts mit Geheimdiensten zu tun und als Chef gelang es ihm nicht, die Behörde zu reformieren.
Selenski hatte sich schon Ende März unzufrieden mit der Arbeit des Geheimdienstes gezeigt. «Ich habe jetzt nicht die Zeit, mich mit allen Verrätern zu befassen», sagte der Präsident.
Zwei von ihnen nannte er namentlich: Den nach Serbien geflüchteten Andri Naumow und den ehemaligen Geheimdienstchef der südlichen Region Cherson, Serhi Kryworutschko. Dieser soll die Stadt Cherson im Frühjahr ohne Gegenwehr den russischen Invasoren übergeben haben. Selenski bezeichnete Kryworutschko als «Antihelden».
(Lesen Sie hier mehr dazu, wie Moskau seine Lobbyisten beim Feind platzierte.)
Mitte Juli wurde Oleh Kulinitsch festgenommen: Der SBU-Mann war für die 2014 von Russland eroberte ukrainische Halbinsel Krim zuständig. Er soll mit den Russen kollaboriert haben.
Selenski sprach damals von einer «Selbstreinigung» des Geheimdienstes, räumte aber ein, dass in den besetzten Gebieten mehr als 60 Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Justiz mit dem Feind zusammenarbeiteten.
Ausserdem hätten die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden 651 Fälle von mutmasslichem Verrat und Kollaboration eröffnet. Dass Andri Naumow bald vor einem ukrainischen Gericht stehen wird, scheint unrealistisch. Zunächst muss er sich in Serbien wegen Geldwäscherei verantworten. Das Auslieferungsverfahren könnte bis zu einem Jahr dauern.
«Unsere Kommandanten nennen Menschen Fleisch»: Russische Infanteristen sind wütend und beschweren sich
Von Nora Seebach
Diese Woche begann ein neues Kapitel im Informationskrieg zwischen Russland und der Ukraine.
Das russische Verteidigungsministerium äussert sich selten zu Anschuldigungen aus den sozialen Medien. Doch am Montag nahm es Stellung zu einem Beschwerdebrief.
Angehörige der 155. Marine-Infanteriebrigade der russischen Armee hatten sich darin an Oleg Koschemjako gewandt. Er ist Gouverneur ihrer Heimatregion Primorje im Osten Russlands.
Die Soldaten beklagten sich über die Führung ihrer in Pawliwka stationierten Einheit. Die Kommandanten hätten die Soldaten in eine schlecht geplante und «unverständliche Offensive geworfen».
Innerhalb von vier Tagen sollen deswegen 300 Mann umgekommen, verletzt oder verschwunden sein. Ausserdem sei die Hälfte der Ausrüstung zerstört oder verloren.
Der Protestbrief der Soldaten wurde im Telegram-Kanal «Grey Zone» veröffentlicht. Dieser Kanal soll der Söldnertruppe Wagner nahestehen.
Die Soldaten sind ernüchtert. Sie nennen ihre Vorgesetzten ironisch «unsere ‹grossen Befehlshaber›» und schreiben von der anscheinend «‹sorgfältig› geplanten» Offensive. Der eine Befehlshaber habe leichtsinnig gehandelt, weil er sich eine Auszeichnung als «Held Russlands» erhoffte.
Im Brief fragen die russischen Infanteristen, wann ihre Vorgesetzten «aufhören, Militäroperationen zu planen, die so viele Menschenleben kosten – nur um ihrer Berichte und Auszeichnungen willen? Ihnen geht es um nichts anderes, als sich aufzuspielen. Sie nennen Menschen Fleisch.»
Der Adressat des Briefs, Gouverneur Oleg Koschemjako, reagierte mit einer Videobotschaft via Telegram. Er warnt vor Falschmeldungen: «Im Informationskrieg müssen alle Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken überprüft werden.»
Und er zitiert die Kommandanten: «Wir machen grosse Fortschritte, aber es gibt auch Verluste, doch bei weitem nicht so viele.» Einen Tag vorher hatte er laut dem unabhängigen russischen Rechercheportal «The Insider» noch behauptet, die Nachricht über Verluste sei eine ukrainische Falschmeldung.
Trotzdem werde der Vorfall untersucht, sagt Koschemjako. Dies wurde im Brief explizit gefordert – allerdings wollten die Soldaten eine unabhängige Kommission, «nicht aus dem Verteidigungsministerium».
Kurz nach dem Gouverneur äusserte sich auch das russische Verteidigungsministerium – mit ähnlichen Aussagen. Die Kommandanten werden erneut in Schutz genommen und die Verluste relativiert respektive heruntergespielt oder gar verfälscht.
Die Verluste der 155. Marine-Infanteriebrigade betrügen nicht mehr als ein Prozent des Kampfpersonals – und zwar nur «dank des kompetenten Handelns der Kommandanten». Natürlich seien auf der Gegenseite die Verluste im Vergleich verheerend, «im Durchschnitt 7 zu 1, in einigen Gebieten 9 zu 1».
Der Telegram-Kanal «Grey Zone» wiederum reagierte prompt auf die Beschwichtigungen der Regierung. Ein Video mit dem Titel «1%» wurde gepostet. Es zeigt Drohnenaufnahmen, auf denen man die Zerstörung der 155. Marine-Infanteriebrigade sehen soll. Dies berichtete «The Insider».
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Das amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) schreibt, dass die Stellungnahme Russlands zum Aufschrei der Militärblogger zeige, dass diese einen beträchtlichen Einfluss auf das Verteidigungsministerium hätten, was Informationen und öffentliche Meinung beträfen. Die Lage in Pawliwka müsse ausserdem so ernst sein, dass eine Reaktion gerechtfertigt ist.
Ein Twitter-User, der Material aus Russland übersetzt, postete ein Video, das mutmasslich Soldaten der 155. Infanteriebrigade zeigen soll. Darin geben sie zu, dass es Verluste gegeben hat, «unsere Gegner sind keine kleinen Jungs, es sind Soldaten wie wir». Sie versichern aber, dass sie die Stellung halten werden.
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«Die schnellste und grösste Vertreibung seit Jahrzehnten» – in 5 Punkten
Von Nora Seebach
«Die russische Invasion in der Ukraine hat die schnellste und grösste Vertreibung seit Jahrzehnten ausgelöst», sagte Filippo Grandi, Chef des UNO-Flüchtlingswerks (UNHCR), kürzlich vor dem UNO-Sicherheitsrat in New York. Im Nachfolgenden sollen die aktuellen Zahlen und Zustände aufgeschlüsselt werden.
Das sind die aktuellen Zahlen
14’000’000 – Vierzehn Millionen Menschen sollen seit der Invasion aus ihrem Zuhause vertrieben worden sein.
7’786’195 – So viele Menschen mussten gemäss UNHCR die Ukraine wegen des Krieges verlassen und haben im Ausland Schutz gesucht.
6’240’000 – So viele Menschen mussten innerhalb der Ukraine flüchten. Diese Menschen werden Binnenvertriebene genannt.
67'621 – Laut dem Staatssekretariat für Migration in Bern (SEM) haben so viele Personen in der Schweiz den S-Status erhalten (Stand 7. November 2022).
Wo finden die Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz?
Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Richtung Westen flüchteten, befinden sich in Polen und Deutschland.
Auf dem Datenportal des UNHCR kann man die aktuellen Zahlen von Geflüchteten pro Land nachschauen. Russland: 2’868’590, Polen: 1’469’032. Russland vermeldet fast doppelt so viele Geflüchtete wie in Polen.
Wie ist das zu verstehen? Der Krieg hat sich seit dem Anfang geografisch verlagert. Am Anfang flüchteten viele aus dem Westen der Ukraine. Die Frontlinie verläuft mittlerweile im Osten des Landes, abgesehen von den Luftangriffen auf Städte im ganzen Land. Aus Donezk und Luhansk flüchten viele in das nahe Russland.
Ausserdem werden die Zahlen von den Ländern selbst zur Verfügung gestellt, und auch die UNO-Flüchtlingshilfe kann diese nur beschränkt überprüfen.
Auf Anfrage schreibt das UNHCR, dass ihm Berichte von Geflüchteten bekannt sind, «die keine andere Wahl hatten, da es in der sehr instabilen Sicherheitslage keine sicheren Passagen/Korridore in die von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ukraine gab». Das bedeutet, dass für eine Flucht die Kriegsfront, die im Osten und im Süden des Landes verläuft, durchquert hätte werden müssen.
Eine unbekannte Anzahl an Ukrainerinnen und Ukrainern, inklusive Kindern, sind nach Russland verschleppt worden. Dem UNHCR sind «Berichte (Medien- und Menschenrechtsberichte) und andere Behauptungen über erzwungene Bewegungen aus der Ost- und Südukraine nach Russland bekannt».
