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Film über den Popstar
Robbie Williams wird zum Affen – und das ist eine verfluchte Sensation

This image released by Paramount Pictures shows Jonno Davies in a scene from "Better Man." (Paramount Pictures via AP)
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In Kürze:
  • Der Film zeigt Robbie Williams’ persönliches Drama und seinen Kampf gegen Drogenabhängigkeit.
  • Regisseur Michael Gracey macht aus Williams’ Geschichte ein emotional ergreifendes Werk.
  • Obwohl vieles auserzählt scheint, überzeugt «Better Man» mit brillanter Inszenierung.

Man hätte die Promo-Zeichen schon viel früher lesen können. Nein, müssen. Im Sommer 2023 spülten die Algorithmen ein Handyvideo in die Welt, das Robbie Williams auf einer Jacht zeigt, die womöglich irgendwo im näheren Umfeld von Saint-Tropez ankert. Das Wetter ist fantastisch, Williams trägt etwas pink-blau-weiss Längsgestreiftes, das in diesem Setting wohl als Sommer-Seidenanzug durchgeht, in jeder anderen Situation aber ein Pyjama wäre. Er sieht grossartig aus und singt einen Song mit den Phly Boyz – einer mobilen Swing-Coverband, viel französische Sonne in den Arrangements, in den Hüften sehr lockerer Groove. Ausweislich ihrer Website sind sie «The Ultimate Worldwide Partyband».

Der Song: «I Wanna Be Like You», die Affenhymne aus dem «Dschungelbuch», in der King Louie das Universum anruft, dass er doch eindeutig das Zeug zum Menschen hätte. Tolle Vermischung der Ebenen natürlich, jetzt, da Williams in einem Film wiederum zum Affen wird. «You’ll see it’s true / An ape like me / can learn to be / human too».

Und da hockt der Affe ja schon in einem semi-glamourösen Backstageraum und versucht, sich ein Lächeln ins Gesicht zu stemmen. Ein Gewaltakt ganz offensichtlich, dabei gäbe es ja durchaus etwas zu feiern. Er hat soeben erfahren, dass er – lang gehegter Traum, ach was, Endziel von allem, was er je getan hat – eines dieser die menschliche Vorstellung sprengend grossen Konzerte im britischen Knebworth spielen wird. 125’000 Fans pro Abend. Gigantisches Karrierezwischenfazit.

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Der Affe ist ein sehr kluger Trick

Euphorie wäre also womöglich angebracht, und auf dem Tisch liegt ja schon ein prächtiger Haufen Kokain. Leider ist die Panikattacke, die nun hereinrauscht, offenbar ebenfalls mächtig. Bäumt sich auf. Entreisst dem Affen die Kontrolle über seine Mimik. Verzerrt die Mundwinkel zu einer Furcht einflössenden Grimasse, und die nächste Line Koks und die übernächste bekommen das jetzt nicht mehr geglättet. Gigantisches Junkiezwischenfazit.

Herzlich willkommen also zu «Better Man», dem Film, den Regisseur Michael Gracey aus dem Leben des Robbie Williams gemacht hat. Und um den Affen im Raum gleich anzusprechen: Ja, Williams wird über 135 Minuten von einem Computer-animierten Schimpansen verkörpert. Und ja: Das ist eine verfluchte Sensation. Und ein sehr kluger Trick.

Die Ausgangslage für diesen Film war schliesslich gar nicht ideal. Williams mag mit seinen insgesamt drei (!) Knebworth-Konzerten vor insgesamt 375’000 Besuchern kommerzielle Rekorde pulverisiert haben, aber das war im Jahr 2003. Und wenn man nun etwas ehrlicher wäre, als es sympathisch ist, müsste man wohl sagen, dass das das bislang letzte Mal war, dass er etwas Neues von echter, seelenerschütternder musikalischer Relevanz produziert hat.

Williams war der Verwalter seiner eigenen Geschichte

Was nicht ehrenrührig ist, nicht mal ein winziges bisschen. Williams war 2003 bereits 23 Jahre, also eine unbedingte Pop-Ewigkeit, im sogenannten Geschäft. Erst mit einer Band namens Take That, bei deren Auflösung Seelsorgetelefone eingerichtet werden mussten, damit nicht noch mehr Fans sich aus Trauer und Verzweiflung etwas antaten. Seit 1996 dann solo, und der Apparat wurde, mit einigen Kursschwankungen, immer grösser und noch grösser. Und blieb dabei für beeindruckend lange Zeit auch künstlerisch grandios. Bis er zwar kommerziell weiterhin die Flughöhe hielt – was die Qualität der Alben betraf, aber zusehends absackte.

Vor allem in den vergangenen Jahren war Williams dann in der Hauptsache Verwalter und auch Erzähler seiner eigenen Geschichte. Sprich: Aufwachsen in eher ärmlichen Verhältnissen in Stoke-on-Trent, einem russigen britischen Kaff, das schon einen gewissen Lemmy Kilmister hervorgebracht hatte. Ein Casting, das ihm dank einer frühen Neigung zum Grossentertainer den Platz als jüngstes Mitglied bei Take That brachte. Die Unzufriedenheit mit der Rolle als «Background-Tänzer von Gary Barlow» (Williams’ Worte) und die Exzesse, mit denen er die betäubte.

