Interview über Gäste aus der Schweiz«Der Österreicher ist ein Urlauber, der Schweizer ein Reisender»
Carmen Breuss hat 27 Jahre lang Tourismuswerbung für Österreich betrieben. Die Vorarlbergerin ist Schweiz-Fan und erklärt, warum wir ihre Heimat besuchen sollten.
Kaum jemand weiss besser, wie Menschen aus der Schweiz und Österreich reisen, als Carmen Breuss: Seit 1982 wirbt sie für ihr Heimatland, seit 1997 als Market Managerin Switzerland bei Österreich Werbung. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie erfahren, worauf Schweizer Gäste besonders viel Wert legen, in welchen Betten sie am liebsten liegen und wie viel sie wofür auszugeben bereit sind. Dieser Tage übernimmt sie eine neue Position – als Head of Market Development bei Österreich Werbung. «Ich werde weiterhin von Zürich aus arbeiten», sagt Breuss.
Sie sind zwei Kilometer von der Schweizer Grenze in Vorarlberg aufgewachsen. Wie nah war Ihnen die Schweiz, Frau Breuss?
Die Schweiz war immer sehr präsent. Meine Familie fuhr damals immer mittwochs wegen der grossen Auswahl an Käse- und Pastasorten in die Schweiz zum Einkaufen. Die Schweiz war mir auch vertraut, weil es in meinem Umfeld viele Grenzgänger gab. Die Ferien haben wir mehrmals im Berner Oberland und im Tessin verbracht. Trotzdem stellte der Rhein immer eine Grenze zwischen den Ländern dar.
Haben Sie als Kind auch Ferien in Österreich gemacht?
Weniger oft als in der Schweiz. Meine Familie war begeistert vom Naturerlebnis und vom Angebot an Ferienhäusern in der Schweiz.
Mit welchem Ort verbinden Sie das Tourismusland Schweiz am stärksten?
Nicht mit einem Ort, sondern eher mit der Kombination aus der majestätischen Bergwelt und den Pionierleistungen der Technik – den Bergbahnen. Die Schweiz hat viele, die in Spitzenrankings auftauchen, wie die Gelmerbahn, die Brienzer-Rothorn-Bahn und natürlich die Bahn aufs Jungfraujoch.
Gibt es in Ihrer Heimat einen Ort, der für das Tourismusland Österreich steht?
Das imperiale Wien – eine grossartige Stadt, welche die Geschichte und Kultur des Landes in sich vereint und gleichzeitig modern ist. Eine Stadt, in der man Sehenswürdigkeiten zu Fuss entdecken kann, die prachtvoll gepflegt ist, in der Kunst und Musik leben und die ausserhalb des Zentrums mit unterschiedlichsten Grätzeln, also Quartieren, lockt.
Wann waren Sie zum ersten Mal in Wien?
Mit fünfzehn im Rahmen einer Klassenreise.
Wie wurde Ihre Klasse empfangen?
Die Wiener haben uns für Schweizer gehalten. Da wir auf einer Schulreise waren, hatten wir keinen direkten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Wien kam mir damals, vor den Renovierungsarbeiten Ende der 1980er- und 1990er-Jahre, relativ grau vor.
Welcher Mensch verkörpert für Sie am stärksten das Tourismusland Schweiz?
Der Vordenker Jost Krippendorf, der in den 1970er- und 1980er-Jahren in den Büchern «Der Landschaftsfresser» und «Die Ferienmenschen» Themen aufgegriffen hat, die heute aktuell sind. Er war ein echter Vordenker – unheimlich präsent und seiner Zeit voraus.
Welche Schlüsse haben Sie aus seinen Büchern gezogen?
Dass wir mit den Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, achtsam umgehen müssen, und dass der Tourismus auch sozialverträglich für die Bereisten sein muss. Beide Themen sind heute enorm wichtig und werden kontrovers diskutiert. Wir hätten uns viel ersparen können, wenn wir ihm mehr Gehör geschenkt hätten.
«Die Schweizer sind sehr höflich, was schon mal distanziert wirken kann.»
Welcher Mensch verkörpert für Sie am stärksten das Tourismusland Österreich?
Jeder, der das Lebensgefühl des Landes, diese Leichtigkeit des Seins in sich hat. Dessen Optimismus sich so ausdrückt: «Das wird schon, das passt schon.»
Das klingt wie die aktuelle Kampagne von Österreich Werbung …
(lacht) Österreich hat diese Leichtigkeit, wobei sie nicht in Schlampigkeit münden darf. Es gibt ja einen alten Ausspruch: Die Welt sagt, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Der Österreicher sagt: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Zu geniessen, was der Tag bringt, macht ihn aus, und das schätzen auch unsere Gäste.
Während der Schweizer …
… mehr plant, und meistens besser! Deshalb hat er vielleicht weniger Übung in der Improvisation. Die Schweizer sind sehr höflich, was für Aussenstehende schon mal distanziert wirken kann.
Wo haben Sie wahre Gastfreundlichkeit erlebt?