So leben die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer
Calais, Lesbos: Die Flüchtlingscamps in Europa haben sich in unser Bewusstsein eingebrannt. Und auch die Bundesasylzentren der Schweiz ziehen immer wieder wegen menschenunwürdiger Zustände die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Doch die Geflüchteten der Ukraine sieht man selten in Containern oder in Zelten.
Der Grund dafür ist, dass die meisten (66 Prozent laut UNHCR) in privaten Unterkünften oder Gastfamilien leben – möglich macht dies vor allem der bevorzugende Schutzstatus sowohl in der EU als auch in der Schweiz.
Auf Anfrage erklärt das SEM, dass die Geflüchteten aus der Ukraine zuerst in einem Bundesasylzentrum untergebracht werden, bis sie registriert sind. Danach erhalten die Schutzsuchenden den Status S und werden einem Kanton zugeteilt. Diese sind danach zuständig für die Geflüchteten und wie sie untergebracht werden.
Eine Ausnahme betreffend Lager ist Genf. Lesen Sie hier mehr darüber, wie die Geflüchteten in Genf leben.
Vertriebene innerhalb der Ukraine haben laut einem UNO-Bericht Mühe, eine angemessene Unterkunft zu finden und ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Dies könne zu Ausbeutung und geschlechtsspezifischer Gewalt führen.
Die Gender-Dimension der Flucht
Die meisten der Vertriebenen sind Frauen (die Prozentzahl variiert) und Kinder, da Männer zwischen 18 und 60 Jahren in der Ukraine eine Wehrpflicht haben, was ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Auch in der Schweiz haben knapp doppelt so viele Frauen wie Männer den Schutzstatus S erhalten.
Die oftmalige Aufspaltung der Familie durch den militärischen Einsatz der Männer führt dazu, dass die Versorgung der Familie und vor allem der Kinder erschwert wird und meistens an der Mutter hängen bleibt. 78 Prozent der Menschen auf der Flucht wurden von mindestens einem ihrer engsten Familienmitglieder getrennt.
Dazu kommt, dass Frauen, wenn sie Grenzen überqueren, sich in Luftschutzkellern verstecken oder in Übergangszentren übernachten, einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Die drei häufigsten Formen dieser Gewalt sind häusliche Gewalt, Menschenhandel und konfliktbezogene sexuelle Gewalt. (Lesen Sie hier mehr dazu)
Schon im Juni hat die UNO-Menschenrechtskommission Berichte von über 124 Fällen von konfliktbezogener sexueller Gewalt erhalten – dazu zählt Vergewaltigung.
Frauen von verletzlichen Gruppen wie zum Beispiel Seniorinnen oder solche, deren Mobilität durch eine Behinderung eingeschränkt ist, werden laut einem UNO-Bericht oft in den Kriegsgebieten zurückgelassen.
Zurück in die Ukraine?
Ende Oktober hat die ukrainische Vizeregierungschefin die vertriebenen Ukrainerinnen und Ukrainer dazu angehalten, erst nach dem Winter zurückzukehren: «Wir müssen den Winter überstehen. Leider wird das Energienetz nicht halten – ihr seht ja, was Russland macht. Wenn ihr die Möglichkeit habt, den Winter im Ausland zu verbringen, dann tut es.»
Laut einer Umfrage des UNHCR will die Mehrheit der Geflüchteten (63 Prozent) zurzeit im Gastland bleiben. Sie geben als Gründe vor allem Sicherheit und familiäre Bindungen an. Diejenigen, die zurückgehen, machen das, um weiteren Verwandten zur Flucht zu verhelfen, Familien zu besuchen, um Grundversorgung zu beziehen oder zu arbeiten.
Dies lässt darauf schliessen, dass Geflüchtete auch aus finanziellen Gründen zurückkehren müssen, da sie sich zum Beispiel eine ärztliche Behandlung im Ausland nicht leisten können oder keinen Job finden. Lesen Sie hier die Reportage über die Rückkehr einer Frau in die Ukraine.
283’000 Menschen aus der Ukraine haben über ein UNHCR-Programm in Polen Bargeld erhalten. Das zeigt, dass die staatlichen Mittel nicht immer ausreichen oder nicht alle erreichen.
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In der Schweiz seien keine solchen Fälle bekannt, schreibt der Mediensprecher des SEM: «Der Bund entrichtet den Kantonen für alle Geflüchteten aus der Ukraine in ihrer Obhut eine Pauschale von 1500 Franken pro Monat.»
Wenn sich Geflüchtete mehr als 15 Tage pro Quartal in der Ukraine aufhalten, verlieren sie den Schweizer Schutzstatus S. Stand 7. November wurde bei 5344 Personen der Status S beendet, und bei 1704 Menschen ist die Beendigung in Prüfung.
Neue Studie: Deutsche sind empfänglich für Putins Propaganda
Von Dominique Eigenmann aus Berlin
Dass Russland in Deutschland einen verdeckten Desinformationskrieg führt, ist spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015/16 bekannt. Seit dem Überfall auf die Ukraine hat die Einflussnahme nochmals stark zugenommen.
Deutsche Behörden haben deswegen dieses Frühjahr unter anderem dem deutschsprachigen russischen Propagandasender RT DE die Ausstrahlung verboten. Dessen deutsche Inhalte sind im Internet aber weiterhin leicht zugänglich.
So offensiv und aggressiv wie in den vergangenen Monaten seien die russischen Einflusskampagnen in Deutschland noch nie gewesen, sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesverfassungsschutzes, kürzlich im Bundestag.
Die «Desinformationsmaschinerie» werde durch eine Vielzahl verschiedener Akteure in Gang gehalten, die sich gegenseitig verstärkten. Haldenwang sprach von einer Mixtur aus Propaganda staatlicher russischer Stellen, prorussischen Akteuren in sozialen Medien und gefälschten Accounts, sprich: russischen Trollen.
Vergleichsweise plump war eine Kampagne, über die die Medien Ende August berichteten. Auf über 30 Fake-Nachrichtenseiten, die auf den ersten Blick nicht von echten Websites deutscher Medien wie «Spiegel», «Frankfurter Allgemeine Zeitung» oder «Bild» zu unterscheiden waren, wurde prorussische Desinformation verbreitet. Auch Videos kursierten, die fälschlicherweise vorgaben, von der Redaktion der «Süddeutschen Zeitung» zu stammen.
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Putins Propaganda wird in Deutschland von vielen rechts- und linksradikalen Akteuren vor allem über die sozialen Medien verbreitet. Wichtige Multiplikatoren sind dabei alternative Querfront-Medien wie etwa das «Compact-Magazin» und Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD). Fachleute meinen, die Desinformationskampagne habe vor allem das Ziel, die Unsicherheit in der Gesellschaft zu schüren und das Vertrauen in die Regierung zu untergraben.
Auf welch fruchtbaren Boden solche Propaganda in Deutschland fällt, belegt eine neue repräsentative Studie der gemeinnützigen Organisation CeMAS, die verschwörungsideologische Entwicklungen beobachtet. Seit April sei die Zustimmung zu Behauptungen des Putin-Regimes über den Krieg in der Ukraine deutlich gestiegen: So seien im Oktober 40 Prozent der Deutschen ganz oder zumindest teilweise der Meinung gewesen, Russland habe mit dem Krieg nur Provokationen der Nato beantwortet. Im April hatten dieser Aussage nur 29 Prozent zugestimmt. Der These, die Ukraine habe keinen eigenen Gebietsanspruch, sondern sei im Grunde ein Teil Russlands, stimmten im Oktober 35 Prozent zu, gegenüber 24 Prozent im April.
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Im Osten Deutschlands ist die Zustimmung zu prorussischen Narrativen rund doppelt so hoch wie im Westen. Besonders verbreitet sind diese laut Studie bei Anhängerinnen und Anhängern der AfD sowie der Linkspartei.
In beiden Parteien gibt es Mehrheiten für Aussagen wie: «Die Nato hat Russland so lange provoziert, dass Russland in den Krieg ziehen musste» oder «Putin geht gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht» – die Zustimmung bei der AfD liegt insgesamt am höchsten. 46 Prozent ihrer Sympathisanten glauben sogar, dass Russland die Ukraine angreifen musste, um die dortige «faschistische Regierung zu beseitigen».
Am wenigsten empfänglich für russische Propaganda sind die Anhängerinnen und Anhänger der Grünen, gefolgt von denen der FDP. Aber selbst bei den Liberalen stimmen noch 36 Prozent ganz oder teilweise der Aussage zu, die Nato habe Russland zum Krieg quasi genötigt.
