Interview mit Chili-Experte«Tödlich ist die Dummheit, nicht der Chili»
Experimente mit scharfen Saucen führten schon zu Todesfällen, sagt Beat Heuberger. Dabei gehe es in erster Linie gar nicht um die Schärfe, sondern ums Aroma.
Die schärfsten Chilisaucen der Welt sind unglaublich scharf. Schmeckt man da überhaupt noch etwas?
Zu allererst muss ich anmerken, dass Schärfe nicht über die Geschmacksknospen, sondern über Hitze- und Schmerzrezeptoren wahrgenommen werden. Ihre Frage möchte ich darum mit einer Analogie beantworten: Wenn mir jemand mit einem Brennnesselstrauch auf den Rücken peitscht, dann habe ich im allerersten Moment meinen Fokus ganz auf dem Schmerz – und in dem Augenblick kann ich nicht auf irgendeinen Geschmack fokussieren. Es ist dasselbe mit scharfen Chilisaucen.
Und danach?
Es kann vorkommen, dass Schärfe von Chili als Weckruf funktioniert, so wird das beispielsweise in Thailand gehandhabt. Chilis werden dort wie «Ohrfeigen» eingesetzt, sie sagen: Achtung, jetzt kommen die fünf Geschmacksrichtungen! Schnell ist die Schärfe auch wieder weg, und man ist voll da, schmeckt den sauren Limettensaft, die Süsse des Rohrzuckers, die Bitterkeit von Galgant, die Salzigkeit der Fischsauce und das Umami vom Fleisch oder von den Tomaten.
Wie macht man es anderswo?
Wenn die thailändische Küche musikalisch gesprochen ein Sextett ist, dann könnte man die indische Küche als Orchester bezeichnen. Auch dort spielt Schärfe hinein, allerdings wird sie ins Klangbild eingewoben … Eine Curry-Zubereitung verbindet verschiedenste Aromen, sie ist heiss und scharf. Das Pickle nebendran ist auf Raumtemperatur und ebenfalls scharf, aber wässriger und mehr auf die Säure fokussiert. Zum Abkühlen isst man dazu Raita, es ist der kalte und frische Kontrapunkt. Man nimmt davon eine Gabel voll, dann hiervon einen Löffel – alles zusammen macht den Reiz aus.
Gibt es eine Region, die die Verwendung von Chilisaucen besonders gut beherrscht?
In Mittelamerika ist man diesbezüglich am raffiniertesten. Dort hat man schon über 4000 Jahre Erfahrung mit Chilis, in den Saucen dort werden Beeren, Früchte und Tomaten mit Chilis kombiniert. Denn zu all den lieblichen Aromen braucht es ein geschmacklich kräftiges Gegenstück, das kann dann Chili, Pfeffer oder Nelke sein.
Und in Südamerika?
Dort werden Chili-Pflanzen schon seit 8000 Jahren kultiviert, darum ist auch dort das Wissen Teil der kulinarischen Kultur. Jede Köchin, jeder Koch hat mindestens acht, neun Sorten in der Küche stehen. Manche bringen Geschmack, andere feurige Schärfe; und jede Sorte hat ihren eigenen Verwendungszweck. Da keinen Unterschied zu machen, wäre für einen Mexikaner so, als ob man einer Italienerin sagen würde, Parmesan und Mozzarella sind dasselbe.
Es gibt den Schärfe-Wert «Scoville». Wie wird dieser gemessen?
Nehmen wir eine Sauce mit 140’000 Zählern auf der Skala. Das bedeutet, dass man einen Tropfen davon mit 139’999 Tropfen Wasser verdünnen kann, und sie wird immer noch spürbar sein. Anders gesagt: Erst der 140’000. Tropfen wird die Schärfe verschwinden lassen. Früher wurde das tatsächlich so getestet, inzwischen kann man den SHU, den «Scoville-Hit-Unit» auch elektronisch messen. Aber ich finde ihn nicht wichtig, weshalb ich in meinem Laden mit einer einfachen zwölfteiligen Einteilung arbeite. Eine Sauce mit Wert 1 ist ungefähr so scharf wie mildes ungarisches Paprikapulver, eine Sauce mit Wert 2 ist doppelt so scharf. Mit jedem Zähler verdoppelt sich die Schärfe.
Wie ist es, eine Sauce mit siebenstelligem Scoville-Wert zu probieren?
Ich mag da gar nicht drauf eingehen! Mutproben nach dem Motto «Wer erträgt am meisten Schärfe» sind doch testosterongetriebenes Bubenzeug. Zugegeben, ich habe früher auch ausprobiert, welche Sorte mir einen roten Kopf macht. Getestet, ob ich einen Tropfen mehr runterbringe als mein Kollege. Aber man wird älter, und inzwischen überlegt man sich vielleicht auch, wie gefährlich solche Experimente sind.
Was soll gefährlich daran sein? Dem Körper wird eine Verbrennung im Mundraum doch nur vorgegaukelt ...
... aber daran sind schon Menschen gestorben, und zwar an einem Kreislaufkollaps wegen des Schmerzes. Obwohl ich ja immer sage: Das tödliche Element ist in dem Fall die Dummheit – und nicht das Capsaicin des Chilis.
«Man kann auch mit den schärfsten Chilis der Welt noch subtil würzen – wenn man sich zurückhält.»
Sie sind kein Freund mehr von möglichst scharfen Saucen?
Wer scharf isst, bei dem werden Endorphine ausgeschieden, körpereigene Glücks- und Leistungshormone also. Und die machen, dass man sich gut fühlt. Ich mag das noch immer, aber: Es ist ein Unterschied, ob ich ein Glas Rotwein geniesse und runterfahre oder ob ich zwölf Biere kippe und dann nach dem Fussballspiel Schlägereien anzettle …
Wo liegt für Sie der Reiz beim Chili-Genuss?
Mich interessiert der Geschmack der einzelnen Chili-Arten. Es ist idiotisch, dass wir in der Schweiz meist nur zwei Chilis unterscheiden: die milden und die scharfen. Es gibt über 38 Capsicum-Arten; man kennt 30’000 Sorten mit einer unerschöpflichen Vielzahl an Aromen.
Wie entdeckt man diese Aromen?
Weniger ist mehr! Wenn ich weiss, ich ertrage drei Tropfen einer Sauce, dann nehme ich halt einfach nur die Hälfte. Dann werde ich bemerken, dass eine orange «Bulgarian Carrot» eher süsslich, ein «Jalapeno» eher grasig schmeckt. Man kann auch mit den schärfsten Chilis der Welt noch subtil würzen – wenn man sich zurückhält.
Was macht denn eine gute Chilisauce aus?
Wie bei den meisten Lebensmitteln ist die Qualität der einzelnen Zutaten entscheidend. Wie bei den Tomaten – auch ein Nachtschattengewächs übrigens – gibt es alte und neue Sorten. Und oft sind die alten Sorten geschmacksintensiver, weil sie nicht auf möglichst hohen Ertrag getrimmt sind. Entscheidend kann der verwendete Essig sein – ist er hausgemacht oder industriell produziert? Am besten macht man eine «Hot Sauce» eh daheim. Man gibt eine gute Chilisorte mit Öl, Essig, Salz und allenfalls etwas Zwiebeln oder Knoblauch in den Mixer – mehr braucht es eigentlich nicht.
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