Im Kino ist alles Bio«Better Man», «A Complete Unknown»: Wie das Biopic gerade sein Potenzial verschenkt
Laufen im Kino nur noch Filmbiografien? Zuletzt Robbie Williams, bald Bob Dylan. Trotz Modernisierung des Genres fallen die Filme in alte Muster zurück.
- «Better Man» zeigt Robbie Williams als digitalen Affen, in «A Complete Unknown» trumpft Timothée Chalamet als Bob Dylan auf.
- Biopics sind überall und dramaturgisch aufregender geworden.
- Die Gags und Effekte täuschen aber nicht darüber hinweg, dass das Genre in alten Mustern gefangen bleibt.
Nun macht sich das Kino endgültig zum Affen. Das ist kein Witz, in «Better Man», der Filmbiografie von Robbie Williams, verwandelt sich der Sänger in einen digitalen Affenkörper. Für die menschliche Mimik war der Schauspieler Jonno Davies zuständig, aber auch Robbie Williams wurde als Rohmaterial für den seltsamen Computereffekt verwendet.
Die Idee entstand, weil sich Williams als «performance monkey» bezeichnete. «Better Man» nimmt die Bezeichnung wörtlich: Das Selbstporträt zeigt Williams als Primaten auf dem Weg zum Ruhm.
«Better Man» ist überall gefloppt. Das liegt sicher auch daran, dass die Verfremdung abschreckt. Man muss sich das mal vorstellen: In einem Film über sich selbst liefert ein berühmter Sänger teilweise die Vorlage für die Figur seiner selbst, aber mit Schimpansengesicht. Alles unecht, aber natürlich gehts immer um den «echten» Robbie Williams.
Und zwar so weit, dass der Sänger den Film mitproduziert hat. Spätestens da wirkt die ganze Distanzierungsstrategie wie ein Ablenkungsmanöver. Die Filmbiografie bleibt ein Projekt unter seiner Kontrolle. Die Selbstironie ist eine andere Form der Selbstbespiegelung. Tatsächlich nimmt sich der Sänger in dieser konventionellen Aufstiegsgeschichte sehr ernst.
Es hört nicht mehr auf mit Biopics
Biografien von Berühmtheiten sind im Kino nichts Neues, aber seit ein paar Jahren häufen sich die Biopics derart, dass Filmkritiker- und kritikerinnen schon ein Moratorium verlangt haben. Es hört nicht mehr auf: Robert Oppenheimer, Amy Winehouse, Bob Marley, Bob Dylan. Priscilla Presley, Napoleon, Freddie Mercury, Prinzessin Diana, Elton John. Die Kriegsfotografin Lee Miller. Und so weiter.
Studios können bei Biopics auf die bekannten Namen zählen, ähnlich wie sie von Brands wie «Star Wars» profitieren. Und dramaturgisch sind Filmbiografien aufregender geworden. Früher haben wir viele Helden-Storys serviert bekommen, in denen ein Aussenseiter innerhalb von zwei Minuten lernt, wie man Klavier spielt oder ein kompliziertes Problem löst. Auf den Aufstieg folgt unweigerlich die Selbstzerstörung, und am Ende steht die Versöhnung.
Heute konzentrieren sich Biopics stärker auf einen bestimmten Zeitabschnitt. Christopher Nolan streitet nach wie vor ab, dass er mit «Oppenheimer» eine Filmbiografie gedreht hat. Aber gerade der Erfolg seines Films zeigt, wie viel Zündstoff in dem Genre steckt, wenn man die Konstruktion ändert und wie in «Oppenheimer» verschiedene Etappen aus einem berühmten Leben zum ästhetisch vielfältigen Spannungskino hochjazzt.
«A Complete Unknown» ist von der ersten Minute an Bob Dylan
Die Dylan-Kinobiografie «A Complete Unknown» wiederum beruht auf dem Buch «Dylan Goes Electric!» und konzentriert sich auf die 1960er-Jahre. Wenn Timothée Chalamet mit seinem Gitarrenkoffer ins Bild läuft, ist er von der ersten Minute an Bob Dylan; da gibt es keinen Gründungsmythos, keine Erklärung des Ursprungs. Es wäre auch seltsam, der Film heisst ja «A Complete Unknown».
Der Titel – ein Zitat aus «Like a Rolling Stone» – erinnert nicht zufällig an einen anderen Dylan-Film. In «I’m Not There» wurde der Folksänger von verschiedenen Darstellern und Darstellerinnen gespielt.
Regisseur Todd Haynes stiess damit eine weitere Entwicklung in Sachen Biopics an: Eine gültige Performance in der biografischen Fiktion kann es ohnehin nicht geben, auch auf Berühmtheiten existieren zahlreiche Sichtweisen. Weg mit der Einheit der Figur, die Kohärenz entsteht gerade durch die Unstimmigkeit: jemand vollständig Unbekanntes.
Dekonstruiert wird in «Better Man» gar nichts
Die Modernisierung des Biopic-Genres ist weder an «A Complete Unknown» noch an «Better Man» vorbeigegangen. Aber beide Filme fallen in alte Muster zurück.
«Better Man» bemüht die Meta-Ebene. Die Off-Stimme witzelt etwa darüber, ob das reale Vorbild einer Filmfigur sein Einverständnis gegeben hat, in der Geschichte vorzukommen. Doch die reflexiven Gimmicks verschleiern bloss, dass die Autorität in «Better Man» stets Robbie Williams bleibt. Dekonstruiert wird hier gar nichts.
«A Complete Unknown» erzählt von einer begrenzten Ära im Schaffen von Dylan, die Sache läuft aber trotzdem auf ein Oscar-Vehikel für Timothée Chalamet hinaus. Der Film weiss, dass es wenig Sinn ergibt, das Innenleben eines Visionärs wie Bob Dylan zu erklären, und ist dennoch aufgebaut wie jedes Drama, in dem ein falsch verstandenes Genie Hindernisse überwinden muss.
Jedes Biopic verwandelt eine bekannte Person in eine Figur. «A Complete Unknown» müsste da nur seinen Titel ernst nehmen, er gäbe das beste Motto für das zeitgemäss kluge Biopic ab: Nur weil eine Person real existiert oder existiert hat, muss man nicht eine Wirklichkeit beschreiben. Sondern akzeptieren, dass es ohnehin keinen einzig echten Dylan, Oppenheimer oder Robbie Williams gibt.
Die meisten Filmbiografien aber haben noch diesen Anspruch auf Echtheit, auch in den virtuosen Performances der Hauptdarsteller. Das ist dann immer viel Drama – aber zu wenig Leben.
An den 60. Solothurner Filmtagen widmet sich das Fokus-Programm biografischen Filmen, sowohl fiktional wie auch dokumentarisch. www.solothurnerfilmtage.ch
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