Auffällig ist laut Studie auch, wie stark prorussische Verschwörungserzählungen mit der Bereitschaft korrelieren, an Protesten gegen die Corona-Politik teilzunehmen.
Scherz-Video: Die Ukraine findet deutsche Panzer «supergeil» – und will mehr davon
Von Nora Seebach
Vor einigen Jahren warb die deutsche Supermarktkette Edeka mit dem Hitlied «Supergeil» des Künstlers Friedrich Liechtenstein. Nun hat das ukrainische Militär am Mittwoch eine abgewandelte Version des kultigen Musik- und Werbevideos veröffentlicht – und bittet damit um Leopard-Kampfpanzer aus Deutschland.
In das Originalvideo werden Fotos der bereits von Deutschland gelieferten Flugabwehrwaffen Gepard und Iris-T geschnitten – sie werden «Super Gepard» und «Super Iris» genannt. Damit habe die Ukraine schon eine «Super Defense» (Verteidigung).
Lesen Sie hier mehr zur Luftabwehr Iris-T.
Doch dann kommt Ukraines Bitte: Szenen von «Super Leopard» im Einsatz – verbunden mit einem «Super Please». Und das grosse Finale: «Dankeschön Deutschland».
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Gegenüber t-online sagte das Management des Künstlers Liechtenstein, er habe davon nichts gewusst. Es handelt sich daher nicht um eine offizielle Zusammenarbeit.
Die deutsche Regierung lehnt bislang die Lieferung des Kampfpanzers Leopard und des Schützenpanzers Marder ab – mit der Begründung, dass auch kein anderer Nato-Partner der Ukraine solche Panzer zur Verfügung stelle. Das von Russland angegriffene Land erhofft sich mit diesen Panzern, besetzte Gebiete leichter befreien zu können.
Gleichzeitig will Berlin Kiew 12’000 35-Millimeter-Geschosse für den deutschen Flugabwehrpanzer Gepard – «Super Gepard» – liefern. Am 21. Oktober hat die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht deshalb eine Anfrage an die Schweiz geschickt: 2'400 Patronen 35mm-Munition wurden vor Jahrzehnten in der Schweiz gefertigt. Deshalb braucht Berlin für den Re-Export eine Genehmigung aus Bern.
Heute hat der Bundesrat Guy Parmelin geantwortet: «Aufgrund des neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots kann die Schweiz einer Anfrage um Weitergabe von Kriegsmaterial mit Schweizer Ursprung an die Ukraine nicht zustimmen, solange diese in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist.»
Wieso Norwegen nun seine militärische Bereitschaft erhöht
Von Nora Seebach
Norwegen grenzt in seiner Nordpolregion an Russland. Das skandinavische Nato-Land versetzt nun sein Militär als Reaktion auf den Ukraine-Krieg in erhöhte Alarmbereitschaft, wie der Premierminister Jonas Gahr Støre am Montag verkündete.
Es werde mehr Personal in den operativen Dienst verlagert und die Rolle der schnellen Eingreiftruppe gestärkt.
Der Premierminister nennt es die «ernsteste Sicherheitslage seit mehreren Jahrzehnten», denn «die zunehmenden Spannungen machen uns anfälliger für Bedrohungen, Geheimdienstoperationen und Beeinflussungskampagnen».
Trotzdem versichert er, es gebe momentan keinen Grund, zu glauben, dass Russland bald angreife und den Krieg auf andere Länder auszuweiten gedenke.
Die Entscheidung sei nicht aufgrund eines kürzlichen Vorfalls, sondern wegen Entwicklungen über längere Zeit getroffen worden. Doch was ist bislang geschehen?
Mutmassliche Sabotage der Ostseepipelines von Nord Stream
Schon seit Ende September herrscht in Skandinavien und speziell in Norwegen Alarmstimmung.
Am 26. September wurden Lecks an den deutsch-russischen Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 entdeckt. Derzeit ermitteln Deutschland, Dänemark und Schweden, wie es zu den Schäden kam. Die schwedische Sicherheitspolizei teilte Anfang Oktober nach ersten Untersuchungen mit, es bestehe dringender Verdacht auf «massive Sabotage».
Laut Russland ist die britische Marine für die Explosionen an den Pipelines verantwortlich. Diesen Vorwurf äusserte das Verteidigungsministerium in Moskau – jedoch ohne Beweise vorzulegen.
Da Russland seine Gaslieferungen unterbrochen hat, ist Norwegen nun Europas grösster Gaslieferant. Geir Hågen Karlsen, Oberstleutnant und Forscher an der Verteidigungsakademie Norwegens, sagte Ende September dem norwegischen öffentlich-rechtlichen TV-Sender NRK: «Die norwegische Gasversorgung ist derzeit wahrscheinlich das grösste und strategisch wichtigste Sabotageziel in Europa.» (Lesen Sie hier mehr dazu)
Ende 2021 verschwanden unter mysteriösen Umständen vor der Nordküste Norwegens 4,3 Kilometer eines Meereskabels. Nach norwegischen Angaben war das Kabel durchtrennt worden, ehe es verschwand. Obwohl das mit Sensoren bestückte Kabel für Forschungen eingesetzt werden sollte, hätte es auch Daten über vorbeifahrende U-Boote sammeln können.
Spannung auf Spitzbergen
Norwegen hat in der Nordpolregion eine 198 km lange Grenze mit Russland. Schon während des Kalten Krieges war die Arktis Schauplatz für das Kräftemessen zwischen Ost und West. Spitzbergen ist ein norwegischer Archipel zwischen dem norwegischen Festland und dem Nordpol. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Zone entmilitarisiert.
Anfang Oktober warf Russland Norwegen erhöhte militärische Präsenz in der Region vor. So sei das grösste Schiff der norwegischen Marine (Thor Heyerdahl) ins Archipelago gefahren – als Machtdemonstration, so Russland.
Zudem sei die norwegische Küstenwache in Gewässer vor der russischen Siedlung Barentsburg «eingedrungen». Barentsburg liegt offiziell auf norwegischem Staatsgebiet.
Der Geschichtsprofessor Stian Bones von der Universität Tromsø sagte dem TV-Sender NRK, Russland wolle mit seinen Vorwürfen Norwegen klarmachen, dass es die Geschehnisse rund um Spitzbergen und in den nordischen Gebieten genau beobachte.
Bei der Grossübung des russischen und des weissrussischen Militärs im September 2017 wurde auch eine Besetzung von Spitzbergen geübt. Da Norwegen Nato-Mitglied ist, wäre ein Angriff auf Spitzbergen eine direkte Verletzung der Nato-Grenzen.
Verhaftung von Russinnen und Russen wegen Drohnen
Schon vor den Nord-Stream-Explosionen beunruhigten unbemannte Flugobjekte die norwegischen Sicherheitsbehörden. Sie wurden über kritischen Infrastrukturen wie Öl- und Gasanlagen oder Flughäfen gesichtet.
Nun häufen sich seit Wochen Medienberichte über festgenommene Russinnen und Russen, die in Norwegen Drohnen fliegen liessen, obwohl das wegen der Sanktionen gegen Russland untersagt sei.
Dabei geht es zum Beispiel um Andrei Jakunin. Der älteste Sohn des ehemaligen russischen Eisenbahnchefs und Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin hatte Drohnenflüge über Spitzbergen durchgeführt.
Hedvig Moe, stellvertretende Leiterin des norwegischen Inlandsgeheimdienstes, sagte: «Wir sehen Spitzbergen als ein sehr wichtiges strategisches norwegisches Gebiet und Geheimdienstkontext für Russland», wie die norwegische Tageszeitung VG sie zitiert. Weiter sagte sie: «Es könnte sich um Spionage handeln, aber auch darum, dass jemand einfach nur das Polarlicht gefilmt hat.»
Andrei Jakunin ist russisch-britischer Doppelbürger und Geschäftsmann. Gemäss Recherchen der «Wochenzeitung» aus dem Jahr 2019 führt er mit seinem Investmentfonds VIY das Hard Rock Hotel Davos. Im März sagte der Oligarchensohn dem «Wall Street Journal», er sei gegen Russlands Angriffskrieg.
Jakunin kämpft nun vor norwegischen Gerichten um seine Freilassung. Ein Gericht gab ihm zwar recht, weil das Fliegen von Drohnen im norwegischen Luftraum doch nicht Teil der Sanktionen gegen Russland sei. Doch weil das Urteil angefochten wird, bleibt Jakunin in Haft, wie der TV-Sender NRK berichtet.
