TV-Kritik «Tatort»Den süssen Vogel Jugend gibt es nicht
Der neue «Tatort» aus Dresden thematisiert, wie banal das Böse am Ende oft daherkommt – auch unter Jugendlichen.
Es war der letzte «Tatort» mit Karin Hanczewski als Kommissarin Karin Gorniak, seit 2016 in Dresden mit von der Partie. Hanczewski hatte genug, ihre Position im Ermittlerduo bleibt erst mal offen.
Ihr Finale dreht sich passenderweise rund um eine Abschiedsparty, die aus dem Ruder gelaufen ist. In «Herz der Dunkelheit» veranstaltet eine Gruppe von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zum Abschluss der Schulzeit eine Fete in der Villa einer Klassenkameradin, deren Eltern nicht da sind.
Es wird gesoffen, getanzt, geschmust, Drogen werden eingeworfen, und nicht immer sind all die hoffnungsvollen Abiturienten nett zueinander. Am Ende der Party liegt ein Mitschüler, der Underdog, schwer verletzt im Spital und ein anderer, der charismatisch-machtgierige Leader des Rudels, ist verschwunden.
Der verletzte Teenager Marlin (Max Wolter) wird es nicht überleben. Bevor er aus der Villa hinaus- und in einen Lastwagen hineinrannte, hatte er noch der Polizei Bescheid gegeben, dass Janusz (Louis Wagenbrenner), der Leader, tot im Poolhaus liege. Entsprach das der Wahrheit, ist der Leichnam weggeschafft worden? Oder hatte Marlin nur einen schlimmen Drogentrip gehabt?
Letzteres legen die ersten Filmminuten nahe, in denen die Kamera das Lichtergewirbel auf der Fete einfängt, das Aufblenden der Lastwagenscheinwerfer, die verzogenen Bilder, die Marlin wahrnimmt, während er durch die Villa stolpert.
Regisseurin Claudia Garde wird in den Rückblenden, die den Krimi rhythmisieren, immer wieder diese Technik nutzen. Dazu läuft, gleich zu Beginn, «Smalltown Boy» von Bronski Beat mit dem gehetzten «Run away, turn away», die Schwulenhymne von 1984 – den Fingerzeig wird man erst später verstehen, ebenso die Wahl des fragilen 80er-Synth-Pop-Hits «Sweet Dreams» von Eurythmics.
Gelernte Opfermentalität aller
Um zu klären, was sich an dem Abend wirklich abgespielt hat, überschreitet Gorniak nicht bloss die Grenzen des Erlaubten, sondern sprengt auch die sich anbahnende Beziehung zwischen ihr selbst und einem sympathischen Witwer. Der entpuppt sich – ausgerechnet – als Vater einer der unter Verdacht stehenden Partygängerinnen, Romy (Charlotte Krause). Dass das Mädchen weit mehr war als nur eine entfernte Bekannte des verschwundenen Jungen, entdeckt Gorniak, als sie in Romys Tagebuch schnüffelt.
Es ist schon so: Die Anatomie von «Herz der Dunkelheit» (der conradsche Titel ist etwas irreführend) kennt man. Krimis mit tödlichen Schülerpartys haben keinen Seltenheitswert, und zu ihren typischen Themen zählen nun mal toxische Beziehungen unter den Jugendlichen – die hier von einem überzeugenden jungen Cast gegeben werden –, Mobbing und Unsicherheit, Sex, Drugs, Erpressung. Drehbuchautorin Claudia Garde (zusammen mit Ben von Rönne) wirft noch eine ungewollte Schwangerschaft in den Mix, doch einen echten Coup hat sie nicht in petto.
Was man ihr, handkehrum, auch zugutehalten könnte: Die Story beleuchtet ja die ubiquitäre jugendliche Hilflosigkeit, Abhängigkeit und Egozentrik – und ganz allgemein die Banalität des Bösen. Die gelernte Opfermentalität aller.
Ein spektakuläres Adieu Gorniaks war das nicht, aber genau dies entspricht dem moralisch und medizinisch verschwommenen Graubereich, den der Film in den Blick nimmt.
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