Newsticker zur Lage in SyrienAutobombe in Nordsyrien tötet mindestens 19 MenschenTrump will sich nicht auf Abzug von US-Truppen festlegenStaatsagentur: Al-Scharaa Übergangspräsident Syriens
In Syrien beenden islamistische Rebellen die Herrschaft von Bashar al-Assad. Die aktuellen Entwicklungen gibt es hier im Newsticker.
Schweizer Vertreterin in Syrien: «Die Menschen lächeln mehr. Aber es gibt auch Angst»
«Apropos»–Podcast: Das Ende der Ära Assad: Was folgt nun in Syrien? Und in der Region?
Timeline zu Bashar al-Assads Herrschaft: Jahre des Grauens
Israel-Palästina-Krieg: Newsticker zum Krieg im Nahen Osten
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Mehr US-Soldaten in Syrien stationiert als bislang bekannt
In Syrien sind derzeit mehr US-Soldaten stationiert als bislang bekannt. Das US-Verteidigungsministerium korrigierte seine bisherigen Angaben dazu und teilte mit, momentan seien rund 2000 amerikanische Soldaten in dem Land. Zuvor hatte das Ministerium stets von 900 Soldaten gesprochen, die in Syrien stationiert seien – zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der Region.
Der Sprecher des Pentagons, Pat Ryder, sagte, 900 Soldaten seien für einen längerfristigen Einsatz von jeweils etwa neun bis zwölf Monaten in Syrien. Die zusätzlichen Kräfte seien Truppen zur vorübergehenden Rotation, die jeweils nur für einen bis drei Monate dort seien, um jede Art von neuen Anforderungen im Zusammenhang mit der IS-Mission zu erfüllen.
Auf Nachfragen erklärte Ryder, die höhere Zahl amerikanischer Soldaten sei bereits «seit einer Weile» in Syrien, definitiv seit der Zeit vor dem Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Erst jetzt sei die Diskrepanz der Zahlen jedoch intern aufgefallen.
Eine Rebellen-Allianz unter der Führung der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham hatte am 8. Dezember den langjährigen Machthaber Assad in Syrien gestürzt. (DPA)
Putin sieht keine Niederlage Russlands in Syrien
Kremlchef Wladimir Putin sieht die Entmachtung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nicht als eine Niederlage für Russlands dort seit 2015 stationiertes Militär. «Sie wollen die Ereignisse in Syrien als Niederlage Russlands ausgeben. Ich versichere Ihnen, das ist nicht so», sagte Putin in seiner im Staatsfernsehen übertragenen grossen Fragerunde.
«Wir sind nach Syrien gegangen, um zu verhindern, dass dort eine terroristische Enklave entsteht. Im Grossen und Ganzen haben wir unser Ziel erreicht. Und die Gruppen, die dort waren, haben sich verändert», sagte er.
Putin sagte auch, dass er Israel als wichtigsten Nutzniesser der Lage in Syrien sehe. Zugleich warnte er angesichts der Besetzung syrischer Gebiete vor einem Zerfall des Landes. Er meinte auch, dass Israel wie auch die Türkei in dem Bürgerkriegsland aktuell Fragen der Sicherheit ihrer eigenen Länder regelten. (DPA)
Putin an jährlicher Pressekonferenz: In Syrien habe Russland «seine Ziele erreicht»
Putin will Assad in seinem russischen Asyl treffen
Kremlchef Wladimir Putin will den entmachteten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in seinem Asyl in Russland treffen. Nach der Gewährung des Asyls habe es bisher noch kein Treffen mit ihm gegeben, sagte Putin bei seiner grossen, im Fernsehen übertragenen Fragerunde. Er versprach auf die Frage eines Journalisten des US-Senders NBC, dann auch eine Frage zu einem seit zwölf Jahren vermissten Amerikaner anzusprechen. Demnach hatte die Mutter des vermissten US-Reporters Putin in einem Brief aufgerufen, die Frage bei Assad zu thematisieren. Putin meinte, dass zwölf Jahre eine lange Zeit seien und in Syrien damals viel passiert sei.
