Porträt von Timothée ChalametDer schmalste Star
Timothée Chalamet ist als Bob Dylan in «A Complete Unknown» Oscar-Favorit. Was fasziniert die halbe Welt am 29-Jährigen? Ein Termin in Berlin.

Die erste Frage, die Timothée Chalamet am Freitag an der Berlinale gestellt wurde, lautete: Wie hast du es geschafft, für die Rolle von Bob Dylan im Biopic «A Complete Unknown» 10 Kilo zuzunehmen?
«Ich habe einfach viel gegessen.»
«Was hast du gegessen?
«Im Prinzip viel Food.»
Dazu muss man wissen, dass der 29-Jährige zur Vorbereitung auf die Rolle nicht nur gegessen, sondern auch gelernt hat, wie man Dylans Stimme nachahmt, Gitarre spielt und eine Mundharmonika behandelt.
Die härteste Prüfung scheint nun aber gewesen zu sein, nach Berlin zu fliegen und sich so eine Frage anzuhören. Befand er sich doch am Ende einer monatelangen Pressetour zu «A Complete Unknown». Die Filmbiografie handelt von der Zeit in den 60er-Jahren, als Bob Dylan am Newport Folk Festival seine Gitarre in den Verstärker einstöpselte.
Zum Glück folgte an der Pressekonferenz eine Frage zum Unterschied von Aktivismus und Kunst. Chalamet war wieder hellwach. «In Europa sind die Fragen ja doch viel besser!»

Gekommen war er mit schwarz-gelber Adidas-Jacke und Sneaker-Swag. Timothée Chalamet sieht nicht so aus, als würden auf seinen Airpods die ganze Zeit Dylan-Songs wie «Like A Rolling Stone» laufen. Aber er habe sich während fünf Jahren «osmotisch» mit dem Sänger beschäftigt, sagte Chalamet. Dylan habe mit seiner kompromisslosen Karriere einen Fahrplan geschaffen für andere Künstler. Das Ganze sei aber auch für ihn neu, er habe ja früher vor allem Rap gehört. Und jetzt spricht er über Woodie Guthrie und Willie Nelson.
Chalamet ist fasziniert von Dylan und vom Erbe des Folk, und man nimmt es ihm ab. Es passt sowieso gut, dass Chalamet Bob Dylan spielt: Man kann von beiden sagen, dass sie nicht viel von sich preisgeben.
Chalamet kann ja irgendwie alles; das queere Liebesdrama «Call Me By Your Name» katapultierte ihn zum Sofort-Erfolg, er drehte mehrfach mit «Barbie»-Regisseurin Greta Gerwig, führte als Willy Wonka durch die Schokoladenfabrik, trug als Paul Atreides in zwei Teilen von «Dune» das Schicksal des Kosmos auf seinen schmalen Schultern und hat nun als Bob Dylan gute Chancen auf einen Hauptdarsteller-Oscar.
Aber wer ist er? Die weiblichen (und nicht wenige männliche) Fans sehen in ihm einen androgynen Superstar ohne grosse Allüren, dafür mit beneidenswerten Haaren. Ein Fashion-Idol, das Kylie Jenner datet und sich dafür einsetzt, dass geistige Gesundheit einen grösseren Stellenwert in der Gesellschaft bekommt.

Chalamet stammt aus Manhattan, seine Mutter trat in Broadway-Shows auf, sein Vater arbeitete für Unicef. Besonders ernst nimmt er sich nicht. Als Fans einen Wettbewerb organisierten, um jene Person zu küren, die Chalamet am stärksten ähnelt, schlich er sich unter die Teilnehmer. Er gewann nicht.
Was seine Rollen verbindet, ist die Art, wie er sie spielt: mit magnetischer Intensität. Er kann quirlig wirken oder poetisch. Und immer sieht er so jung aus. Sein Talent, sich die Singstimme von Bob Dylan anzuverwandeln, ist so bestechend, dass die Statisten beim Dreh eines Konzertauftritts für «A Complete Unknown» überzeugt waren, dass er Playback singt.
«Kreation und Analyse sind zwei verschiedene Dinge, man muss locker bleiben, um etwas zu erschaffen», sagt Chalamet an der Berlinale. Dylan habe in der Musik der 60er eine Textur gefunden, um sich auszudrücken; Protest mache ja doch «mehr Spass mit einer Band». Auf die Frage, was die unterschiedlichen Rollen, die er bislang wahrgenommen hat, über ihn selber enthüllen, sagte er, es klinge langweilig, aber er arbeite nun mal gern mit guten Regisseuren zusammen. «Ich wünschte, ich hätte eine prätentiösere Antwort.»
Ein anderer König
Auffällig ist, dass Chalamet Figuren verkörpert, die sich dagegen wehren, die Rolle des Heilsbringers zu übernehmen. In «Dune» sowieso, aber auch Bob Dylan sträubt sich gegen den Fame. «An altogether different king», wird im Historienepos «The King» der Herrscher Hal genannt, den Chalamet spielt. Ein ganz und gar anderer König.
Gemäss einem Interview soll der New Yorker am Anfang seiner Karriere den Rat bekommen haben, auf zwei Dinge zu verzichten: harte Drogen und Superheldenfilme. Leute, die mit Chalamet gedreht haben und dazu befragt werden, sagen übereinstimmend, er sei ein sensibler Typ und eine alte Seele. Jemand, der sich nicht für Gefühlsäusserungen schämt und eine zeitgemässe Art Männlichkeit verkörpert.

Aber cute allein reicht ja nicht für die unzähligen Frauen, die auf ihn stehen. Da flackert noch etwas anderes. Ist es die überschüssige Energie, die er in die Arbeit steckt und mit der er alle ringsum blendet? Oder ist es etwas Dunkleres als Brillanz?
Wie Bob Dylan macht sich Chalamet einen diebischen Spass daraus, sein Können dort auszuleben, wo es ihm passt.
Das Einzige, was nie geklappt hat, waren die grossen Actionfilme. Früher hat er dafür immer Absagen bekommen, weil er zu schmächtig sei, wie er in Interviews erzählt hat. Er habe ja versucht, Gewicht zuzulegen, aber es habe nie funktioniert. Erst für die Verkörperung von Bob Dylan hat es hingehauen. Aber das kommt mittlerweile nicht mehr drauf an, denn Timothée Chalamet ist sowieso grösser als alle Schubladen.
«A Complete Unknown»: Der Film startet am 27. Februar in den Deutschschweizer Kinos.
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