Unruhen in GrossbritannienWer sind die Leute, die sich an den Ausschreitungen beteiligten?
Schon jetzt sind im Zuge der jüngsten Krawalle in England und Nordirland an die 800 Personen festgenommen worden. Im Rekordtempo werden drakonische Strafen erteilt. Davon betroffen sind erstmals auch «Onlinetäter».

Auch am Wochenende zogen im Vereinigten Königreich wieder Zehntausende auf die Strassen, um gegen Rassenhass zu demonstrieren und ihre Abscheu vor gefährlicher Rhetorik und vor gewalttätigen Aktionen gegen Flüchtlinge und ethnische Minderheiten zu bekunden. Allein vor dem Londoner Hauptquartier der englischen Rechtspopulisten, der Reform-Partei von Nigel Farage, versammelten sich am Samstag 5000 Menschen.
In Nordirland, wo Migrationsgegner erneut Benzinbomben auf eine Moschee schleuderten, forderten 15’000 Anti-Rassismus-Demonstranten ein Ende der Krawalle, die die Britischen Inseln in den letzten zwölf Tagen erschüttert haben wie seit vielen Jahren nicht mehr. (Lesen Sie die Analyse zu Unruhen in Grossbritannien).
Die Justizministerin droht
Währenddessen wird die Schlange derer, die wegen der Krawalle mit harschen Strafen rechnen müssen, immer länger. Festgenommen wurden seit vorletztem Dienstag fast 800 Personen. Gegen 350 ist Anklage erhoben worden. Mehrere Dutzend sind bereits abgeurteilt worden, teils zu Strafen von drei Jahren Haft oder mehr.
Stephen Parkinson, der Chef der Anklagebehörde, warnte am Sonntag, dass in den nächsten Tagen «Hunderte weiterer gewalttätiger Randalierer vor Gericht erscheinen werden». Justizministerin Shabana Mahmood versicherte, falls die Gewalt nicht ende, werde die Justiz nicht ruhen, «bis der letzte Täter in einem unserer Gefängnisse sitzt».
Wüste Drohungen gegen Richter und Polizisten
Fast ungläubig haben viele der Verhafteten darauf reagiert, dass sie binnen Tagen hinter Gittern landeten. Als ihnen klar wurde, in welcher Lage sie sich befanden, brachen selbst Männer in ihren Dreissigern bei der Vorführung in Tränen aus. Andere stiessen wüste Drohungen aus gegen Richter und Polizisten. Aber viele bekannten sich schuldig, um das Strafmass zu verkürzen, das ihnen drohte im Einzelfall.
Unter den Krawallteilnehmern, gegen die jetzt Anklage erhoben worden ist, befindet sich nach Angaben der Polizei eine Grosszahl bereits bekannter Gewalttäter und notorischer Fussballhooligans, darunter Teenager ebenso wie Rentner. «Rund 70 Prozent der Festgenommenen haben Vorstrafen für Waffenbesitz, Gewalt, Drogen und andere ernste Vergehen», erklärte dazu Londons Polizeipräsident Sir Mark Rowley. «Einige waren schon von Fussballplätzen verbannt worden.»
14 Vorstrafen
Viele waren betrunken, als sie sich an den Krawallen beteiligten. Sie gehörten nicht unbedingt rechtsradikalen Organisation an, teilten aber zumeist deren Ressentiments gegen Flüchtlinge oder Muslime. Andere dürsteten schlicht nach Tumulten.
Eine der höchsten Strafen – drei Jahre Haft – erhielt der 58-jährige Derek Drummond, der in der Stadt Southport bei Krawallen vor der dortigen Moschee einem Polizisten ins Gesicht geschlagen hatte. Drummond, der sich hinterher einen «Idioten» nannte, besass schon 14 Vorstrafen, als er nun wieder vor dem Richter stand.
Viele Krawallteilnehmer wurden angeklagt, Pfähle und Backsteine gegen Polizeibeamte geschleudert oder diese mit brennenden Mülltonnen angegriffen zu haben. In Liverpool feuerte ein 14-Jähriger eine Feuerwerksrakete auf Polizisten ab. «Blood and Honour»-Fans, die mehr als 200 Kilometer weit zu einem Abend mit Skinhead-Konzerten in die Stadt Sunderland gereist waren, zählten dort zu den wildesten Randalierern.
Aus der Labour Party ausgeschlossen
Mit den härtesten Strafen rechnen müssen Festgenommene, die versucht haben, Flüchtlingsunterkünfte oder Moscheen in Brand zu setzen. Umgekehrt erhielten in Leeds auch zwei «Gegendemonstranten» Haftstrafen, weil sie sich auf Handgreiflichkeiten mit Rechtsextremisten eingelassen hatten.
Besonderes Aufsehen erregte der Fall des Ost-Londoner Labour-Stadtrats Ricky Jones, der vorigen Mittwoch bei einer Anti-Rassismus-Demo in London verlangt hatte, dass man allen Rechtsradikalen «die Kehle durchschneiden» müsse. Er war binnen Stunden aus der Labour Party ausgeschlossen worden und fand sich wenig später in einer Zelle wieder, ohne Aussicht auf baldige Rückkehr nach Hause.
Verhaftet wurden auch «Onlineakteure» wie die 55-jährige Modedesignerin Bernadette Spofforth. Sie wird beschuldigt, nach dem grausigen Mord an drei Kindern in Southport vor zwei Wochen falsche Informationen über den Mörder verbreitet zu haben. Die erfundene und falsche Nachricht, der Täter sei Muslim und im Vorjahr als illegaler Migrant nach England gekommen, hatte die Krawalle im ganzen Land ja erst ausgelöst.
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