Putin hatte dem aus Syrien geflüchteten Assad und dessen Familie in diesem Monat Asyl gewährt. Unklar ist aber, wo sich die Assads im flächenmässig grössten Land der Erde aufhalten. (DPA)
Putin will Militärbasen in Syrien erhalten
Kremlchef Wladimir Putin hat Russlands Interesse an einer Erhaltung der Militärbasen im Bürgerkriegsland Syrien auch nach der Entmachtung von Präsident Baschar al-Assad bekräftigt. Gesprochen werden müsse darüber mit jenen Kräften, die im Land jetzt die Kontrolle hätten, sagte der Präsident in seiner im Staatsfernsehen übertragenen grossen Fragerunde.
«Unsere Interessen müssen übereinstimmen», sagte Putin. So habe Russland etwa vorgeschlagen, die Luftwaffen- und die Marinebasis für humanitäre Hilfe in dem Land einzusetzen.
Geholfen habe Russland zuletzt auch bei der Verlegung von 4000 Mann der iranischen Truppen nach Teheran. Russland halte Kontakt zu allen Gruppierungen in Syrien und zu den Staaten in der Region. Eine Mehrheit von ihnen habe ein Interesse daran, dass die russischen Basen blieben. Putin äusserte sich in diesem Zusammenhang nicht zu Berichten über eine angebliche Verlegung russischer Truppen von den syrischen Basen etwa nach Libyen. (DPA)
Türkei weist Trump-Äusserungen über «feindliche Übernahme» in Syrien zurück
Die Türkei hat Äusserungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump zurückgewiesen, in denen der Republikaner den Sturz des Machthabers Bashar al-Assad in Syrien als «feindliche Übernahme» durch die Türkei bewertete. «Wir würden es nicht Übernahme nennen, weil es ein schwerer Fehler wäre», die Geschehnisse in Syrien so darzustellen, sagte der türkische Aussenminister Hakan Fidan am Mittwoch im Interview mit dem Sender al-Jazeera.
«Für das syrische Volk ist es keine Übernahme», fuhr Fidan fort. «Ich denke, wenn es überhaupt eine Übernahme ist, dann ist es der Wille des syrischen Volkes, der nun übernimmt.»
Trump hatte am Montag gesagt, die Türkei habe das «schlau» angestellt: «Die Türkei hat eine feindliche Übernahme vollzogen, ohne dass dabei viele Menschen ums Leben gekommen sind», sagte er vor Journalisten.
Seit den frühen Tagen der Massenproteste gegen Assad im Jahr 2011 gilt die Türkei als wesentliche Unterstützerin der Opposition gegen den früheren Machthaber. Millionen von Syrern sind in die Türkei geflohen, das Land beherbergte politisch Andersdenkende und unterstützte Gruppen, die gegen die Armee der syrischen Regierung kämpften.
Fidan sagte, es wäre inkorrekt, die Türkei als die Macht darzustellen, die am Ende Syrien regiere. «Ich denke, das wäre das Letzte, was wir wollen, denn wir ziehen enorme Lehren aus dem, was in unserer Region passiert ist, weil die Kultur der Vorherrschaft selbst unsere Region zerstört hat», sagte Fidan. Wesentlich müsse die Zusammenarbeit sein. «Unsere Solidarität mit dem syrischen Volk sollte heute nicht so charakterisiert oder definiert werden, als ob wir tatsächlich Syrien beherrschen würden. Ich denke, das wäre falsch», fuhr Fidan fort.
In Antwort auf eine Frage zu Gerüchten, die Türkei könnte eine Offensive auf die von Kurden gehaltene Grenzstadt Kobane starten, sagte Fidan: «Es gibt jetzt eine neue Regierung in Damaskus. Ich denke, das ist jetzt in erster Linie ihre Angelegenheit.» Wenn diese das «Problem richtig angehen, gibt es für uns keinen Grund einzugreifen», führte der Aussenminister aus.
Im Nordosten Syriens wird eine grössere Eskalation zwischen den von den USA unterstützten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und den von der Türkei unterstützten Gruppen befürchtet. Die SDF bekämpften 2019 mit Unterstützung der USA erfolgreich die Jihadistenmiliz Islamischer Staat in Syrien.
