Ukraine-BlogSelenski entlässt die Hälfte seiner Minister
Im ukrainischen Kabinett kommt es zu grossen Umstrukturierungen. Die Entlassungen sollen das Land auf einen «äusserst wichtigen Herbst» vorbereiten.
Der Regierung in Kiew steht ein grosser Umbau unmittelbar bevor: Zahlreiche Minister müssen gehen. Der Fraktionschef der ukrainischen Regierungspartei Diener des Volkes, David Arachamia, kündigte auf Telegram am Dienstag einen «Tag der Entlassungen» an. Mehr als «50 Prozent der Mitarbeiter des Ministerkabinetts» werden gemäss ihm ausgetauscht. Der Aussenminister Dmitro Kuleba hat bereits schriftlich seinen Rücktritt eingereicht.
Neben Kuleba reichten mindestens sechs weitere Minister und Ministerinnen ihre Rücktrittsgesuche ein. Darunter der für die Rüstungsindustrie zuständige Olexander Kamischin, Umweltminister Ruslan Strilets und Justizminister Denis Maljuska. Auch Vizeregierungschefin Olha Stefanischina schloss sich an. Am Mittwoch wurden ihre Rücktritte mit klarer Mehrheit angenommen, berichteten ukrainische Medien. Die Entlassungen von Vizeregierungschefin Irina Wereschtschuk und von Witali Kowal, Chef des Fonds für Staatseigentum, scheiterten vorerst an fehlenden Stimmen.
Der Wechsel in der ukrainischen Regierung kommt nicht überraschend: Präsident Wolodimir Selenski kündigte bereits Anfang August an, dass «Personalentscheide im Kabinett» vorbereitet werden. Über die Hintergründe hielt er sich damals bedeckt.
«Anderen Schwerpunkt» in der Aussen- und der Innenpolitik
Wie Selenski am Dienstagabend in einer Videoansprache mitteilte, liegt der Grund für den Regierungsumbau in den Vorbereitungen für «einen äusserst wichtigen Herbst». «Unsere staatlichen Institutionen müssen so aufgestellt werden, dass die Ukraine alle Ergebnisse erzielt, die wir brauchen», sagte Selenski. Er erwarte, dass mit den Personalentscheidungen «bestimmte Bereiche der Aussen- und der Innenpolitik einen etwas anderen Schwerpunkt» haben würden.
Konkret liegt der Fokus gemäss Selenski darauf, die Rüstungsindustrie weiter zu stärken, die Zusammenarbeit mit der Nato und der Europäischen Union voranzutreiben und generell die Beziehungen zu den Partnern der Ukraine zu vertiefen. Zudem sollen die zentralen Behörden und Gemeinden enger zusammenarbeiten.
Politisch motivierte Entlassung?
Neben den Ministern wurde am Montag auch der Chef des ukrainischen Stromnetzbetreibers Ukrenergo, Wolodimir Kudritski, seines Amtes enthoben. Gemäss ukrainischen Medien war der Hauptgrund für die Entlassung die Unfähigkeit des Unternehmens, geeignete Schutzmassnahmen für Energiestandorte bereitzustellen.
Am Dienstag teilten zwei Aufsichtsratsmitglieder von Ukrenergo mit, aus Protest gegen die Entlassung von Kudritski ihre Ämter ebenfalls niederzulegen. Die Entscheidung sei «politisch motiviert» gewesen.
Kudritski sagte gegenüber der Zeitung «Ukrainska Prawda», dass sein Abtreten nicht mit einem mangelnden Schutz der Infrastruktur zu tun habe. Vielmehr sei eine Diskreditierungskampagne gegen Ukrenergo gestartet worden: «Es gibt einen umfangreichen Katalog von künstlich verbreiteten, unbelegten Aussagen, die darauf abzielen, das Image unseres Unternehmens zu ruinieren», so Kudritski gegenüber der «Ukrajinska Prawda».
Seine Entlassung erntete viel Kritik. Die Europäisch-Ukrainische Energieagentur schrieb etwa auf Facebook, dass die Absetzung Kudritskis das Betriebssystem der Ukraine instabiler machen und ausländischen Investitionen schaden würde. Gesetzgeber und Analysten interpretierten gemäss der Zeitung «Financial Times» die Entlassung als einen Versuch der Zentralisierung der Macht durch die Kiewer Präsidialverwaltung.
Neuernennungen in den kommenden Tagen
Selenski hat seit Kriegsbeginn seine Regierung wiederholt umstrukturiert. Vergangenen September entliess er den damaligen Verteidigungsminister Olexi Resnikow nach einer Reihe von Korruptionsskandalen. Die Neuwahl seiner eigenen Position liess Selenski verschieben: Die Präsidentschaftswahl war ursprünglich für den 31. März dieses Jahres terminiert. Wegen des geltenden Kriegsrechts wurde der Termin abgesagt.
Mit dem Ausscheiden der Ministerinnen und Vorsitzenden werden nun zahlreiche kriegsrelevante Posten frei. Wer sie neu besetzen wird, soll in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden. Während einigen Entlassenen neue Rollen zugesprochen werden, sollen andere laut Beobachtern ganz aus dem Parlament ausscheiden.
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