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Bereitschaft zur Verteidigung
Wenn Krieg wäre: Würden Sie für die Schweiz kämpfen?

Grenadier bei der Ausbildung mit leichtem Maschinengewehr Minimi in Osone.
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In Kürze:
  • Schweizerinnen und Schweizer belegen mit 41 Prozent Kampfwilligkeit den 29. Rang von 45 befragten Ländern.
  • Im reichen Westen dominiert die Haltung, «irgendjemand» würde einen im Kriegsfall dann schon verteidigen.
  • Ausserhalb Europas würden 62 Prozent für ihr Land kämpfen, in der EU sind es nur 32 Prozent.
  • Wer nicht kampfbereit ist, macht selten pazifistische Gründe geltend.

Es ist die ultimative Frage: ob wir für unser Land, also die Schweiz, kämpfen würden. Seit Jahren fällt die Antwort darauf immer ablehnender aus. Die Zahl der Menschen, die bereit wären, ihre Heimat zu verteidigen, sinkt seit den Achtzigerjahren weltweit. Seit Mitte der 2000er ist ein Stillstand zu beobachten und in einigen Ländern gar eine Zunahme, aber das Niveau aus dem Kalten Krieg wird nicht mehr erreicht. Daran hat auch der russische Angriff gegen die Ukraine nichts geändert – ausser für die umliegenden Nationen. 

Wer am ehesten zum Kämpfen bereit ist

Ende 2023 führte das Meinungsforschungsinstitut Gallup eine Umfrage in 45 Ländern durch. Auch in der Schweiz wurden 1000 Personen über 18 Jahren befragt, ob sie bereit wären, für ihr Land zu kämpfen.

Die Schweiz bewegt sich mit 41 Prozent Zustimmung im hinteren Mittelfeld auf Platz 29. Den teilt sie sich mit den USA. In Europa fällt vor allem Finnland mit einer hohen Kampfbereitschaft von 74 Prozent auf. Ein Forscherteam der Universitäten Amsterdam und Rotterdam erklärt sich das in ihrer Studie «Who are willing to fight for their country, and why?» mit der geografischen Nähe zu Russland.

Die Menschen würden ihre «grundlegenden Überzeugungen» zum Krieg den «sich verändernden Konfliktniveaus in ihrer Nähe» anpassen. Heisst: Je näher ein Konflikt, desto mehr steigt die Kampfbereitschaft. Allerdings zeichnen sich die nordischen Staaten historisch bedingt seit je durch eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz der eigenen Streitkräfte aus.

Wer am wenigsten kampfbereit ist

Die Top-5-Länder, die nicht kämpfen würden:

  1. Italien 78%

  2. Österreich 62%

  3. Deutschland 57%

  4. Nigeria 54%

  5. Spanien 53%

Es zeigt sich, dass in Ländern, die einen Krieg verloren haben, die Kampfbereitschaft tiefer ist. Das trifft neben Italien und Deutschland auch auf Japan zu (50 Prozent Nein). Dass Spanien nicht sehr kampfeswillig ist, begründen die Forscher mit der jahrzehntelangen Diktaturvergangenheit. 

Auch interessant: Die Annahme, dass politisch rechts Stehende eher bereit wären, zur Waffe zu greifen, stimmt nicht. Zahlen aus Deutschland machen deutlich, dass Anhänger der AfD weniger wehrbereit sind als jene der FDP und CDU/CSU. Dasselbe Bild zeigt sich in den Niederlanden. 

Die Zahlen zeigen zudem, dass die Kampfbereitschaft in Europa grundsätzlich tiefer ist als im Rest der Welt. Mit Ja antworteten:

In der EU: 32 Prozent

In Europa ohne EU: 47 Prozent

Ausserhalb Europas: 62 Prozent

Die Gründe für fehlende Kampfbereitschaft

«In liberalen Gesellschaften betrachten grosse Teile der Bevölkerung das Dienen in der Armee als den Job von jemand anderem», schreiben die Forscher in ihrer Studie. Es dominiert die Haltung, irgendwer werde sich dann schon um uns kümmern, wenn es ernst gilt.

Der deutsche Historiker Herfried Münkler prägte dafür den Begriff der «post-heroischen» Gesellschaft. Gemeint sind die reichen Länder des Westens, in denen die persönliche Entfaltung als zentral gilt für ein gelungenes Leben und nicht das Überleben des eigenen Vaterlandes. Im Unterschied zu «heroischen Gesellschaften» – autoritäre Staaten wie Russland oder ideologische Gruppierungen wie der IS – hält sich die kollektive Opferbereitschaft in engen Grenzen.

Bemerkenswert ist, dass der Pazifismus keine grosse Rolle spielt. Die Forscher befragten Studierende der Unis Amsterdam und Rotterdam, weshalb sie nicht kämpfen würden. Es überraschte die Forscher nicht, dass sie nur bereit wären, ihr Land im Fall eines Angriffskriegs zu verteidigen. Was sie indes nicht erwartet hatten: dass eine «grundsätzliche moralische Ablehnung von Gewalt» nur selten geäussert wurde. Sie schlossen daraus, dass nur wenige Studierende von pazifistischer Überzeugung seien.

Möglicherweise war diese ohnehin nie ganz so verbreitet: In der Schweizer Armee zum Beispiel wurde die Gewissensprüfung 2009 abgeschafft. Im Rekordjahr 1983 begründeten von insgesamt 788 Militärdienstverweigerern 360 – also weniger als die Hälfte – diesen Entscheid mit ihrem Gewissen.