Der russische Spion, der sich als Akademiker ausgab
Letzte Woche gab die norwegische Spionageabwehr ausserdem die Verhaftung eines Mannes in Tromsø bekannt. Er steht im Verdacht, ein russischer Undercover-Agent zu sein. Christo Grozev vom Recherchenetzwerk Bellingcat zufolge handelt es sich um einen hochrangigen Offizier des militärischen Geheimdienstes GRU.
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Der norwegische Inlandsgeheimdienst gab bekannt, dass der mutmassliche GRU-Mann Michail Mikuschin heisse. Er habe sich als brasilianischer Akademiker mit dem Namen José Assis Giammaria ausgegeben und an der Universität Tromsø gearbeitet.
Zuvor hatte er laut «The Guardian» in Kanada arktische Sicherheits- und Geopolitik studiert und zum Thema publiziert. Der Mann bestreitet die Vorwürfe.
Vitol-Chef: Russische Ölexporte werden trotz wachsender «dunkler Flotte» sinken
Von Jorgos Brouzos
Offenbar zeigen die neuen Sanktionen gegen Russland Wirkung, auch wenn sie noch gar nicht in Kraft sind und Putins Leute fleissig versuchen, sie zu umgehen.
Russell Hardy, Chef des Schweizer Ölhändlers Vitol, sagte der «Financial Times», dass Russlands Ölexporte in diesem Winter um bis zu 1 Million Barrel pro Tag zurückgehen. Damit sinken auch die Einnahmen von Putins Kriegsmaschinerie.
Der russische Anteil am Weltmarkt macht etwa 8 Prozent aus. Er besteht aus rund 5,5 Millionen Barrel pro Tag über den Seeweg und 2,5 Millionen Barrel pro Tag über Pipelines.
Hardy weiss, wovon er spricht. Vitol gilt als der grösste Ölhändler der Welt und war einer der wichtigsten Abnehmer von russischem Öl. Die Firma hat aber nach eigenen Angaben den Handel mit russischem Öl von Lieferanten wie dem staatlichen Rosneft-Konzern eingestellt.
Der Rückgang erfolgt selbst dann, wenn das Land seine «dunkle Flotte» von Tankern weiter ausbaut, so die Erwartung. Nach Angaben des Schiffsmaklers BRS umfasst die Flotte aktuell rund 270 Tanker. Sie verschifft derzeit mehrheitlich Öl aus Venezuela und dem Iran, Länder, für die bereits Sanktionen gelten.
Händler vermuten, dass sich russische Unternehmen ältere Tanker, die abgewrackt werden sollen, sichern wollen. So soll das russische Öl weiter abgesetzt werden können. Bekannt ist, dass China und Indien den Rohstoff weiterhin aus Russland beziehen.
«Wir glauben, dass die logistischen Lösungen wachsen und das Problem immer kleiner wird.»
Hardy sagte der «Financial Times», Russland versuche, sich vor den Folgen des Embargos zu schützen: «Wir glauben, dass die logistischen Lösungen wachsen und das Problem immer kleiner wird. Aber ob sie das ganze Problem beseitigt haben, wissen wir nicht.»
Derzeit gilt noch kein Handelsverbot für russisches Öl. Die EU hat zwar im Frühling ein Embargo beschlossen. Es gilt aber eine Übergangsfrist von sechs Monaten für die Einfuhr von Rohöl und acht Monaten für Ölprodukte wie Benzin oder Diesel. Die Sanktionen gelten daher erst ab dem 5. Dezember.
Es gibt aber auch Kritik an dem Ölembargo. Dies, weil es den Preis für den Rohstoff hochtreibt und daher dafür sorgt, dass die ohnehin schon hohen Inflationsraten weiter ansteigen.
Der Wasserdrohnenangriff zeigt, wie ernst es Kiew mit der Krim meint
Von Christof Münger
Zunächst galt der Krieg in der Ukraine als Konflikt, der zuweilen an den Zweiten Weltkrieg erinnerte. Tatsächlich kam es zu Panzerschlachten und Artillerieduellen, wie man sie in Europa seit 1945 nicht mehr gesehen hat. Mal abgesehen von der hochmodernen elektronischen Aufklärung, dank der es der Ukraine mit westlicher Hilfe gelang, die Invasoren zurückzuschlagen.
Dann aber griffen die Russen mit iranischen Drohnen Kiew an. Und die Ukrainer schlugen am Samstag zurück, als sie mit schwimmenden Drohnen die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim attackierten.
Damit ist dieser Krieg im 21. Jahrhundert angekommen. Angeblich wurden beim Angriff in Sewastopol das Minenräumboot Iwan Golubez und einige Hafenanlagen beschädigt. Videoaufnahmen, die den Angriff zeigen sollen, legen nahe, dass noch mehr Schiffe getroffen worden sein könnten.
Für den früheren australischen General Mick Ryan zeigt der Drohnenangriff auf Sewastopol, dass die Ukraine die russischen Streitkräfte nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld angreifen kann: «Operative und strategische Ziele kommen nun ins Visier, unterstützt durch gute Aufklärungsarbeit und Langstreckenangriffe.» Die dazu benötigten Waffen seien der Himars-Raketenwerfer sowie – neu – maritime Drohnen, schreibt Ryan auf Twitter.
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Bereits im September wurde offenbar ein nicht identifiziertes USV (unbemanntes Überwasserfahrzeug) an einem Strand in der Nähe von Sewastopol sichergestellt, einem grossen russischen Marinestützpunkt. Der Fundort befand sich etwa 150 Seemeilen von den ukrainisch kontrollierten Küsten entfernt.
Diese Wasserdrohne ist klein, aber zweckmässig. Sie wird von einem einzigen Motor angetrieben, der an Bord montiert ist, und sie ist lenkbar. Die bekannt gewordenen Videos lassen auf eine relativ hohe Leistung schliessen, die Geschwindigkeit ist entscheidend für den Erfolg im Einsatz. Ausserdem dürfte ein so kleines Schiff, etwa so gross wie ein Kajak, nur schwer erkennbar sein auf dem Radar.
Der Angriff mit den Wasserdrohnen hat einmal mehr gezeigt, wie anpassungsfähig die Ukrainer sind. Sie haben in kürzester Zeit diese neue maritime Waffe entwickelt, die ihr wachsendes Arsenal für Langstreckenschläge hinter der Front ergänzt. Und vor allem hat die Ukraine diese neue Waffe offenbar bereits in ihre Angriffskonzepte integriert. Denn eine neue Waffe zu haben, ist nur das eine: Man muss sie auch noch geschickt in die eigene Kriegsführung integrieren.
Als Folge davon wird es für die Russen schwieriger, seegestützte Raketen auf die Ukraine abzuschiessen, ihre Flotte muss fortan mit Angriffen maritimer Drohnen rechnen.
Ausserdem hatten die maritimen Drohnen auch eine politische Botschaft an Bord. Und zwar zuhanden Russlands wie auch der Kiew-Unterstützer im Westen: Die Ukraine meint es ernst mit dem Kriegsziel, die Krim zurückzuerobern. Präsident Wolodimir Selenski hat das in seinen Reden ja mehrfach erwähnt. Richtig ernst genommen wurde er aber nicht.
Für Mick Ryan, der heute dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington angehört, zersetzen Angriffe wie jener auf den Hafen von Sewastopol das militärische Potenzial der Russen auf der Krim. Moskau werde gezwungen, die Prioritäten bei der Truppenaufstellung zu überdenken.
Die zusätzlich mobilisierten Soldaten schaffen keine Abhilfe gegen Wasserdrohnen. Gleichzeitig zeige der Angriff, so Ryan, dass die Ukraine gegen das russische Militär und nicht gegen das russische Volk kämpfe. Auch das sei eine wichtige strategische Botschaft.
Die Russen müssten derweil gewusst haben, dass die Ukraine maritime Drohnen entwickelt, es stand in der Presse. Offenbar haben sie ihren Gegner erneut nicht ernst genommen. «Die Unfähigkeit der Russen, sich schnell auf derat offene und offensichtliche Bedrohungen einzustellen, ist ein weiteres Indiz für ihre schlampige Professionalität und ihre Unfähigkeit, zu begreifen, dass sie gegen ein ukrainisches Militär kämpfen, das eine militärische Einrichtung von Weltklasse ist», schreibt Ryan.
Offensichtlich greifen beide Seiten zunehmend auf unbemannte und ferngesteuerte Waffensysteme zurück. Bisher wurden Drohnen zur Aufklärung, Überwachung und für taktische Schläge eingesetzt. Nun indizieren der russische Einsatz iranischer Drohnen und jener der Ukraine in Sewastopol eine Ausweitung.