Ankara erachtet jedoch die zu den SDF gehörende Kurdenmiliz YPG als verlängerten Arm der in der Türkei als terroristisch eingestuften und verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Türkei hatte nach dem Machtwechsel in Syrien ihre Angriffe auf kurdisch kontrollierte Gebiete verstärkt. (AFP)
Russland verlegt Luftverteidigung nach Libyen
Russland hat nach dem Sturz seines Verbündeten Bashar al-Assad seine Luftabwehr aus verschiedenen Teilen Syriens abgezogen. Nach einem Medienbericht und Angaben aus Militärkreisen wurde sie teilweise ins Bürgerkriegsland Libyen verlegt.
Ein ehemaliger Offizier unter Assad berichtete der Deutschen Presse-Agentur, dass einige der Anlagen und auch Panzer in das vom abtrünnigen General Khalifa Haftar beherrschte Ostlibyen verlegt worden seien. Den Abzug der Luftabwehr bestätigte auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Zuerst hatte das «Wall Street Journal» unter Berufung auf amerikanische und libysche Quellen berichtet.
Westliche Militärs schauen auf Libyen
Libyen gilt als ein sogenannter gescheiterter Staat, der nach dem Sturz und Tod von Langzeitmachthaber Muammar al-Ghadhafi im Oktober 2011 im Chaos versank. Seit Jahren ist Libyen zwischen konkurrierenden Machtzentren in West und Ost zerrissen.
Westliche Militärs beobachten nach dpa-Informationen seit Tagen genau, ob Moskau seine Präsenz in Libyen ausbaut. «Grundsätzlich bietet sich Russland auch die Möglichkeit, über den ostlibyschen Machthaber Haftar einen privilegierten Zugang zum Hafen von Tobruk zu erhalten, um dort gegebenenfalls auch Munition umzuschlagen», hiess es bereits am 11. Dezember in einer Lageanalyse des deutschen Verteidigungsministeriums, die der dpa vorliegt.
Haftar wird seit Jahren von Russlands Präsident Wladimir Putin unterstützt. Im Streit um die Macht mit der Regierung in Tripolis im Westen des Landes kommen ihm eine bessere Luftverteidigung sowie Angriffswaffen gelegen. In Libyen halten sich Schätzungen zufolge auch Tausende Söldner der russischen Wagner-Gruppe auf.
Dem «Wall Street Journal» zufolge hatten russische Frachtflugzeuge zuletzt Ausrüstung für die Verteidigungsanlagen S-400 und S-300 in den Osten Libyens geflogen.
Auch Wagner-Söldner in Libyen
Allerdings sei Haftar grundsätzlich auch um ein ausgeglichenes Verhältnis zum Westen bemüht, hiess es in der Analyse des deutschen Verteidigungsministeriums weiter. Zudem sähen andere ostlibysche Eliten eine zu grosse Nähe zu Russland kritisch. (DPA)
Weisshelme: Leichen in Lager in Vorort von Damaskus entdeckt
Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad hat die syrische Zivilschutzorganisation Weisshelme nach eigenen Angaben Leichen und Leichenteile in einem Medikamentenlager in einem Vorort der Hauptstadt Damaskus entdeckt. In einem Kühlraum hätten Leichen gelegen, einige offenbar seit mehr als anderthalb Jahren, sagte der Weisshelm-Vertreter Ammar al-Salmo am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Auch Knochen hätten verteilt auf dem Boden gelegen.
Die Zahl der Opfer schätzte al-Salmo auf mehr als 20. Einige der Leichensäcke im Kühlraum seien mit «Aleppo-Hrajtan», zwei Städtenamen im Norden, und Nummern beschriftet gewesen. Über DNA-Tests solle nun versucht werden, die Identität der Opfer zu klären und ihre Familien zu benachrichtigen. Ein AFP-Reporter beobachtete, wie Männer in weissen Schutzanzügen Leichen und Leichenteile in schwarzen Säcken auf einen LKW luden. (AFP)
Syrische Rebellen geben Assads Soldaten «Versöhnungsausweise»
Vor dem sogenannten Versöhnungszentrum in Latakia stehen Hunderte Ex-Soldaten der Armee des gestürzten Machthabers Baschar al-Assad Schlange. Die Einrichtung in der Küstenstadt im Nordwesten Syriens wird von Rebellen betrieben, die nun das Sagen haben. Die früheren Soldaten lassen sich namentlich registrieren, übergeben ihre Waffen und werden abgelichtet.