Wie sich Frauen und Männer unterscheiden

Die Befragung zeigte auch, dass das Geschlecht eine «bedeutende Rolle» spielt. Frauen zeigten eine «grössere Zurückhaltung gegenüber der Beteiligung an militärischen Konflikten». Aber diese Zurückhaltung, so die Forscher, sei ebenfalls nicht «auf eine generelle Ablehnung von Gewalt» zurückzuführen. Frauen sind nicht pazifistischer, sondern sie haben «spezifische Bedenken in Bezug auf ihre Rolle als Frau, einschliesslich des Risikos sexueller Gewalt und der physischen Anforderungen von Kampfeinsätzen», heisst es in der Studie. Viele Studentinnen wären bereit, ihr Land indirekt zu verteidigen, zum Beispiel indem sie für den Geheimdienst arbeiteten.  

Dieselbe Haltung zeigt sich übrigens bei älteren Menschen: Sie sind weniger bereit zu kämpfen als Jüngere, was die Forscher damit begründen, dass sie sich – wie die Frauen – körperlich weniger in der Lage fühlen, «einen sinnvollen Beitrag leisten zu können».

Welche Länder noch eine Wehrpflicht haben

Gerade noch 8 von 32 Nato-Staaten kennen die allgemeine Wehrpflicht: Griechenland, Finnland, Norwegen, Schweden (wiedereingeführt 2017), Estland, Lettland (wiedereingeführt 2024), Litauen (wiedereingeführt 2015) und die Türkei. In Dänemark gilt zwar eine Wehrpflicht, allerdings nur, wenn sich zu wenige Freiwillige melden. Da das kaum der Fall ist, gilt sie faktisch nicht.

Ausserhalb der Nato haben noch Südkorea und die Schweiz eine allgemeine Wehrpflicht. Seit 2016 nimmt die Diensttauglichkeit wieder leicht zu und hat sich bei 70 Prozent eingependelt. Am seltensten Militärdienst leisten laut Bundesamt für Statistik die Walliser (59 Prozent tauglich), am häufigsten die Obwaldner (82 Prozent tauglich). 

Was der junge Offizier denkt

Mick Biesuz posiert mit verschränkten Armen vor dem Landesmuseum, kontrastiert gegen eine moderne Architekturkulisse.

Mick Biesuz (22) studiert Wirtschaft und Internationale Beziehungen an der HSG und ist Leutnant in der Artillerie:

«Dass nur 41 Prozent der Befragten aus der Schweiz bereit wären, für ihr Land zu kämpfen, erstaunt mich nicht. Es geht uns gut, wir leben in einem sicheren Land, kennen keine Bedrohung von aussen. Unsere individualisierte Gesellschaft ist Zwangssituationen wie im Kriegsfall nicht gewohnt und tut sich schwer damit. Daran hat auch der Ukraine-Krieg nichts geändert – er ist wohl zu weit weg. Den Rekruten ist jedenfalls nicht anzumerken, dass sie motivierter wären deswegen.

Was bei der Fragestellung gern vergessen geht: Wenn ein Krieg kommt, geht es nicht darum, ob man kämpfen will oder nicht. Der Krieg kommt sowieso, und zu meinen, Zivilisten seien dann sicherer, ist ein grosser Irrtum. Anders gesagt: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin – aber dann kommt der Krieg zu dir.»

Was der Militärhistoriker dazu sagt

Porträt eines älteren Mannes mit Brille, grauem Haar und Bart vor einem Hintergrund mit Büchern.

Rudolf Jaun ist emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Militärgeschichte und Autor des Standardwerks «Geschichte der Schweizer Armee».

«Die Frage, ob man für sein Land kämpfen würde, ist schwierig zu beantworten, weil sehr situativ abhängig. Ist man in der Armee eingeteilt und mobilisiert, gibt es einen Gruppendruck. Wenn es dann mit Kämpfen ernst wird, muss sich das mit der Bereitschaft erst weisen. Viele Schweizer Soldaten, die 1939 einrücken mussten, waren anfangs deprimiert und erst allmählich motiviert. Ich selbst hatte mit 18 Jahren meinem schockierten Vater erklärt, dass ich den Militärdienst verweigern werde, mit 19 rückte ich 1968 dann doch in die RS ein. Wider Erwarten gefiel es mir so gut, dass ich weitermachte.

Vor der Unteroffiziersschule war ich mit einem Kollegen in Prag und erlebte den Aufstand, zwei Monate später schlugen die Russen die Bewegung nieder. Nun fühlte ich mich beim Abverdienen als Unteroffizier genau am richtigen Ort. Bis in die Achtzigerjahre war die Schweiz dann durchdrungen vom Militär, 1980 umfasste die Armee 800’000 Mann und 50’000 Milizoffiziere! Ab den Neunzigerjahren wurde ein grosser Krieg für unwahrscheinlich gehalten. Linke und Mitte begannen, die Armee abzubauen und das Militärbudget dramatisch zu kürzen. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine kam es definitiv anders, als man dachte.

Sollte die Nato auseinanderbrechen und Putin mit seiner Kriegspolitik weitermachen, dürfte das Bedrohungsgefühl zunehmen, der Wiederaufbau der Verteidigungsmittel weitergehen und die Motivation, das eigene Land zu verteidigen, wieder ansteigen.»