Mitarbeiter am LimitSwiss streicht jeden zehnten Flug – wegen des selbst verschuldeten Personalmangels
Das Kabinenpersonal der Swiss ist ausgelaugt und meldet sich öfter krank, um nicht fliegen zu müssen. Die Fluggesellschaft will die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun entlasten.
Wer am Samstag mit der Swiss von São Paulo in Brasilien in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires reisen wollte, hatte Pech: Die Fluggesellschaft liess die Passagiere sitzen. Da zu wenige Flugbegleiter zur Verfügung standen, konnte die Swiss auf dem Flug nur Güter transportieren. Dies berichtet der «Blick». Eine Woche zuvor musste derselbe Flug sogar ganz annulliert werden. Der Grund war auch damals: Ein zu grosser Teil des Kabinenpersonals meldete sich kurzfristig ab.
Das Personal ist überlastet, nun reagiert die Swiss und streicht ihren Flugplan zusammen: Im Sommerflugplan soll auf jeden zehnten Flug verzichtet werden. Dies berichtet der «Nebelspalter», der eine entsprechende interne Mitteilung zugespielt erhalten hatte, die auch dieser Zeitung vorliegt.
Kürzung um 10 Prozent
«Um die Personalsituation zu entlasten und den Flugplan zu stabilisieren, wurden im Sommerflugplan primär auf der Langstrecke Frequenzen und Flüge im Gesamtumfang von rund 10 Prozent der Produktion reduziert», heisst es in dem Schreiben.
Die Swiss selbst bestätigt die Flugplankürzung. Die angestrebte Entlastung des Kabinenpersonals sei aber nur ein Grund dafür, erklärt ein Sprecher. Weitere Gründe seien «für den Sommer erwartete operationelle Herausforderungen in der Luftfahrt»: Denn auch bei der Flugsicherung in Europa und bei Boden- und Flughafendienstleistern weltweit komme es zu Engpässen, nicht nur bei der Swiss. Hinzu komme weiterhin ein «Mehraufwand durch erforderliche Dokumentenkontrollen» an den Flughäfen.
Abgesagt werden vor allem Langstreckenflüge: So etwa einige Verbindungen nach New York, San Francisco, Los Angeles, Tokio, Bangkok, Dubai und Johannesburg. Auf der Kurzstrecke wird die Muttergesellschaft Lufthansa zwischen Juni und Oktober einen Teil der Flüge von Zürich nach München und Frankfurt vorübergehend übernehmen.
Absenzen mit weitreichenden Folgen
Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter müssen sich selber dispensieren, wenn sie sich nicht in der Lage sehen, in einem Notfall angemessen reagieren zu können. Das gilt auch dann, wenn sie übermüdet sind. In solchen Fällen müssen sie einen sogenannten Fatigue-Report ausfüllen.
Was in Südamerika genau passiert ist, bleibt unklar. Handelte es sich um eine Protestaktion von Teilen des Kabinenpersonals? Das suggerieren die Wortmeldungen in einer geschlossenen Facebook-Gruppe. Darin werden die kurzfristigen Abmeldungen teilweise gelobt. Nur so könne das Personal der Geschäftsleitung verdeutlichen, wie prekär die Arbeitsbedingungen seien.
Klar ist aber: Bereits ganz wenige Ausfälle beim Kabinenpersonal können dazu führen, dass ein Flugzeug nicht abheben kann. Im Flugzeug, das für die Südamerika-Strecke zum Einsatz kommt, müssen mindestens 11 Flugbegleiter arbeiten. Ansonsten darf es nicht fliegen. Die Swiss plant derzeit aber nur 13 Personen ein. Fallen drei Personen unterwegs aus, muss der Flug unter Umständen bereits abgesagt werden.
«Das Fatigue-Problem ist hausgemacht.»
Die Arbeitsbelastung fürs Kabinenpersonal gilt auf der Strecke von Zürich via Brasilien nach Argentinien und zurück als besonders hoch. Dies wegen der Zeitumstellung und der sehr knapp kalkulierten Ruhezeiten. Ähnliche Probleme – wenn auch nicht gleich stark ausgeprägt – gibt es aber auf vielen Strecken.
«Das Fatigue-Problem ist hausgemacht», sagt Jörg Berlinger, Sprecher der Gewerkschaft des Kabinenpersonals (Kapers). Da das Personal knapp ist, sind die Flugpläne vollgeplant. Die Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter müssen oft nach sehr kurzer Ruhezeit im selben Flugzeug wieder zurückreisen, in dem sie hingeflogen sind. Kurze Aufenthalte in der Fremde, die für viele den Reiz dieses ansonsten schlecht entlöhnten Berufs ausmachten, liegen wegen der strikten Arbeitspläne und wegen Corona-Restriktionen kaum noch drin.
Um den Start nach der Pandemie zu vereinfachen, kommen in der Kabine zudem derzeit weniger Leute zum Einsatz als früher. Die Flugzeuge sind überdies überdurchschnittlich gut ausgelastet. Entsprechend viel gibt es fürs Kabinenpersonal zu tun.
Viele Flugbegleiter laufen daher am Limit. Nachdem die Vorgesetzten sie in einer internen E-Mail kollektiv verdächtigt hatten, sich zu oft als flugunfähig auszugeben, platzte manchen der Kragen. Auf Einladung der Gewerkschaft kam es zu einer Aussprache. Seither tragen viele Crewmitglieder einen Pin mit dem Foto einer Zitrone auf dem Revers. Sie steht für die sprichwörtliche Zitrone, die nicht mehr weiter ausgepresst werden soll.
Die Geschäftsleitung der Swiss hat daraufhin Verbesserungen in Aussicht gestellt: Neu bleiben die Crews bei gewissen Langstreckenflügen wieder zwei Nächte statt einer in bestimmten Zieldestinationen, bevor sie zurückfliegen. Für Einsätze zu Randzeiten gibt es mehr Geld. Kapers-Sprecher Jörg Berlinger spricht von einer «spürbaren Verbesserung». Die Massnahmen lösten aber nicht alle Probleme.
Derzeit sind viele Angestellte konsterniert, da sie im Sommer keine Ferien beziehen dürfen: Die Swiss-Geschäftsleitung vertröstet sie auf den Spätherbst. Dies verschärfe das Problem mit Fatigue zusätzlich, sagt Berlinger. «Es muss möglich sein, Ferien zu beziehen – und zwar nicht nur zu wenigen Zeitpunkten, die dem Unternehmen passen.»
Gewerkschaftsvertreter kritisieren daher die Personalplanung der Swiss. Während der Pandemie hat die Swiss ein grosszügiges Programm zur Frühpensionierung ausgeschrieben. Viele ältere Mitarbeiter haben das Angebot angenommen.
Fast gleichzeitig führte die Geschäftsleitung eine Massenentlassung durch: Im Sommer verloren über 330 Flugbegleiter ihre Anstellung. «Wir haben die Swiss damals darauf hingewiesen, dass spätestens im Sommer 2022 ein Engpass droht», sagt Kapers-Sprecher Berlinger.
Die Swiss wolle «neue Cabin Crew Member im dreistelligen Bereich» einstellen, erklärte das Unternehmen. Seit April kehre an den Standorten Zürich und Genf über die Hälfte der ehemaligen Crew-Mitglieder zurück, die das Unternehmen zuvor entlassen hätten.
Trotz der angespannten Personalsituation habe die Geschäftsleitung der Swiss einen sehr ambitionierten Flugplan für den Sommer zusammengestellt, sagt Berlinger. Doch nun zeigt sich, dass dieser nicht umgesetzt werden kann.
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