TV-Kritik «Tatort»Der kleine Paul, der grosse Swen und der Schmerz überall
Die Entführung eines Kindes ist eine Schreckensvorstellung für alle Eltern – und der neue «Tatort» aus Ludwigshafen bespielt diese Angst gekonnt.

So richtig gruselig ist das Cold Open, wenn man «Der Stelzenmann» zum zweiten Mal schaut. Als Erstes geht der Blick auf einen herzigen Hamster, der im Dunkeln im Plastikrädchen seine Runden trippelt. Lange Männerbeine nähern sich, grosse Männerhände heben den Käfig hoch und platzieren ihn auf einem Tisch. Der Hamster klettert an den Gitterstäben hoch und fiept. Später wird das Tierchen nicht bloss inhaltlich eine Rolle spielen, sondern man begreift es als Symbol für all die gekidnappten, verzweifelten Buben, die hier Opfer eines Serientäters wurden.
Der Film selbst beginnt dann hochtourig in einer Disco: Wir sehen einen taumelnd tanzenden jungen Mann im Lichtergewirr, draussen auf der Strasse löst er einen Autoalarm aus, es blinkt und hupt, und wenig später rennt der Teenager panisch über einen menschenleeren Platz – und Cut zum Heck eines schwarzen Mercedes, der am helllichten Tag einen Primarschüler verfolgt. Innerhalb der nächsten vier Minuten wird der kleine Paul brutal entführt und eine alte Dame durch ebendiesen Mercedes spektakulär ins Koma gerammt. Erst jetzt gibt es Zeit zum Atemholen – und dem Weh nachzuspüren, in dem Pauls Eltern ertrinken.
Anders gesagt: «Der Stelzenmann» stolziert nicht, er rast. Nur die Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) selbst sind nicht ganz so schnell unterwegs. Aber gerade dadurch pulst die Spannung: Das TV-Publikum verfolgt in dem klassischen Thriller nervös, wie die beiden im Dunkeln tappen, während ihm der Täter schon klar ist. Drehbuchautor Harald Göckeritz bremst die Jagd auf den Verbrecher aus, um einem frühen Opfer des «Stelzenmanns» Raum und Charakter zu geben: ein geschickter Schachzug. Denn mit der Figur des nun 18-jährigen Swen – ein überzeugender Samuel Benito – gewinnt der Krimi einen schillernden Sympathieträger. Göckeritz fokussiert auf den Schmerz; und die Angst.

Als komischer Kontrapunkt wiederum ist in dem Ludwigshafen-«Tatort» die horizontal fortgeführte Geschichte zwischen den beiden neuen, bloss anfangs konkurrierenden Assistenten angelegt: zwischen der Polizeianwärterin, der schwarzen Pfälzerin Mara (Davina Fox), und dem langhaarigen, weissen Verwaltungsheini Nico (Johannes Scheidweiler). Sogar der Kotzbrocken aus dem letzten, dem 80. Odenthal-Fall, LKA-Mann Breising (Bernd Hoelscher), entpuppt sich in Nr. 81 als lernfähig. Das hat Potenzial, auch wenn man noch das Konzepthafte spürt.
Regisseur Miguel Alexandre, der 2004 zusammen mit Göckeritz den preisgekrönten Film «Grüsse aus Kaschmir» geschaffen hat, arbeitet hier freilich gekonnt mit Urangstfantasien, mit unheimlichen Visionen, Waldbildern. Dass sich am Ende alles auf eine harte, herzlose Frau zurückführen lässt, ist zwar, tja, konventionell; ebenso wie die Tatsache, dass der Täter sich selbst als Opfer sieht und mit seinen Handlungen erfahrene Gewalt weiterreicht, um sich als selbstwirksam zu erleben. Biedere Küchenpsychologie – aber zum gepfefferten Krimimenü aufbereitet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.