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Drohnen sind billiger als Flugzeuge oder Raketen. Ihr Einsatz erfordert jedoch gute Aufklärungsdaten für die Zielerfassung und die Bewertung nach dem Angriff. Das setzt Know-how und die entsprechenden Geräte voraus.
Der Krieg sei der Vater aller Dinge, wird der griechische Philosoph Heraklit gerne zitiert. Das gilt auch im 21. Jahrhundert: Beide Seiten werden nun noch mehr in Antidrohnensysteme investieren.
Russische Kriegsbroschüre: «Entschlossene Soldaten bekommen fast nie Kopfläuse»
Von Nora Seebach
Geh mit mir, sagt das Vademecum. Das Büchlein ist in der Regel klein, sodass es in eine Tasche passt. Es wird üblicherweise vor einer Reise ausgeteilt. Vor einer beruflichen Ausbildung. Oder eben vor einem militärischen Einsatz – Lifehacks für Soldaten.
Eine solche Broschüre wird zurzeit in verschiedenen Regionen Russlands ausgehändigt, an Rekrutierungsstellen und in Trainingslagern. Die digitale Version davon kursiert in den sozialen Medien. Sie trägt den – bewusst oder unfreiwillig – imperial-römisch angelehnten Namen «Ich lebe, ich kämpfe, ich gewinne – Die Regeln des Lebens im Krieg» und enthält Empfehlungen für russische Soldaten in der Ukraine.
Der Verein für russische Veteranen ist die Herausgeberin. Das Büchlein soll jedoch laut einem russischen Lokalmedium vom Verteidigungsministerium abgesegnet worden sein.
Für Aussenstehende geben die 67 Seiten einen Einblick in den Alltag der Soldaten. Und in die Maschinerie und Ideologie von Putins Krieg. Hier eine Auswahl.
Grund für den Krieg: Ukrainisches Volk retten, Russland schützen
Die Ukrainer und Ukrainerinnen seien Russen, denen «die normale Bildung, die Kultur und ihre Muttersprache» vorenthalten worden sei. Die Ukraine als Staat gebe es nicht. Es sei das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, «das vorübergehend von einer Terrorbande besetzt ist». Die gesamte Macht dort sei in den Händen von Israel, den USA und Grossbritannien. Diese hätten einen Völkermord an der einheimischen Bevölkerung organisiert: «Indem wir in der Ukraine kämpfen, schützen wir also Russland und retten das ukrainische Volk vor dem Völkermord», heisst es weiter.
Die Packliste fürs Einrücken: Durchfalltabletten und Nagelknipser
«Bringen Sie mit:
- Reisepass, Militärausweis, Fahrausweis;
- Toilettenartikel und Rasierzeug für 1 Monat;
- 2 bis 3 Packungen Heftpflaster;
- Loperamid (Durchfallmittel) ;
- Klappmesser mit Ahle (Multitool);
- Löffel;
- Nagelknipser;
- 3–4 Paar Socken;
- 2–3 Sätze Unterwäsche (locker sitzend);
- 3–4 Paar Arbeitshandschuhe;
- Nadel- und Fadensatz (grün, schwarz, weiss);
- Feuerzeug, Streichhölzer (vorzugsweise
Allwetterstreichhölzer);
- Stange Zigaretten (für Raucher);
- Schnürsenkel (110–120 cm);
- Nahrung und Wasser für einen Tag»
Verluste ohne Kampf: der gefährliche Fusel
Das Vademecum legt den russischen Soldaten ans Herz, erstens immer einen Helm und eine Schutzweste zu tragen und zweitens Sicherheitsmassnahmen und Disziplin ernst zu nehmen. Denn: 40% der Verluste im Krieg seien auf den falschen Umgang mit Waffen, Beschuss durch eigene Truppen wegen mangelnder Kommunikation mit den Kameraden, Transportunfälle, Schikanen und Krankheiten zurückzuführen. In der Auflistung der Todesursachen wird auch Fusel-Alkohol erwähnt.
Abgesehen von den Alkoholvergiftungen, werde ein betrunkener Soldat – immer – getötet oder verwundet. «Das Einzige, wozu Wodka im Krieg taugt, ist zum Abwischen des Körpers, wenn man nicht baden kann, und um die Haut der Stiefel weich zu machen. Die Stiefel werden von innen mit Wodka geschmiert und am Fuss getragen, bis sie getrocknet sind.»
Im Zweiten Weltkrieg seien ausserdem unzählige Soldaten an von Läusen übertragenen Krankheiten gestorben. Das Büchlein gibt ein paar praktische Tipps zur Vernichtung der kleinen Krabbeltiere. Doch es wird auch klargemacht: Wer Läuse bekommt, ist ein Feigling und ein «Jammerlappen». Denn «aktive, entschlossene, fröhliche Soldaten bekommen fast nie Kopfläuse», sie sind mit dem Vorrücken beschäftigt.
Die Hightech-Armee der Ukraine: Ein Fingertipp auf dem Tablet
Die schwere Bewaffnung in diesem Krieg sei nicht mit Afghanistan oder Tschetschenien zu vergleichen, schreiben die Veteranen. Eher mit dem Zweiten Weltkrieg.
Das passt auch zur Rhetorik Russlands, wo immer wieder betont wird, die Ukraine wende Hitlers Kriegsstrategien an und müsse entnazifiziert werden.
Taktiken der ukrainischen Streitkräfte werden als ultra-hightech beschrieben: «Wenn russische Truppen entdeckt werden, braucht ein ukrainischer Soldat nur mit dem Finger auf einen Tablet-Bildschirm zu tippen, damit die Koordinaten des Ziels in das einheitliche Kontrollnetz eingespeist werden und eine freie Artillerieeinheit den Befehl zur Feuereröffnung erhält.» Nachdem die ukrainische Artillerie den Schlag ausgeführt habe, verstecke sie sich schnell wieder hinter Zivilistinnen und Zivilisten, lautet die Propaganda weiter.
Kochrezepte für den Schützengraben: Suppe mit Grütze
In der Regel erhalten russische Soldaten Trockenrationen, weil sie nicht kochen können. Das Vademecum enthält jedoch Kochtipps, um die Ernährung mit warmen Mahlzeiten abwechslungsreicher zu machen.
Im Anhang der Broschüre finden die Soldaten Rezepte für Kulesch – «eine dicke Suppe aus allem, was Sie in Ihrem Rucksack haben, plus Grütze (jede Art)» –, «Ungesäuertes Weizenfladenbrot» und «Gebackene Kartoffeln in Folie auf Kohlen».
Essen soll abends für die ganze Truppe gekocht werden – «in getarnten Unterkünften oder in Privathäusern, die von den Bewohnern zurückgelassen wurden und in denen es Öfen gibt».
Scharfes Essen belebe den Körper, sei viel besser verdaulich und werde schneller abgebaut, ohne Blähungen, Verstopfung oder Magenverstimmungen – man erinnere sich an die Durchfalltabletten auf der Packliste.
Nicht nur Kochrezepte, sondern auch Gebete können die Soldaten im Vademecum nachschlagen – Christen als auch Muslime, denn: «das Wichtigste: Gott ist mit uns!».
Zwangsadoptionen in Russland: «Ich wollte nicht gehen»
Von Nora Seebach
Ukrainische Kinder zu adoptieren, gilt in Russland zurzeit als patriotischer Akt. «Unsere Familie ist wie ein kleines Russland», sagt Frau Druschinina in einem Interview mit der «New York Times». «Russland hat vier Gebiete aufgenommen, und die Familie Druschinina hat vier Kinder aufgenommen.» Bald werde sie ein fünftes Kind adoptieren. Und die Kinder betrachte sie als vollwertige Russen. «Wir nehmen uns nicht, was uns nicht gehört», fügt sie hinzu.
Neue Recherchen zeigen auf, wie ukrainische Kinder nach Russland transportiert und wie manche dort adoptiert werden. Sie wurden vom Krieg vertrieben und an russischen Kontrollen aufgegriffen. Oder sie wurden von russischen Truppen in den besetzten Gebieten gefunden. Viele der Kinder kommen aus prekären Familienverhältnissen, aus Waisenhäusern oder Heimen.
Anya zum Beispiel lebte in Mariupol in einem Heim für Tuberkulosepatienten und musste wegen russischer Angriffe fliehen. «Ich wollte nicht gehen», sagte die 14-Jährige gegenüber der «New York Times». Sie lebt jetzt bei einer Pflegefamilie in der Nähe von Moskau. «Niemand hat mich gefragt.»
Anya soll bald eine russische Staatsbürgerin werden, ob sie will oder nicht. Sie wolle lieber nach Hause, irgendwo in der Ukraine ist ihre Mutter. «Meine Freunde und meine Familie sind nicht hier.»