Im Gegenzug bekommen sie einen «Versöhnungsausweis». Der gebe ihnen das Recht, sich im Land für drei Monate «frei und sicher» zu bewegen, erklärt Mohammed Mustafa, ein Sicherheitsoffizier in der neuen Übergangsregierung. (DPA)
UNO-Sicherheitsrat fordert syrisch geführten politischen Prozess
Der UNO-Sicherheitsrat hat zu einem «inklusiven und von den Syrern engeführten» politischen Prozess nach dem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad aufgerufen. Die Bevölkerung des Landes müsse die Möglichkeit haben, «ihre eigene Zukunft zu bestimmen».
Das Gremium rief am Dienstag zudem Syrien und seine Nachbarn dazu auf, alle Handlungen zu unterlassen, die die regionale Sicherheit untergraben könnten. «Dieser politische Prozess sollte den legitimen Bestrebungen aller Syrer gerecht werden, sie alle schützen und sie in die Lage versetzen, friedlich, unabhängig und demokratisch über ihre eigene Zukunft zu entscheiden», erklärte der UNO-Sicherheitsrat, dem sowohl die USA als auch das mit Assad verbündete Russland angehören, weiter. Die Ratsmitglieder bekräftigten überdies «ihr starkes Engagement für die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität Syriens und riefen alle Staaten auf, diese Grundsätze zu achten».
Kurz zuvor hatte der UNO-Sondergesandte für das Land, Geir Pedersen, gewarnt, dass der Konflikt in dem Land mit dem Sturz Assads noch nicht beendet sei. Er verwies auf Gefechte zwischen kurdischen und von der Türkei unterstützten Kämpfern im Norden des Landes hinzu.
Auch die von Israel angekündigten Pläne, Siedlungen in den besetzten Golanhöhen auszubauen, kritisierte Pedersen. Israel müsse «alle illegalen Siedlungsaktivitäten» dort einstellen, forderte er. Der Syriengesandte rief zudem zu einer «breiten Unterstützung» für Syrien auf und forderte ein Ende der gegen das Land verhängten Sanktionen, um einen Wiederaufbau des Landes nach dem langen Bürgerkrieg zu ermöglichen.
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Flughafen in Damaskus nimmt Betrieb wieder auf
Anderthalb Wochen nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist der Flugverkehr auf dem Flughafen in der Hauptstadt Damaskus wieder aufgenommen worden. Von dem Airport hob am Mittwoch eine Maschine der Fluggesellschaft Syrian Air mit 43 Menschen an Bord ab, wie AFP-Journalisten berichteten. Zielort war Syriens zweitgrösste Stadt Aleppo im Norden des Landes. Assads Armee gab den Flughafen nach der Eroberung der HTS-Kämpfer von Damaskus auf. Seitdem waren keine Flugzeuge mehr gelandet oder gestartet. (AFP)
Neue syrische Führung will mit UNO zusammenarbeiten
Syriens neue Führung will eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Die von den Rebellen angeführte syrische Übergangsregierung habe sich zu einer «ehrgeizigen Aufstockung der lebenswichtigen humanitären Hilfe» verpflichtet, sagte der neue UNO-Nothilfekoordinator Tom Fletcher am Dienstag.
Der Lieferungen von Hilfsgütern in das kriegsgebeutelte Land wurden Anfang des Monats durch das Chaos nach dem plötzlichen Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad unterbrochen. Fletcher sagte, die Vereinten Nationen hätten jedoch die Zusicherung erhalten, dass die neue syrische Führung die Beförderung von Hilfsgütern und die Einreise von Nothelfern aus Nachbarländern wie der Türkei, dem Libanon, Jordanien und Irak erleichtern werde, «solange humanitäre Massnahmen erforderlich sind» – auch über die noch aktiven Konfliktlinien hinweg.