Die daraus resultierende, immer greller glühende Abhängigkeit von zunächst wohl Alkohol, später Kokain, dann Pillen und immer weiter im Kreis. Bis er doch irgendwann Heilung fand. Zuletzt spielte er nach eigenem Bekunden mit derselben Intensität, mit der er sich einst Gift in den Körper ballerte, Golf. Immerhin.

Seine jüngste Tour, die auf das wirklich grauenhafte, Geigen-schlierige Rework-Album «XXV» folgte, war in allergrössten Teilen noch sehr, sehr wunderbar, aber ein klein wenig auch ein live vertonter Wikipedia-Eintrag. Vor ziemlich genau einem Jahr erschien dann noch eine Netflix-Doku.

Darin liegt Williams die meiste Zeit über in sehr engem Slip und einem Unterhemd auf dem Bett, schaut sich alte Aufnahmen von sich selbst an und kommentiert das Geschehen. Man bewarb das Ganze mit Adjektiven wie «ungeschönt», «ehrlich» und «real», und nicht nur gemessen daran war die Miniserie überraschend langweilig – auch weil selbst Menschen, die wenig bis keine Berührungspunkte mit diesem Robbie Williams hatten, die Geschichten inzwischen kannten.

Aufstieg, Beinahverglühen, Rettung. Wie aber wird das erzählt?

Und jetzt also ein Blockbuster, Produktionsbudget angeblich 110 Millionen, zum exakt selben Thema? Kurze Antwort: Zum Glück.

Längere Antwort: Ja, «Better Man» erzählt ein weiteres Mal, was eigentlich auserzählt sein müsste. Die besondere Schönheit dieses wunderbaren Gebildes namens Pop ist allerdings diese: Alle, wirklich alle erzählen sie im Kern ja dieselben Geschichten. Sprich Aufstieg, Emanzipation, Beinaheverglühen in Sonnennähe, Rettung. Dazu, je nach Ausrichtung, eine Prise Liebe, Tod und Sex. Fertig. Entscheidend ist, wie diese Geschichten erzählt sind. Und «Better Man» erzählt seine Geschichte wirklich verteufelt gut.

Das Äffchen, das sich panisch davor fürchtet, ein Niemand zu sein, wird zum Superstar.

Man sieht zu Beginn also ein vehement süsses, nur minimal Stoke-on-Trent-verhärmtes Kinderäffchen, das aufgrund raumgreifender Talentfreiheit etwa beim Fussball von den anderen Kindern (alle um ihn herum sind von Menschen gespielt) geschnitten wird. Das sein Seelenheil findet, wenn es mit dem ansonsten brüllend abwesenden Vater vor dem Fernseher posiert und mit Frank Sinatra «My Way» schmettert. Das von ebenjenem Vater mit Blick auf Sinatra erfährt, dass man «es» entweder hat – oder ein Niemand ist. Das nicht versteht, was «es» ist, aber sich bereits damals panisch davor fürchtet, ein Niemand zu sein.

Robbie Williams, der ewige Peter Pan

Das Äffchen wächst in der Folge heran, erst zu dem jugendlichen Shithead, der als Mitglied der grössten aller Boybands viel zu früh viel zu weit davon wegkatapultiert wird, ein Niemand zu sein. Der aber trotzdem oder gerade deshalb nicht die geringste Idee davon hat, wer er stattdessen ist. Der sich auf seine Funken sprühende Selbstsabotage- und Selbstzerstörungstour aus Abstürzen, Fressattacken, Bulimieschüben und immer kürzeren Momenten des Glücks begibt. Das alles durchzogen von absolut tollen, ganze Strassenzüge füllenden Musical-Sequenzen mit Pogo-Stäben, Scootern und jedem Glitzerfirlefanz, den man sich sonst so vorstellen kann.

Der von den Fliehkräften also erst aus der Band getragen wird, dann aus sämtlichen noch so fernen Umlaufbahnen der Realität und schliesslich ein paarmal beinahe aus dem Leben. Dass das derart ergreifend wird und emotional wirklich bestialisch aufwühlt, liegt zum einen sicher daran, dass der Schimpanse, mit dem alle interagieren, als sei er ein normaler Mensch, die Szenerie in jedem Moment zur Groteske erhebt. Zum anderen aber rechnet entweder das Gehirn oder eben doch die brillante Computeranimation auch ins erwachsene Affengesicht noch das Äffchen hinein und seine grossäugige, kindlich reine Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Womit man nun plötzlich sehr deutlich zu spüren glaubt – spüren, nicht sehen –, was Williams, diesen ewigen Peter Pan, antreibt.

Zur Sonne. Zur Freiheit. Weiter in ein unendlich schwarzes All. Und dann, Stand heute, zurück. Zum Leben. Zum Glück.