Erste Berichte, dass ukrainische Kinder nach Russland transportiert werden, kamen Mitte März aus Mariupol. Kurz darauf twitterte die US-Botschaft in Kiew, dass 2389 Kinder aus Donezk und Luhansk transportiert worden seien. So geht es bis heute weiter – immer neue Berichte erscheinen davon, was Russland Adoption oder Rettung nennt, die Ukraine aber als Deportation, Verschleppung und Entführung von Kindern versteht.
Ukrainische Behörden und Medienberichte sprechen von über 2000 zwangsadoptierten Kindern, von denen sie die Namen kennen, und einer noch höheren Dunkelziffer.
Letzte Woche publizierte Russland ein Statement als Reaktion auf die Recherchen. Diese seien falsch und nicht objektiv. Es seien zwar in der Tat über 2000 Kinder nach Russland gereist. 300 Kinder davon seien bei russischen Familien untergekommen. Alle Adoptionen hätten jedoch freiwillig stattgefunden, und viele andere Kinder seien schon zurückgekehrt.
Unabhängig verifizierte Zahlen sind noch ausstehend.
Das russische Narrativ klingt etwa so: Die verwaisten Kinder werden durch ihren Transport nach Russland vor dem Krieg gerettet und mit Teddybären, neuen iPhones und warmen Umarmungen ihrer neuen russischen Mütter empfangen – als Staatsbürgerinnen und -bürger Russlands.
Die «New York Times» hat mit mehreren Kindern gesprochen, die noch Vater und Mutter in der Ukraine haben. Und der AP berichteten Kinder, dass ihnen vorgelogen worden sei, ihre Eltern würden sie ablehnen.
Die russische Kinderrechtsbeauftragte postet Bilder mit den ukrainischen Kindern. Am Anfang hätten sie störrisch die Nationalhymne der Ukraine gesungen. Doch jetzt sei die anfängliche Ablehnung in «Liebe zu Russland» verwandelt worden. Dazu beitragen sollen auch sogenannte Sommerlager für patriotische Erziehung.
Dass es sich bei den Transporten nicht um eine spontane Reaktion von russischen Soldaten an der Front handelt, die sich der armen verwaisten Kinder erbarmen, sondern vielmehr um eine Russifizierungstaktik des Kreml, zeigt auch ein Dekret vom 30. Mai.
Das von Putin unterschriebene rechtliche Dokument soll laut Associated Press (AP) vereinfachen, ukrainischen Minderjährigen ohne Eltern die russische Staatsbürgerschaft zu übertragen. Jegliche russische Ämter, in deren Obhut die Kinder sich befinden, können nun eine solche Einbürgerung einleiten.
Aus Sicht des internationalen Rechts spielt es keine Rolle, ob die Kinder tatsächlich Waisen sind oder nicht. Auch nicht, wie viele schon adoptiert wurden. Der Massentransport von Kindern in fremdes Staatsgebiet gilt nämlich als ein potenzielles Kriegsverbrechen.
Von westlicher und vor allem von ukrainischer Seite wird sogar die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 herangezogen. Holocaustforscher und Yale-Professor Timothy Snyder verweist auf den Artikel II.
Im Absatz e) steht dort «gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe» sei eine Handlung von Völkermord, wenn sie «in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören».
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Auch die UNO doppelt nach und veröffentlicht am 29. September 2022 eine Erklärung. Darin steht: «Illegale Adoptionen zwischen Ländern verletzen das Recht der Kinder auf Wahrung ihrer Identität, wie ihren Namen, ihre Staatsangehörigkeit und ihre familiären Beziehungen.»
Putins «Beweisstück»: Ein geklautes Bild aus Slowenien
Von Enver Robelli
Die russische Staatspropaganda läuft derzeit auf Hochtouren. Im UNO-Sicherheitsrat wirft Russland der Ukraine vor, eine «schmutzige Bombe» zu bauen.
Gleich darauf überwacht Kremlherrscher Wladimir Putin selbst eine Übung der strategischen Nuklearstreitkräfte. Das Manöver trägt den Namen «Grom» (Donner). Putin behauptet, die Ukraine sei «in ein Testgelände für militärbiologische Experimente verwandelt» worden. Zuletzt hatte Russland am 19. Februar, fünf Tage vor dem Überfall auf die Ukraine, die Atomwaffen getestet.
Putins Verteidigungsminister Sergei Schoigu telefonierte am Wochenende mit westlichen Verteidigungsministern, um sie vor angeblichen «Plänen» und «nuklearen Provokationen» der Ukraine zu warnen.
Es folgte ein Gespräch Schoigus mit dem indischen Amtskollegen, bei dem es auch um die «schmutzige Bombe» Kiews ging. Rajnath Singh teilte auf Twitter mit, keine der beiden Seiten solle auf die «nukleare Option» zurückgreifen. Dies würde gegen die «Grundprinzipien der Menschlichkeit» verstossen.
Im Krieg kommen bekanntlich Menschlichkeit und Wahrheit zuerst unter die Räder. Wie plump die russische Kampagne gegen die Ukraine ist, zeigt ein Tweet auf dem englischsprachigen Account des russischen Aussenministeriums. Darin wurden Bilder verbreitet, die belegen sollen, dass die Ukraine den Einsatz einer «schmutzigen Bombe» plane.
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Mindestens ein Foto stammt aber aus Slowenien, es ist zwölf Jahre alt und zeigt Rauchmelder mit der Aufschrift «radioaktivno» (radioaktiv). Das Bild gehört der slowenischen Agentur für radioaktive Abfälle (Arao) und wurde bisher als Illustration in Fachvorträgen verwendet, wie die Behörden in Ljubljana mitteilten. Es sei von der russischen Seite in «missbräuchlicher» Absicht verbreitet worden, sagte ein Berater des slowenischen Regierungschefs.
Das EU-Land Slowenien betreibt nahe der Grenze zu Kroatien das Atomkraftwerk Krsko. «Radioaktiver Abfall in Slowenien wird sicher verwahrt und ist unter Beobachtung. Er wird nicht für den Bau von schmutzigen Bomben verwendet», erklärte die Agentur für radioaktive Abfälle. Die Regierung in Kiew wirft Putin vor, mit seiner Propagandashow einen Vorwand zu suchen, um selbst atomare Waffen gegen die Ukraine einzusetzen. Auch westliche Regierungen halten die russischen Vorwürfe für unglaubwürdig.
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Vor der russischen Invasion in die Ukraine waren die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Riesenreich Russland und dem kleinen Alpenstaat Slowenien eng. In Slowenien hatten sich 2001 erstmals Wladimir Putin und der damalige US-Präsident George W. Bush getroffen. Putin besuchte 2016 die ehemalige jugoslawische Teilrepublik, um an einer Gedenkfeier zu Ehren der russischen Opfer im Ersten Weltkrieg teilzunehmen.
2017 traf sich Sloweniens Staatspräsident Borut Pahor mit Putin in Moskau. Dabei schlug der Kremlchef dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump ein Treffen in Slowenien vor, der Heimat von Trumps Ehefrau Melania. «Was Ljubljana und Slowenien im Allgemeinen betrifft, so ist das natürlich ein brillanter Ort, um einen solchen Dialog stattfinden zu lassen», meinte Putin. Das erste Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin fand aber im Sommer 2018 in Helsinki statt.
Der langjährige slowenische Ministerpräsident Janez Jansa galt – zusammen mit dem ungarischen Autokraten Viktor Orban – als enger Verbündeter Putins innerhalb der EU. Ende April verlor der Populist Jansa die Parlamentswahl. Sloweniens abtretender Staatschef Borut Pahor, der sich für ein besseres Verhältnis zu Russland eingesetzt hatte, erklärte nach der russischen Aggression gegen die Ukraine gegenüber «Spiegel online»: «Ich habe jedes Vertrauen in Putins Vernunft verloren.»
Droht vor Cherson eine Staudamm-Katastrophe?
Von Nora Seebach
Russland scheint sich auf die Schlacht um Cherson vorzubereiten. Darauf deuten die taktischen Schritte und Aussagen der russischen Besatzer der letzten Tage hin.
Putins Feldherr in der Ukraine, Sergei Surowikin, räumte diese Woche ein, dass die Lage in Cherson «angespannt» ist. Er wisse von bevorstehenden «massiven» Raketenangriffen durch die Ukraine auf den Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka.
Das Wasserkraftwerk liegt am Fluss Dnjepr, flussaufwärts der besetzten Stadt Cherson, am Ende des Kachowkaer Stausees.
