Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Trotz Ukraine-Krieg
Axpo bleibt bis 2030 von Uran aus Russland abhängig

Kernkraftwerk Mühleberg. Ausgediente Brennstäbe lagern unterwasser. © Beat Mathys
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Ampel steht auf Grün. Das deutsche Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat eine Lieferung von uranhaltigen Brennelementen in die Schweiz gutgeheissen. Das Ziel der Lieferung: die Aargauer Gemeinde Döttingen. Dort steht das Kernkraftwerk Beznau, das der Stromkonzern Axpo betreibt.

Absender ist der deutsche Ableger des französischen Atomunternehmens Framatome, der in Lingen im deutschen Bundesland Niedersachsen Brennelemente herstellt. Die Bewilligung, die bereits seit Mai vorliegt, ist in der Öffentlichkeit bis jetzt unbemerkt geblieben.

Die Axpo bezieht alle Brennelemente, die sie für Beznau benötigt, über Framatome Deutschland. Block 2 des Kernkraftwerks ist derzeit vom Netz. Seit dem 4. August werden von den total 121 Brennelementen 20 ausgetauscht. Da ein Brennelement nach etwa fünf Jahren ausgedient hat, ersetzen die Betreiber jeweils etwa ein Fünftel. Die Arbeiten dauern noch bis etwa Mitte September.

Was enthält bewilligte Lieferung?

Woher stammt das Uran für die bewilligte Lieferung? Es sei nicht klar, ob russisches Uran geliefert werde, sagt Sprecher Noël Graber. «Die Brennelemente können also sowohl Uran aus Russland als auch aus westlichen Ländern enthalten.»

Die Aussage zeigt: Die Axpo hat sich von Russland als Brennstofflieferanten für ihre Atommeiler bis jetzt nicht gelöst. Dabei steht der Stromkonzern politisch unter Druck: Nachdem im Februar 2022 Russland seine Invasion in die Ukraine gestartet hatte, wurden rasch Bedenken laut, unter anderem in den Nordostschweizer Kantonen, denen die Axpo gehört: Es sei inakzeptabel, dass die öffentliche Hand indirekt den russischen Angriffskrieg mitfinanziere, kritisierten Politiker.

Mangelnde Transparenz

An dieser Situation hat sich eineinhalb Jahre nach Kriegsbeginn nichts geändert. Das Uran für Beznau stammt weiterhin grösstenteils aus Russland. Dasselbe gilt für Leibstadt, wo die Axpo Hauptaktionärin ist.

Aus welchen Quellen der Stromkonzern das Material bezieht, legt er nicht offen. Gemäss Recherchen dieser Redaktion kam für Leibstadt in früheren Jahren zumindest ein Teil davon aus Minen, die Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Rosatom gehören. Im Fall von Beznau hatte die Axpo selber 2014 bekannt gegeben, Uran aus dem sibirischen Atomkomplex Sewersk beziehen zu wollen.

In Beznau sind derzeit Brennelemente für mindestens ein Jahr Betrieb vorrätig. Daneben verfügt die Axpo gemäss eigenen Angaben über Uranreserven in Westeuropa. Wo und bei welchen Lieferanten, sagt die Axpo nicht. Es handle sich aber nicht um russisches Uran, sagt Sprecher Graber. Weder komme es aus Russland, noch sei es in Russland in irgendeiner Form verarbeitet worden.

Wird aus diesem Vorrat Uran gebraucht, stellt die Axpo Framatome Deutschland die benötigte Menge zur Fabrikation der Brennelemente zu. Dies könnte nun just bei der aktuellen Lieferung nach Döttingen der Fall sein. Framatome hat auf eine Anfrage dieser Redaktion bis jetzt nicht reagiert.