In einer Videobotschaft aus der syrischen Hauptstadt Damaskus teilte Fletcher dem UNO-Sicherheitsrat am Dienstag mit, dass sich die Hilfsströme langsam stabilisieren würden.
UN: Israel verletzt Waffenstillstandsabkommen in Pufferzone
Die israelische Besetzung einer Pufferzone in Syrien verletzt nach Angaben der UN das Waffenstillstandsabkommen von 1974. Das Abkommen «muss respektiert werden, und Besetzung ist Besetzung – ob sie eine Woche, einen Monat oder ein Jahr dauert, es bleibt eine Besetzung», sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric am Dienstag.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte zuvor angekündigt, dass Israel die Besetzung der Pufferzone in Syrien nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad auf absehbare Zeit beibehalten wolle. Weder die aufständische Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die nun den Grossteil Syriens kontrolliert, noch andere arabische Staaten äusserten sich zunächst zu Israels Plänen.
Israel eroberte die Golanhöhen im Nahost-Krieg 1967 von Syrien und annektierte sie später. Die internationale Gemeinschaft, mit Ausnahme der USA, betrachtet sie als besetztes Territorium Syriens.
Sorge um Vernichtung von Beweisen für Verbrechen in Syrien
In Syrien verschwindet täglich mögliches Beweismaterial für Verbrechen des abgesetzten Regimes und anderer Akteure gegen die Bevölkerung. Eine 2016 von den Vereinten Nationen eingesetzte Expertengruppe will möglichst bald selbst vor Ort helfen, solches Material zu sichern, wie ihr Vorsitzender Robert Petit in Genf sagte.
Mit dem Fall der Assad-Regierung bestehe nun die Chance, an den Tatorten Beweismaterial zu sammeln, sagte Petit. Der frühere kanadische Staatsanwalt hat die syrischen Botschaften bei den Vereinten Nationen in New York und Genf um Einreisegenehmigungen für sein Team gebeten.
Die Übergangsregierung sei sich bewusst, wie wichtig es ist, Material zu sichern, sagte Petit. Er habe auch eine lange Liste mit den Namen von möglichen Tätern, die teils ins Ausland geflohen seien.
Die Expertengruppe ist unter dem Kürzel «IIIM» bekannt. Es handelt sich um einen internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus, der Beweise für Verbrechen sammeln soll, die seit Beginn des Bürgerkriegs im März 2011 in Syrien begangen wurden.
In den vergangenen Jahren seien bereits 283 Terabytes an Daten gesammelt worden, unter anderem von Gruppen der Zivilgesellschaft. In mehreren Ländern hätten Gerichte bereits auf die Dokumente und Analysen der Gruppe zurückgegriffen und so erfolgreich Verbrecher verurteilt. (DPA)
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EU will Botschaft in Syrien wiedereröffnen
Die EU plant nach dem Sturz von Syriens langjährigem Machthaber Baschar al-Assad die Wiedereröffnung ihrer Botschaft in Damaskus. «Ich denke, dies ist ein sehr wichtiger Schritt, um (…) wirklich konstruktiv zusammenzuarbeiten und Input sowie Informationen direkt vor Ort zu erhalten», erklärte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas im Europäischen Parlament.
Sie verwies dabei auch darauf, dass der Leiter der bislang vorwiegend aus dem Ausland arbeitenden EU-Syrien-Delegation bereits an diesem Montag für Gespräche in Damaskus gewesen sei. Dabei sei es um das Knüpfen erster konstruktiver Kontakte mit der neuen Führung und verschiedenen anderen Gruppen, einschliesslich der Zivilgesellschaft, gegangen. «Wir sind bereit, unsere Delegation, die die europäische Botschaft ist, wiederzueröffnen, und wir wollen, dass sie voll funktionsfähig ist», sagte Kallas.
