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TV-Kritik «Tatort»
«Heute ist man links, wenn man das System verteidigt»

Zwei Personen in einem intensiven Gespräch; eine Person hält eine Pistole und zielt auf die andere.
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Neun Reichsbürger aus der Prinz-Reuss-Gruppe stehen seit April in Stuttgart-Stammheim vor Gericht – also da, wo einst der Prozess gegen die RAF-Terroristen der Baader-Meinhof-Gruppe stattfand. Das Drehbuch-Duo Katharina Adler und Rudi Gaul – Letzterer führte auch Regie – schuf jetzt in seinem dritten Stuttgart-«Tatort» aus dieser Gemengelage und der geistigen Verwandtschaft zwischen Ultrarechts und Ultralinks einen Huis-Clos-Thriller, der in einem Stuttgarter Kino spielt.

Die Landesregierung hat zur Premiere eines Dokfilms mit dem vielsagenden Titel «Wer wir sind: Die Stunde Null unserer Demokratie» geladen. Zu den Gästen zählen etwa der Polizeipräsident, ein Staatssekretär, ein rechtspopulistischer Kaderpolitiker und eine bekannte Journalistin.

Eher zufällig ist auch Hauptkommissar Bootz dabei (Felix Klare). Doch mitten im Satz «Das ist die Geburtsurkunde des Bundestages» bricht die Filmvorführung ab, und eine überdrehte junge Frau (überzeugend: Anna Schimrigk) und ein ebenso aufgeregter Mann übernehmen mit Waffengewalt die Herrschaft im Saal.

Die Terroristen verlangen die Freilassung zweier «politischer Gefangener» – Verbrecher, die sich im «nationalen Widerstand» sehen – und das Geständnis des Innenministers von Baden-Württemberg, dass er Mitglieder der Widerstandsgruppe im Gefängnis ermorden liess. Sonst werde eine Geisel nach der anderen abgeknallt. Einen Toten gibts bereits.

Mann in Anzug steht in einem fast leeren Kinosaal, während Personen in den Sitzen kauern oder sich auf dem Boden ducken.

Anders als im Journalistenthriller «September 5» verfolgen wir hier via Split-Screen, wie draussen Innenminister und Polizei auf die Geiselnahme reagieren, vor allem Bootz’ Kollege Lannert (Richy Müller), und wie drinnen fast ein Ferdinand-von-Schirach-Drama abläuft mit Abstimmungen darüber, wer als Nächstes erschossen wird.

Anna Schimrigk gibt in «Verblendung» eine fanatische Täterin, die sich angesichts der Schwächen der Demokratie wie des Heuschreckenkapitalismus in eine rechte Ideologie verrannt hat. «Wir ziehen die zur Rechenschaft, die verantwortlich sind für Lügen, Täuschung, Manipulation, für die Geiselhaft von uns allen.» Schuldig seien die Globalisten und alle, die mitmachten bei Ausbeutung und «Umvolkung».

Sie ist bereit, sich, ihren Kollegen und alle Geiseln zu opfern, und blind dafür, dass sie selbst von ihrer eigenen Gruppe manipuliert wird. Der «Bulle» Bootz und die «Medienhure» stehen dagegen für Humanismus und den Wert jeden Menschenlebens ein; sie beweisen moralische Stärke, wo die anderen Geiseln einknicken.

Das hat schon etwas arg Pädagogisches. Da wurde gut recherchiert und theoretisch fundiert, doch manchmal hört man den Zettelkasten klappern, wenn es um die Erpressbarkeit des Staates geht oder darum, was Demokratie und Freiheit wirklich bedeuten.

Der Rechtsmediziner konstatiert: «Früher war man links mit radikaler Systemkritik, heute ist man links, wenn man das System verteidigt.» Aber trotz teils gestelzter Ansagen, gewisser Ungereimtheiten und eines Personals, das insgesamt nicht viel Tiefe entwickeln kann, bleibt der Film spannend und hat zum Schluss gar einen Scherz in petto.