Kurz nach Kriegsausbrauch – es war Anfang März 2022 – versicherte die Axpo, sie prüfe «derzeit intensiv», wie sie sich von russischen Lieferanten «unabhängiger» machen könne. Nun scheint sie ihrem Ziel näher zu kommen. Sie will zusätzliche Beschaffungsverträge ohne russische Beteiligungen oder Unterbeteiligungen abschliessen, um sich langfristig gegen allfällige Lieferausfälle abzusichern. Die entsprechenden Gespräche seien «weit fortgeschritten», sagt Axpo-Sprecher Graber.

Bis wann die Verträge unter Dach und Fach sein sollen, dazu macht die Axpo keine Angabe. Auch gibt sie nicht preis, mit welchem Lieferanten sie verhandelt. «Es geht aber um Brennstoff, der nicht aus Russland stammt und an dem weder russische Lieferanten noch Unterlieferanten beteiligt sind», sagt Graber.

Es geht um Millionen von Franken

Mit neuen Lieferanten könnte die Axpo unabhängiger von Russland werden. Gänzlich lösen würde sich der Stromkonzern aber auch so nicht. Der Grund: Die Verträge mit den russischen Lieferanten laufen im Fall von Beznau bis 2030, bei Leibstadt bis 2025.

Eine einseitige Vertragskündigung kommt für die Axpo nicht infrage. Sie befürchtet «hohe» Schadenersatzzahlungen, Insider sprechen von 150 bis 200 Millionen Franken. Die Axpo argumentiert, Russland würde doppelt profitieren, weil das Uran an andere Abnehmer verkauft werden könnte.

Kritiker sehen darin einen Vorwand, um nicht sofort aus den Uranlieferungen aussteigen zu müssen. Eine Vertragsauflösung wäre mit grossen Aufwänden in den Kernkraftwerken verbunden, sagt die atomkritische Schweizerische Energie-Stiftung. Zum Beispiel müssten technische Besonderheiten der Brennelemente genau auf das jeweilige Werk abgestimmt werden, allenfalls müsste die Axpo sogar den Brennelementlieferanten Framatome wechseln. Die Axpo bestreitet das.

Kritik auch im Ausland

Die Kritik am Kurs der Axpo ist seit Kriegsausbruch nicht verstummt, auch im Ausland nicht. «Die Axpo, aber auch Framatome blenden die dramatische Kriegsrealität in der Ukraine weiter aus», sagt Matthias Eickhoff vom deutschen Anti-Atom-Bündnis Münsterland. Die Atomwirtschaft sei bis heute einer der wenigen wirtschaftlichen Bereiche, die sich beharrlich weigern würden, auch kurzfristig ihren Beitrag zu einer Loslösung vom russischen Einfluss zu leisten.

Tatsache ist: Der Atombereich ist von den EU-Sanktionen bislang ausgeklammert geblieben. Alle Versuche, ihn einzubinden, sind gescheitert. Insbesondere die deutsche Regierung hat bislang auf ein Verbot von Uranimporten aus Russland gedrängt.

«Das Problem ist grösser als die Axpo.»

Fabian Lüscher, Schweizerische Energie-Stiftung

Doch der Widerstand in der EU ist zu gross – nicht zuletzt wegen Frankreich, dessen Atomindustrie mit der russischen Seite geschäftet. Beispielhaft zeigt sich das in einem Deal: Im Dezember 2021 vereinbarten Framatome und Rosatom eine strategische Langzeitpartnerschaft.

«Die europäische Atomindustrie ist eine Geldmaschine für Russland», sagt Fabian Lüscher von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Sie sei weiterhin hochgradig von Russland abhängig, weshalb der Sektor nicht sanktioniert werde. «Das Problem ist also durchaus grösser als die Axpo.»

Dennoch, so Lüscher, dürfe man von einem Schweizer Stromkonzern rasches Handeln und vor allem endlich volle Transparenz über die ganze Lieferkette erwarten. Es sei ernüchternd, dass die Axpo nicht einmal einen Zeithorizont für die Verhandlungen mit den alternativen Lieferanten nenne. «So fällt es schwer, darauf zu vertrauen, dass auf die Absichtserklärungen innert nützlicher Frist auch Taten folgen.»