Kämpfer sollen Teil der staatlichen Armee werden
Bewaffnete Gruppierungen in Syrien sollen nach Worten von HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa aufgelöst und deren Kämpfer in eine staatliche Armee integriert werden. «Die Kämpfer werden darauf vorbereitet, sich dem Verteidigungsministerium anzuschliessen, und alle werden dem Recht unterstellt sein», sagte al-Scharaa bei einem Treffen mit der drusischen Gemeinde, wie HTS mitteilte. Neben der Islamistengruppe HTS und deren Verbündeten sind in Syrien unter anderem Türkei-nahe und kurdische Milizen sowie viele weitere bewaffnete Gruppen aktiv.
«Wir brauchen die Denkweise des Staates, nicht die Denkweise der Opposition», sagte al-Scharaa demnach. Für das Zusammenleben zwischen den Volksgruppen des Landes sei ein «Gesellschaftsvertrag» notwendig, um «soziale Gerechtigkeit» zu sichern. Er traf sich dem HTS-Zentralkommando zufolge auch mit Armee-Major Dschamil al-Salih, der al-Scharaa nach HTS-Angaben zur erfolgreichen «Revolution» gratulierte. HTS hatte nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad alle Soldaten der staatlichen Armee vom Dienst freigestellt. Israels Militär hat in beispiellosen Angriffen im Land zudem nach eigenen Angaben mehr als 80 Prozent der militärischen Fähigkeiten von Syriens Armee zerstört. (DPA)
Ziehen sich die Russen aus Syrien zurück?
Es gibt Anzeichen, dass die russische Militärpräsenz in Syrien nach dem Sturz Assads auf ihr Ende zugeht. Doch ganz eindeutig ist die Lage nicht. Ein langer Konvoi aus russischen Militärfahrzeugen rollte am Montag über die Autobahn in Richtung der syrischen Stadt Tartus. Soldaten standen Wache. Am russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in der Küstenprovinz Latakia stiegen immer wieder Flugzeuge auf oder landeten, während aus dem Inneren des Stützpunkts Rauch aufstieg. Was dort brannte, war unklar.
In den Strassen von Hmeimim, einer ländlich geprägten Stadt mit Orangenhainen, sind viele Geschäfte russisch beschildert. Es ist ein Hinweis auf die Bedeutung der russischen Militärpräsenz in dem Gebiet. Doch ob und wie lange diese noch andauern wird, ist nach dem Sturz des syrischen Langzeitmachthabers Baschar al-Assad offen. Russlands brutale Intervention aufseiten Assads wendete einst das Blatt im syrischen Bürgerkrieg. Im Jahr 2017 unterzeichnete Assads Regierung ein Abkommen, das Moskau eine kostenlose Pacht sowohl des Luftwaffenstützpunkts Hmeimim als auch der Marinebasis Tartus für 49 Jahre zusicherte.
Aber im November starteten oppositionelle Kräfte im Nordwesten des Landes eine Schockoffensive, die Assads Herrschaft von Neuem bedrohte. Moskau schaute weitgehend tatenlos zu – wenngleich es Assad und dessen Familie Asyl gewährt hat. Seit dies geschehen ist, hat es keine Zusammenstösse zwischen den russischen Truppen und den früheren Aufständischen gegeben, die plötzlich die De-facto-Sicherheitshoheit über ganz Syrien haben. Dabei stammen viele der Kämpfer aus Regionen im Nordwesten des Landes, die immer wieder von Russland bombardiert worden sind – und in denen Moskau sich gewiss keiner Liebe erfreut.
Ein Kämpfer, der am Montag den zivilen Flughafen neben dem russischen Luftwaffenstützpunkt bewachte, sagte: «Die Russen bereiten sich darauf vor, aus Syrien abzuziehen, so Gott will.» Er nannte nur seinen Spitznamen Abu Saif, weil er nicht befugt war, sich öffentlich zu äussern. Aus einigen Gebieten in Syrien hat sich das russische Militär bereits zurückgezogen. Am Freitag wurden russische Soldaten und Militärfahrzeuge dabei beobachtet, wie sie sich aus dem Süden des Landes in Richtung ihres Hauptstützpunkts in der Stadt Latakia bewegten. Am Donnerstag hatte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet, russische Streitkräfte verliessen Stützpunkte in Ain Issa und Al-Samn in ländlichem Gebiet in der Provinz Al-Rakka. (DPA)
HTS-Chef fordert Aufhebung von Sanktionen für Flüchtlingsrückkehr
Der Chef der siegreichen Islamisten in Syrien hat die Aufhebung von Sanktionen als notwendig für die Rückkehr von Flüchtlingen in das Land bezeichnet. HTS-Chef Mohammed al-Dscholani, der inzwischen unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa auftritt, sprach bei einem Treffen mit britischen Diplomaten am Montag von der Notwendigkeit, «alle gegen Syrien verhängten Sanktionen aufzuheben, um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihr Land zu ermöglichen», wie seine Gruppe im Onlinedienst Telegram erklärte.