Die Ukraine wiederum warnt vor einer «Katastrophe». Russische Truppen hätten den Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka vermint, sagte Präsident Wolodimir Selenski in einer Ansprache am EU-Gipfel am Donnerstag.
Die Wortwahl Selenskis ist wohl keine Übertreibung. Das Wasserkraftwerk Kachowka staue 18 Millionen Kubikmeter Wasser.
Im Falle eines Dammbruchs seien Hunderttausende Menschen am Fluss Dnjepr in Gefahr. Eine Sprengung könnte grosse Teile des besiedelten Flussbetts überschwemmen, inklusive der Grossstadt Cherson.
Zudem könnte die Wasserversorgung für Menschen im Süden der Ukraine zerstört werden und dem Kernkraftwerk Saporischschja das Kühlwasser fehlen, da es vom Kachowkaer Stausee gewonnen werde.
Die Gruppe von «GeoConfirmed» hat die öffentlich verfügbaren Daten im Internet ausgewertet, um herauszufinden, was bei dem Staudamm vor sich geht. Als Quellen benutzen sie Satellitenbilder und eine Onlinekarte, auf der verschiedene Kriegshandlungen eingezeichnet sind.
Der Staudamm ist für beide Kriegsparteien wichtig. Auf Twitter schreibt «GeoConfirmed», dass der Damm von der Ukraine schon seit Monaten beschossen wird, da er Russlands Hauptversorgungsweg ins besetzte Gebiet um Cherson sei. Der Damm ist aber bisher von der Ukraine nicht zerstört worden, obwohl, wie Geolocated nachweist, dies für die Ukraine möglich gewesen wäre.
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Dies hat durchaus Gründe. Die Ukraine braucht den Staudamm nämlich für ihre Gegenoffensive – um den Fluss zu überqueren. Es ist deshalb um einiges wahrscheinlicher, dass Russland plant, unter falscher Flagge den Damm zu sprengen.
Russland würde von einer Zerstörung des Damms profitieren. Damit könnten die russischen Truppen einen Angriff der Ukrainer von der Ostseite des Flusses Dnjepr verhindern. Die Flutwelle würde laut dem Institute for the Study of War (ISW) den russischen Truppen ausserdem helfen, ihren Rückzug zu verschleiern, die Ukraine wäre zu beschäftigt mit der folgenden humanitären Krise.
Medienberichte deuten darauf hin, dass Russland wahrscheinlich zurzeit grosse Mengen an Personal und Ausrüstung vom Westufer des Dnjepr abzieht. Die ISW-Analysen vermuten, dass dies eine Lektion sei, die Russland aus den Niederlagen bei der ukrainischen Gegenoffensive im Osten gelernt habe. Schon im August hat die Ukraine angekündigt, die Rückeroberung Chersons werde «langsam» und «zermürbend» vonstattengehen.
Russische Freiwillige in der Ukraine: Es gibt kein Lebenszeichen von Kirill
Von Enver Robelli
Russlands Verteidigungsminister zeigt sich trotz Rückschlägen in der Ostukraine unbeirrt: Sein Land habe im Zuge der «Teilmobilisierung» bereits mehr als 200’000 Menschen eingezogen. «Die Ausbildung erfolgt auf 80 Übungsplätzen und in sechs Ausbildungszentren», sagt Sergei Schoigu.
Betroffen von der staatlich verordneten «Rekrutenlese» sind vor allem wirtschaftlich rückständige Gebiete Russlands wie Jakutien, Irkutsk, Burjatien und muslimisch geprägte Teilrepubliken wie Dagestan. Auf der 2014 annektierten Halbinsel Krim sollen 90 Prozent der Einberufenen Tataren sein, obwohl sie nur ein Siebtel der Bevölkerung ausmachen.
Der tatarische Historiker und Journalist Kamil Galejew vermutet, dass die Mobilisierung «Elemente einer ethnischen Säuberung» aufweist.
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Ab dem 1. November beruft Russland 120'000 Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren zum einjährigen Wehrdienst ein. Diese sollen aber nicht in die Ukraine geschickt werden. So lautet das Versprechen der Behörden. Juristen sagten aber bereits im Frühjahr, dass laut russischem Gesetz auch Wehrdienstleistende nach ihrer Grundausbildung in der Armee in Kampfgebiete zum Einsatz kommen könnten.
Laut russischen Exilmedien ist die Zahl der Wehrdienstverweigerer in Russland nach dem Überfall auf die Ukraine gestiegen. Im Frühling sei ein Drittel der geplanten 134'500 Wehrpflichtigen nicht eingezogen worden.
Das Onlineportal «Nowaja Gaseta Europe» meldete diese Woche, dass bereits vor der «Teilmobilisierung» in mehreren Regionen versucht wurde, Freiwilligenbataillone zu bilden. Der Kreml wolle damit Verluste in der Ukraine ausgleichen, hiess es zuvor in einer Analyse des Institute for the Study of War (ISW) in Washington.
Als Beispiel für die gescheiterte Rekrutierung wird das sogenannte Baikal-Bataillon aus der sibirischen Region Burjatien genannt. Laut «Nowaja Gaseta Europe», die in Lettland erscheint, hätten sich nur ein paar Dutzend Personen für den Kampfeinsatz in der Ukraine gemeldet.
Seit Ende September versuchten Familien verzweifelt, Kontakt mit ihren Angehörigen aufzunehmen. Gemäss einer Recherche des Onlinemediums wurden die meisten Soldaten des Baikal-Bataillons am 28. September in einem Dorf in der ukrainischen Region Charkiw regelrecht dezimiert.
Elena B., eine Mutter aus Burjatien, sagte, ihr sei es seit dem 26. September nicht mehr gelungen, ihren Mann Kirill zu kontaktieren. «Ich will nicht mit 40 Witwe werden, und ich will nicht, dass meine Kinder zu Waisen werden, ich will nur meinen Mann zurück.»
Im Sommer hatte eine Regionalzeitung in Burjatien über die Bildung eines Baikal-Bataillons berichtet. Den Freiwilligen wurde ein Monatssold von umgerechnet etwa 1700 Franken in Aussicht gestellt. Ausserdem kämen sie in den Genuss von weiteren Privilegien wie kostenlose medizinische Behandlung, Vergünstigungen für Familien und für die Einschreibung der Kinder an Hochschulen.
Die aus Burjatien stammende Frau Elena B. erklärte gegenüber «Nowaja Gaseta Europe», wie es dazu kam, dass ihr Mann sich zum Einsatz in der Ukraine meldete. «Wir haben drei Kinder, und mein Mann hat seinen Job verloren. Ich kann nicht behaupten, dass wir uns besonders für Politik interessiert hätten. (…) Dann hat mein Mann seine Arbeit verloren, ich habe kein Geld, ich bin im Mutterschaftsurlaub und muss die Miete bezahlen.»
Ihr Mann Kirill, so Elena B., habe in einer Chatgruppe eine Anzeige über die Rekrutierung für das Baikal-Bataillon gelesen. «Wir haben lange darüber nachgedacht: Der Sold war sehr hoch…». Nun bangt sie um ihren Ehemann. Die Behörden würden schweigen. «Die Hoffnung aber», so Elena B., «stirbt zuletzt.»
Stromausfälle in der Ukraine: «Laden Sie Ihre Handys und Powerbanks»
Von Nora Seebach
Langsam, aber sicher bricht der Winter ein. Und Russland will, dass die Ukraine friert. Und in der Dunkelheit sitzt. Zwei russische Politiker plädieren im russischen Staatsfernsehen dafür.
Die ukrainische Zivilbevölkerung soll demoralisiert und schliesslich zur Flucht gezwungen werden. Die Moderatorin meint, Russland habe einfach keine andere Wahl.
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Auf den Winter hin beginnt eine neue Phase des Krieges. Ab Donnerstag, dem 20. Oktober, limitiert die Ukraine erstmals seit Kriegsbeginn den Stromverbrauch der Bevölkerung. Von 7 bis 23 Uhr muss der Energieverbrauch auf ein Minimum beschränkt werden.
Die Nationale Energiegesellschaft Ukrenergo verkündet auf Telegram, dass die Menschen in der Ukraine nachschauen können, wann und wo der Strom gekappt werden wird, «aber nie länger als 4 Stunden».
Die Nachricht von Ukrenergo liefert auch ein paar Ratschläge: «Bitte stellen Sie sicher, dass Sie bis morgen früh um 7 Uhr geladene Handys, Powerbanks, Wasser, Taschenlampen und Batterien dabei haben. Warme Socken und Decken. Und Umarmungen für Familie und Freunde.»
