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Neues Album «This Life»
Take That 2023 klingen so, wie sie 2023 aussehen

ARCHIV - 25.11.2023, Baden-Württemberg, Offenburg: Die britische Band Take That tritt während der ZDF-Show "Wetten, dass..?" auf. (zu dpa: Take That vor Sommertour: Mehr Vorfreude als Nervosität) Foto: Philipp von Ditfurth/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Philipp von Ditfurth)
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Take That sehen jetzt also aus wie eines dieser mit ausklingendem Hippietum verknitterten Westküsten-Folkrock-Trios. Crosby, Stills and Nash, circa 1970. Marc Owen, links im Bild des Zoom-Calls: weit über die Schultern reichendes Haar, Windhund-schmales Gesicht, tolles, keckerndes Lachen. Howard Donald, ganz rechts auf der Couch: bärtig, wuschelig, ein klein wenig missmutig vielleicht, was die Sache mit den Furchen, die ihm das Leben inzwischen im Gesicht hinterlassen hat, nicht dezenter macht. Der Habitus ist aber noch immer wie frisch vom Surf-Longboard geschlurft.

Und in der Mitte, natürlich, Gary Barlow, der weiterhin exakt aussieht wie Gary Barlow, also womöglich immer noch um eine Lässigkeit bemüht, die da noch nie war, aber damit auch versöhnt. Gerade im Vergleich zu den anderen beiden scheint er das Altern eingestellt zu haben.

Es gibt da freilich bereits viele Internet-Memes, aber es ist trotzdem eine kleine Freude, die heutigen Musiker, im Schnitt Anfang 50, mit damals abzugleichen. Mit dieser in den Neunzigern so sorgsam in den Kältekammern, die die Plattenfirmenbosse als Gehirne mit sich herumtrugen, zusammengecasteten Boyband.

Pop band Take That pose during the children's TV Show 'Going Live!', circa 1990-91. (Photo by Dave Hogan/Hulton Archive/Getty Images)

Owen, damals: hundewelpenhafter Vertreter einer sehr ungefährlichen, knautschigen Jugendlichkeit. Howard Donald, damals: prächtiger, blanker Hintern in sorgsam ausgeschnittenen Hosen – ein Frontalangriff auf Gender-Stereotype, die noch mindestens 20 Jahre weiter die Welt kaputtmachen sollten. Gary Barlow, damals wie heute: der Talentierte, der, für solche Bands absolut untypisch, eigene (gute) Songs schreiben konnte und kann. Dazu ein sehr stilles Wasser namens Jason Orange, der, ganz souverän, 2014 einfach, puff: aus der Öffentlichkeit verschwand. Und ein Typ namens Robbie Williams, für den Letzteres explizit nicht gilt.

Drei sind also noch übrig.

Was natürlich nicht ganz stimmt. Robbie Williams war im ganz klassischen Sinne ja nie weg, er war halt irgendwann allein der grösste Popstar Europas und heimlich traurig, dass sie ihn bei Take That rausgeschmissen hatten. Deshalb war er später kurz noch mal dabei. Dann schnell wieder nicht. Gerade ist eine Mini-Serie über ihn erschienen, die heisst wie er. Man sieht ihn darin, wie er sich in engen Männerslips und Unterhemd auf dem Bett räkelt und latent waidwund alte Videos kommentiert. Es wird ein Zufall sein, dass Netflix das gut zwei Wochen vor Release des neuen Take-That-Albums veröffentlicht hat. «This Life» heisst es.

OFFENBURG, GERMANY - NOVEMBER 25: Howard Donald, Gary Barlow and Mark Owen of Take That speak on stage during the "Wetten, Dass ...?" tv show on November 25, 2023 in Offenburg, Germany. (Photo by Andreas Rentz/Getty Images)

Drei von fünf also noch. Und: erstaunlich gelungene Musik, nicht nur in den engen Parametern, die die Welt einer Formation wie Take That sonst lässt. Sehr organische Klangszenerie, altersgerecht, das schon, aber darin bestechend wenig träge. Ganz enorm zufrieden klingt das ausserdem, und zwar ohne selbstzufrieden zu geraten. Knarzige, schnarrende Estrich-Klaviere, ein paar fein in kalifornischer Sonne marinierte Drums und Bässe, Gitarren, die man in der noch immer magischen Luft Nashvilles zum Trocknen rausgehängt hat. Und immer wieder: fantastische Satzgesänge.