Demnach betonte al-Dscholani in dem Gespräch auch die Bedeutung der «Wiederherstellung von Beziehungen» zu London.
Seit dem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad durch islamistische Kämpfer bemühen sich westliche Staaten um Kontakte zu der neuen Führung in Syrien. Der britische Aussenminister David Lammy bestätigte am Montag, die Regierung in London habe «eine hochrangige Delegation für Gespräche mit den neuen syrischen Behörden und Mitgliedern der Zivilgesellschaft in Syrien nach Damaskus geschickt».
HTS-Chef kündigt Auflösung von Kämpfergruppen und Anschluss an Armee an
Der Chef der siegreichen Islamisten in Syrien hat die Auflösung der Kämpfergruppen und ihren Eintritt in die Armee der neuen Machthaber angekündigt. Die verschiedenen Fraktionen «werden aufgelöst und die Kämpfer für die Reihen des Verteidigungsministeriums ausgebildet, wobei alle dem Gesetz unterliegen», erklärte der Anführer der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), Ahmed al-Scharaa, der bislang unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dscholani auftrat, am Montag im Onlinedienst Telegram.
Er kündigte am Montag auch an, einen «Vertrag» zwischen dem Staat und Religionen schliessen zu wollen, um «soziale Gerechtigkeit» sicherzustellen. «Syrien muss geeint bleiben, und es muss einen Sozialvertrag zwischen dem Staat und allen Konfessionen geben, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten», erklärte der Islamisten-Chef bei einem Treffen mit Würdenträgern der Gemeinschaft der Drusen nach Angaben seiner von der HTS angeführten Koalition bei Telegram. Bei den Drusen handelt es sich um eine Gemeinschaft, deren Religion aus dem Islam hervorgegangen ist.
Moskau: Syrer sollen selbst über Zukunft ihres Landes bestimmen
Nach dem Umsturz in Syrien hat das russische Aussenministerium alle Kräfte in dem nahöstlichen Land zum Dialog aufgerufen. Es ist die zweite offizielle Erklärung des Ministeriums in Moskau binnen weniger Tage – und sie enthält eine Anerkennung der neuen Machtverhältnisse in Syrien. Die neue Führung wird aufgefordert, ihre Versprechen zu halten, für öffentliche Ordnung zu sorgen und interne Abrechnungen zu unterbinden. Die orthodox-christliche Minderheit müsse geschützt werden, heisst es.
Bislang war Russland neben dem Iran Schutzmacht des Gewaltherrschers Bashar al-Assad gewesen. Der Kreml wurde aber ebenso wie Assad vom raschen Vordringen der islamistischen Rebellen überrascht und flog ihn ins Exil nach Moskau aus, als die Hauptstadt Damaskus erobert wurde.
«Für Russland ist es wichtig, dass die Syrer selbst über die Zukunft Syriens bestimmen», schreibt das Aussenministerium. Diese positive Botschaft lässt sich zugleich als Mahnung an andere lesen, sich nicht in Syrien einzumischen. Für sich selbst formuliert Russland: «Wir sind überzeugt, dass die Beziehungen aus Freundschaft und gegenseitiger Achtung, die sich zwischen unseren Völkern über die Jahrzehnte ergeben haben, sich konstruktiv weiterentwickeln werden.»
Zur Frage von Verbleib oder Abzug der russischen Militärbasen in Syrien äusserte sich das Aussenministerium nicht. (DPA)
red/DPA/AFP
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