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Warnung vor Flüchtlingskrise
Darum sind die Asylzentren schon jetzt voll

Das Bundeszentrum in Zürich ist überbelegt: Asylsuchende am Donnerstag im Innenhof der Anlage.
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Die Asylunterkünfte des Bundes sind voll. Was das heisst, zeigt sich am Donnerstagnachmittag in Zürich. Im Innenhof der Anlage an der Duttweilerstrasse stehen und sitzen Dutzende junge Männer und Teenager dicht zusammen. Der Lärmpegel ist hoch, Rückzugsmöglichkeiten scheint es kaum zu geben. Zum Glück sei schönes Wetter, sagt der Mitarbeiter, der die Journalistengruppe im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) durch die Einrichtung führt. Dann hielten sich tagsüber viele Asylsuchende draussen auf.

Das Bundesasylzentrum in Zürich ist eigentlich für 350 Personen ausgelegt, zurzeit sind hier über 500 untergebracht. Das geht nur, weil Aufenthaltsräume zu Schlafsälen umfunktioniert und zusätzliche Betten in bestehende Schlafsäle gestellt wurden. Während des Rundgangs ist oft von «Zusammenrücken» die Rede.

Das Staatssekretariat für Migration ist unter Druck. Über 3000 Gesuche sind allein im Oktober eingereicht worden. Fast dreimal so viele wie der langjährige Durchschnitt. Man sei überrascht worden, dass es plötzlich so viele seien, sagt Christine Schraner Burgener, die Chefin des SEM, nach dem Rundgang. Die Folge: Der Bund schickt ab sofort Geflüchtete aus seinen Asylzentren schneller an die Kantone weiter. 1000 statt 500 Personen pro Woche müssen diese neu aufnehmen.

Die Zahl der Asylgesuche steigt erst seit wenigen Monaten stark an, und das von einem durchschnittlichen Niveau aus. Da stellt sich die Frage, warum die Unterkünfte des Bundes bereits nach so kurzer Zeit ausgelastet sind. Christine Schraner Burgener verweist darauf, dass die Schweiz eine Flüchtlingssituation erlebe wie «seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr». Zwei «Krisen» würden sich «überlappen». Die Schweiz habe bereits 70’000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, und nun kämen deutlich mehr «normale» Asylgesuche hinzu.

Allein damit lässt sich die Überlastung aber nicht erklären:

Ukrainer brauchen nur wenige Plätze

Geflüchtete aus der Ukraine belasten die Asylstrukturen des Bundes derzeit kaum. Die allermeisten hat der Bund längst auf die Kantone verteilt. Gegenwärtig beantragen pro Woche rund 600 Personen den Schutzstatus S. Stand Donnerstagmorgen hielten sich laut dem SEM nur 525 Ukrainerinnen und Ukrainer in Bundesasylzentren auf. Sie bleiben dort im Schnitt wenige Tage.

Gleichzeitig waren 7315 Plätze durch Asylsuchende aus anderen Staaten belegt. Gesuche werden derzeit rund 800 pro Woche eingereicht. Asylsuchende bleiben meist mehrere Monate in den Bundeszentren.

Insgesamt standen dem Bund am Donnerstagmorgen 8726 Plätze zur Verfügung. Die Auslastung lag also bei rund 90 Prozent. Die Kapazitäten werden weiter ausgebaut. Das Ziel sind 9500 Plätze. Genutzt werden dazu vor allem Mehrzweckhallen und Kasernen der Armee. Am Donnerstag gab Schraner Burgener bekannt, dass unter anderem im Truppenlager Glaubenberg im Kanton Obwalden zusätzliche Plätze eingerichtet werden.

Zu wenig Personal

Ukrainer halten sich auch darum nur wenige Tage in den Bundesasylzentren auf, weil die Abklärungen für die Erteilung des Schutzstatus S wenig Zeit benötigen. Als im Frühjahr innert Wochen Zehntausende Gesuche eingingen, konnte auch Personal ohne Spezialausbildung für die Prüfung der Gesuche eingesetzt werden. Bei den normalen Asylgesuchen sei das nicht möglich, sagt David Keller, Leiter des Asyl-Krisenstabs. Hier würden Spezialisten eingesetzt, deren Ausbildung ein halbes Jahr daure.

Bis im Sommer hatte das SEM laut Keller das Personal, um rund 1400 Asylgesuche pro Monat zu prüfen. Mit dem starken Anstieg der Gesuche begannen sich die Dossiers zu stauen. Inzwischen seien 80 zusätzliche Prüfer angestellt und die Kapazität auf 1800 Gesuche pro Monat gesteigert worden. Wie viele weitere es noch brauche, ist laut David Keller offen.

Es fehlen aber nicht nur Prüfer. Gemäss Staatssekretärin Schraner Burgener wurden zuletzt 250 Stellen für Sicherheits-, Betreuungs- und medizinisches Personal geschaffen. Das sei noch zu wenig. Es sei nur die Hälfte des benötigten Personals gefunden worden.

Von einem «akuten Fachkräftemangel» spricht auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Dieser wirke sich auf die Betreuung aus. «Jede Unterbringungsstruktur kann nur mit ausreichendem Personal betrieben werden», sagt Sprecher Lionel Walter.

Asylverfahren dauern derzeit im Schnitt 75 Tage. Geflüchtete können maximal 140 Tage in den Bundesasylzentren bleiben. Um diese zu entlasten, hat das SEM die Verfahren für Flüchtlinge aus Staaten mit tiefer Schutzquote beschleunigt. Laut Schraner Burgener betrifft das unter anderem die nordafrikanischen Staaten.

Viele unbegleitete Minderjährige

Auswirkungen auf die Kapazitäten der Bundesasylzentren hat schliesslich auch der hohe Anteil unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge – viele stammen aus Afghanistan. Allein im Zentrum in Zürich halten sich derzeit über 200 Jugendliche auf, in allen Zentren zusammen 1450.

Die Jugendlichen müssen in getrennten Räumen untergebracht werden. In Zürich nehmen sie auch die Mahlzeiten getrennt von den Erwachsenen ein. Dies braucht Platz. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen mehr Betreuung brauchen.

Das SEM rechnet zurzeit mit bis zu 24’000 Asylgesuchen bis Ende Jahr. Vor kurzem lag die Prognose noch bei 19’000. Der Platz in den Bundesasylzentren dürfte also knapp bleiben. Einen Rückgang der Gesuche erwartet Staatssekretären Christine Schraner Burgener allenfalls im Winter. Wegen der Kälte werde dann die sogenannte Balkanroute weniger genutzt. Gleichzeitig könnte laut dem SEM die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge wieder steigen.