Ich war unlängst im Schlosswirt in Anif bei Salzburg, einem Hotel mit Restaurant. Dort strahlte eine Frühstückskellnerin, ein junges Mädchen, eine Herzlichkeit und Offenheit aus, dass ich sie am liebsten dekoriert und prämiert hätte. Sie hat verkörpert, wie sehr ihr ihre Arbeit Freude macht. Die perfekte Botschafterin der Gastfreundschaft.
Wie wird Gastfreundschaft in der Schweiz gepflegt?
Mit Höflichkeit. In den letzten Jahren erlebe ich einen Service, der freundlicher, professioneller und offenerer geworden ist, als er früher war. Es gibt heute sehr viele positive Beispiele, auch von Quereinsteigern, die sich mit Stolz und Freude bewusst für die Branche entscheiden. Junge Menschen sind durch Social Media international geprägt. Das wirkt sich einerseits positiv aus, andererseits geht manchmal das wirklich Authentische einer Region verloren. Ich sehe auch eine Gegenbewegung: Die Jungen von heute sind sich der Stärke der eigenen Wurzeln, ihrer Kenntnisse und Rolle bewusst.
Woran mangelt es in der Tourismusbranche?
Es gab schlechte Arbeitsbedingungen. Das lassen sich die Menschen heute nicht mehr gefallen. Tourismus ist ein People’s Business, man muss Menschen mögen – und die Ansprüche der Gäste sind nicht geringer geworden. Da liegt vielleicht auch ein Grund dafür, dass es herausfordernder geworden ist, Mitarbeitende zu finden.
Was suchen Schweizer in Österreich?
Gastfreundschaft, Erholung und Gemütlichkeit. Laut unseren Marktforschungsdaten ist der Schweizer Gast im Sommer durchschnittlich 54,2 Jahre alt, im Winter 50,9 Jahre. Er wählt die Destination wegen Natur/Landschaft, Hotel/Unterkunft sowie touristischem und gastronomischem Angebot. Er legt im Gegensatz zu anderen Nationen mehr Wert auf das Hotel.
Und wie sollen die Hotels sein?
Über 60 Prozent der Schweizer Gäste übernachten in einem Vier- oder Fünfsternhotel. Am besten sollte es familiär geführt sein und eine Infrastruktur aufweisen, die up to date ist, insbesondere der Wellnessbereich. Dazu kommt eine gepflegte Küche mit regionalen Spezialitäten und einem entsprechenden Weinangebot. Im Winter ist die Nähe zum Skigebiet wichtig. Und über allem steht die Gastfreundschaft.
Was verbindet den Österreicher und den Schweizer beim Reisen, was trennt sie?
Sie verbringen beide häufig Ferien im eigenen Land und reisen gerne in die Nachbarländer. Unterschiede sehe ich bei den Reisen in entferntere Destinationen: Die Schweiz ist weltweit bestens angebunden, geprägt von der internationalen Wirtschaft. Hier treffe ich öfter Leute an, die für längere Zeit verreisen und dafür ihre Stelle einfach kündigen. Das kennt man in Österreich kaum. Insgesamt scheint mir der Österreicher eher ein Urlauber, der Schweizer ein Reisender zu sein.
«Eine absolute Sicherheit in der Natur wird es nie geben.»
Die Schweiz hat in den letzten Monaten viele Unwetter in Touristengebieten erlebt. Wie sieht es in Österreich aus?
Sehr ähnlich, sodass auch wir uns die Frage stellen, wie wir das Wandern und den Aufenthalt in den Bergen sicher gestalten können. Was können wir tun, um mit den Auswirkungen der klimatischen Veränderungen zurechtzukommen?
Die Antwort?
Eine absolute Sicherheit in der Natur wird es nie geben. Die Alpenvereine und Gemeinden tun, was möglich ist, um zum Beispiel die Wanderwege in den Bergen sicher zu halten. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es eine Häufung von Naturrisiken gibt. Viele Menschen kommen aus einer naturfernen Umgebung und schätzen Gefahren falsch ein. Sie müssen lernen, ihre Verantwortung selbst wahrzunehmen.
Die Winter sind nicht mehr, was sie mal waren. Versucht auch Österreich vermehrt, auf andere Jahreszeiten zu setzen?
Eines unserer Ziele ist es, den Ganzjahrestourismus zu stärken. Schaffen wir das, würde es helfen, Mitarbeitende zu finden, denn ganzjährig eine sichere Stelle zu haben, macht die Berufe attraktiver. Auch verlangen die unglaublichen Investitionen in die Infrastruktur nach einer ganzjährigen Auslastung.
Stichwort Overtourism: Gibt es das in Österreich auch?
Das Land insgesamt hat kein Problem damit. Aber bestimmte Punkte werden zu gewissen Zeiten von zu vielen Menschen gleichzeitig besucht. Ein Beispiel ist Hallstatt. Dort versucht man mit Regelungen entgegenzuwirken. Wir müssen Lösungen finden, damit die Bereisten ihren Lebensraum weiter geniessen können. Es gibt verschiedene Initiativen. In einem Projekt der Stadt Wien wurden Orte, die auf Bewertungsplattformen sehr schlecht weggekommen sind, wunderbar inszeniert, um zu zeigen, dass man nicht nur an die auf den sozialen Medien bestbewerteten Orte reisen soll.
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