Take That 2023 klingen also, wie Take That 2023 aussehen.

«Wir waren schon immer eine Harmony-Group, und diesmal wollten wir das besonders deutlich zeigen.»

Gary Barlow

Die Sache mit den Chören ist nun diese: Es gibt viele Wege, ein Album anzufangen – blind, wild, verzagt, vergrübelt. Direkt aus dem Bauch oder gleich dem Unterbewusstsein oder mit Kopfbeteiligung. Künstlerisch frei (Take That heute). Oder Takt für Takt so, wie Labels das wollen (Take That in den Neunzigern). Aber man macht bei alldem selten einen Fehler, wenn man eine grundlegende ästhetische Idee im Kopf hat. Die ästhetische Grundidee hier: «Das Album sollte eine Feier unserer Stimme sein. Wir waren schon immer eine Harmony-Group, und diesmal wollten wir das besonders deutlich zeigen. Also: Let’s turn the vocals up louder than we ever had them, let’s find each other’s space!»

Gary Barlow sagt das. So ist die Choreografie tendenziell noch immer in der Band: Barlow antwortet als Erster (und oft auch noch mal als Letzter). Owen antwortet, wenn ihm etwas einfällt. Howard, wenn es unbedingt sein muss.

Alle steuerten Stücke bei

Sie haben, so erzählen sie das jedenfalls, diesmal noch mehr als sonst alle als Songwriter ernst genommen. Alle steuerten Stücke bei. Für die erste Bestandsaufnahme trafen sie sich in Barcelona, spielten einander relativ weit ausgearbeitete Ideen vor.

Wer so etwas noch nie gemacht hat: Es gibt keine brutaleren Momente im Leben von Künstlern. Man steht da sehr, sehr nackt vor den anderen. Frühsommer-nackt, und zwar ohne Bikini-Figur-im-Frühjahr-Training. Alle Falten und Speckröllchen und Pusteln und teigig bleichen Hühnerbrüste sind prächtig zu sehen, es gibt keinerlei Versteck, und man schaut den anderen mit sich sukzessive selbst verdauenden Eingeweiden dabei zu, wie sie die eigenen Songs anhören und höflich versuchen, nicht die Nase zu rümpfen. Grauenhaft.

Wie haben sie also entschieden, was gut genug ist? Und wie oft wurde dabei geweint? «Qualitätssicherung war nicht das Thema», sagt Howard dazu. «Wir sind lang genug im Business, um zu wissen, was bei den Fans funktioniert.» Er benutzt die deutlich lässigere Wendung «what’s gonna hit home». Sie hätten die Musik diesmal aber «noch mehr für uns und füreinander geschrieben». Das sei der entscheidende Faktor gewesen. «Jeder abgelehnte Song kann ausserdem an anderer Stelle zurückkommen», sagt Owen. Barlow sagt nichts.

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Frage an ihn also: Wie hat er es geschafft, die Kontrolle abzugeben – to let go of control? Antwort: «It’s not about letting go, it’s about letting other people hold on with you.» Ein ziemlich famoser Satz. Womöglich sogar nur eine Spur vorbereitet, und das zeigt mal wieder, dass die Dinge eben vieles auf einmal sein können: echt und trotzdem ein winziges Bisschen arrangiert. Wunderschön und eine Idee klebrig. Cool und trotzdem cheesy.

Der Titel-Track: toller Klavier-Groove, Melodien wie Hochsommer im nahenden Graumatsch, ein einziges, quietschiges Vergnügen – und vielleicht nur etwas harmlos. «Brand New Sun»: feiner, leichter Nashville-Rock mit etwas Feenstaub – und nur Kleinstresten von Boyband-Flair. «We Got All Day»: ein absolut episches Chor-Grosswerk, das die ganze Schönheit der Welt vom höchsten Berg ins Tal hallen lässt – und die Satzgesänge eben insgesamt absolut fantastisch und wirklich nur im allerletzten Randaspekt schlau, weil ohne Robbie eben auch keine richtig zwingende Solo-Stimme mehr da ist.

«This Life» ist also ein absolut feines Album, und zwar als genau das: als Album – und nur in den hintersten Winkeln … ach, egal. Es ist sehr gut. Alles ist gut.