In der Stadt Sumi im Nordosten der Ukraine wird bereits den ganzen Tag lang sogar auf Wasser verzichtet. Das Ziel ist, durch die geplanten Einschränkungen späteren Mangellagen und Ausfällen vorzubeugen, so der Gouverneur.
Dass der Strom rationiert wird, zeigt, dass sich die Ukraine tatsächlich um die Grundversorgung in den kälteren Monaten sorgt.
Schon seit dem 10. Oktober intensivieren die russischen Truppen ihren Beschuss von Energieinfrastruktur in der Ukraine. Die Schäden an den Energiekraftwerken sind erheblich: Ein Drittel ist nach ukrainischen Angaben beschädigt. Die WHO warnt vor einer humanitären Katastrophe.
Die Luftangriffe und Stromausfälle holen die Kriegsfront nochmal näher zu den Menschen, die in westlichen Städten der Ukraine leben.
In Lwiw zum Beispiel gab es schon in den letzten Tagen sporadische Black-outs. Wir sehen Bilder von jungen Frauen, wie sie sich in einem Café bei Kerzenschein unterhalten. Das könnte fast als gemütliches Ambiente durchgehen. Wenn wir jedoch an die russischen Drohungen denken, an die Erfrierungspläne, wird aus gemütlich schnell unheimlich.
Die Stimmung in der Ukraine wird von russischer und ukrainischer Seite sehr verschieden dargestellt. Russische Quellen behaupten, die Moral der Ukrainerinnen und Ukrainer zerbröckle. Die Ukraine prangert den «Terror» Russlands an, versichert aber gleichzeitig, dass er ihren Kampfgeist keineswegs brechen, sondern eher befeuern werde.
Selenski kündigte an, mobile Stromanschlüsse in Städten und Dörfern zur Verfügung zu stellen. Auf Twitter wiederholte er seine berühmte rhetorische Frage: «Ohne Elektrizität oder ohne die Russen?»
Schon im September versicherte Selenski auf Twitter: «Kälte, Hunger, Dunkelheit und Durst sind für uns nicht so beängstigend und tödlich wie eure ‹Freundschaft und Brüderlichkeit›».
Trotz seiner Beteuerungen bereitet die Energieknappheit Selenski sicherlich grosse Sorgen. Denn nicht nur für die Zivilbevölkerung und die Städte, sondern auch für die Kriegsführung ist eine konstante Versorgung mit Strom matchentscheidend. Die ukrainische Armee braucht Energie für den Nachschub, die Versorgung, Transport und Kommunikation.
Ein Ende der russischen Luftangriffe auf ukrainische Städte weit hinter der Front ist noch nicht in Sicht: Am Mittwochabend, dem 19. Oktober, erklangen wieder Luftsirenen, und es wurde gemeldet, dass ein grosses und wichtiges Wärmekraftwerk in der westukrainischen Stadt Burshtyn «ziemlich schwer» getroffen wurde.
In der Metrostation in der ukrainischen Hauptstadt suchten am gleichen Abend Jugendliche am Boden sitzend Schutz vor den Luftangriffen. Ihre Gesichter beleuchtet vom blauen Schimmer der Smartphones.
Der zweitbekannteste Ukrainer nach Selenski
Von Enver Robelli
Illia Ponomarenko twittert. Jeden Tag. Fast ununterbrochen. Der Journalist des englischsprachigen Onlinemediums «Kyiv Independent» führt eine Art Tagebuch des Krieges.
Der 30-Jährige berichtet über das Geschehen in den umkämpften Städten der Ukraine, postet Bilder von mutigen ukrainischen Soldaten und Kampfpiloten, stellt die gefallenen Verteidiger des Landes vor, dokumentiert die Kriegsverbrechen der russischen Seite.
Für die Weltöffentlichkeit ist der junge Mann zu einer der wichtigsten Informationsquellen geworden. Als der Krieg am 24. Februar begann, hatte Ponomarenko etwa 100'000 Follower auf Twitter. Am nächsten Tag waren es 300'000, dann 500'000. Mittlerweile folgen ihm 1,2 Millionen Nutzerprofile.
Darunter befinden sich westliche Politiker, Militärexperten, Diplomaten, Journalisten. Und vermutlich Tausende Bots. Das sind automatisch gesteuerte Accounts, die unter anderem Falschnachrichten texten, Propaganda verbreiten und Meinungen manipulieren. Russische Fake-News-Plattformen beschimpfen Ponomarenko als «Nazi».
Von seinen Kolleginnen und Kollegen in Kiew wird er scherzhaft «der zweitbeliebteste Ukrainer auf Twitter nach Selenski» genannt. Staatschef Wolodimir Selenski hat 6,8 Millionen Follower. Er selbst folgt dort einer einzigen Person: Seiner Ehefrau Olena Selenska.
Ponomarenko gilt als erfahrener Kriegsreporter. Er berichtete aus dem Donbass, aus den palästinensischen Gebieten und aus dem Kongo, wo ukrainische Soldaten im Rahmen einer UNO-Mission stationiert waren. Das Kontingent wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zurückberufen.
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Im Sommer erlitt Ponomarenko schwere Verletzungen – allerdings nicht an der Front, sondern mitten in Kiew. Wie es dazu kam, erzählte er der Zeitung «Ukrajinska Prawda». Der ukrainische Botschafter in Albanien habe ihm geschrieben, der albanische Ministerpräsident Edi Rama befinde sich gerade in Kiew und wolle ihn treffen.
Ponomarenko machte sich mit einem Elektrovelo auf den Weg und fuhr in der Nähe einer Kreuzung gegen einen Pfosten. «Ich habe nicht gesehen, was passiert ist. Vielleicht hat mich ein Auto angefahren», sagte Ponomarenko. Mit Schürfwunden landete er im Spital, das Treffen mit dem exzentrischen Politiker aus Albanien konnte nicht stattfinden.
Ponomarenko stammt aus der Kleinstadt Wolnowacha in der Ostukraine, die multiethnisch geprägt ist. Die Metropole Mariupol, wo Ponomarenko politische Wissenschaften studiert hat, galt bis zum Kriegsausbruch als Zentrum der griechischen Minderheit. In der mittlerweile von russischen Invasoren besetzten und grösstenteils zerstörten Stadt sowie in der Umgebung lebten knapp 80'000 Griechen. In den ersten Tagen des Krieges fielen dort zwölf Griechen den Angriffen der russischen Armee zum Opfer. Seither sind viele Griechen aus der Region geflüchtet – auch nach Griechenland.
Ponomarenkos Familie hat griechische Wurzeln. Mariupol, die «Stadt Marias», wurde von Katharina der Grossen 1778 gegründet, um die Griechen von der Krim ans Asowsche Meer umzusiedeln. Zuvor hatte das Osmanische Reich die Halbinsel besetzt und die Russen vertrieben.
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Seine Geburtsstadt Wolnowacha sei in den 90er-Jahren ein typisches, von Kriminalität geprägtes Provinznest gewesen, sagte Ponomarenko gegenüber «Ukrajinska Prawda».
Als 2013 in der Vielvölker- und Hafenstadt Mariupol Ausschreitungen zwischen prorussischen Separatisten und proukrainischen Aktivisten ausbrachen, suchte der britische Sender BBC Augenzeugen der Ereignisse im Donbass. Ponomarenko meldete sich und teilte seine persönlichen Eindrücke mit dem Publikum.
Nach den ersten Kontakten mit den englischsprachigen Medien begann er für ukrainische Zeitungen zu arbeiten. Jetzt ist er der international bekannteste Journalist der Ukraine, der Chronist des Krieges. «Jedes Mal muss ich zehnmal nachdenken, bevor ich etwas schreibe. Es geht nicht um Selbstzensur, sondern um Genauigkeit. Wenn man einen Fehler macht, irgendeinen Blödsinn schreibt, wird man sich an dich erinnern», sagte er der «Ukrajinska Prawda».
«Wir werden der Welt noch eine Menge zu erzählen haben.»
Es gibt westliche Korrespondenten, die ihm unterstellen, er sei mehr Aktivist denn Journalist. So etwas lässt sich einfach sagen, schliesslich werden seit Ende Februar nicht westliche Staaten von Russland direkt angegriffen, sondern die Heimat von Ponomarenko.
Als der russische Angriffskrieg begann, schrieb Ponomarenko auf Twitter: «Leute, es geht los! Erinnern Sie sich an uns. Vergessen Sie nicht die Ukraine, die für die Demokratie gekämpft hat.» Auf die Frage, was er twittern werde, wenn der Krieg zu Ende geht, antwortete der Journalist: «Danke, Leute. Das wars.» Verabschieden werde er sich vom Kommunikationskanal aber nicht. «Wir werden der Welt noch eine Menge zu erzählen haben.»
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