Russland eskaliert GasstreitWarum ein russischer Gasstopp uns hart treffen würde
Putin stellt Lieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Das rückt Gas auch für Westeuropa als wichtigen Energieträger in den Fokus und wirft die Frage auf, was ein Totalausfall bedeuten würde.
Russland hat die nächste Eskalationsstufe gezündet. Präsident Wladimir Putin stellt die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Der Schritt zeigt auf, warum die EU und die Schweiz gerne lieber heute als morgen die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren wollen. Denn es geht bei weitem nicht nur um warme Wohnungen im Winter.
Wer in der Schweiz nicht mit Gas heizt, und das ist ein Grossteil der Schweizer Haushalte, kommt kaum je direkt mit Gas in Berührung. Indirekt hat Gas aber einen grossen Einfluss auf das Leben in der Schweiz und in Europa.
Das ist der Grund, warum Deutschland und andere Länder derart zögern, den Gashahn von sich aus zu schliessen und Russland damit Einnahmen zu verwehren.
Industrie würde abgestellt
Da gibt es einerseits die Abhängigkeit von Gas, das zum Heizen gebraucht wird. In der Schweiz ist die Versorgung im Notfall so gestaltet, dass Privatpersonen erst ganz am Ende kein Gas mehr geliefert bekommen sollen.
Das wirkt auf den ersten Blick beruhigend, frieren muss man erst, wenn gar nichts mehr geht. Doch blendet das ein grosses wirtschaftliches Problem aus. Viele Firmen müssten im schlimmsten Fall ihren Betrieb ganz oder teilweise einstellen.
Und das logischerweise nicht nur in der Schweiz, sondern in noch grösserem Masse in Europa. In der Stahlherstellung braucht es Gas, bei der Herstellung von Dünger, bei gewissen chemischen Arbeitsschritten ebenso. Die industrielle Fertigung ist zu einem Teil direkt von der Verfügbarkeit von Gas abhängig.
Fehlt das Gas, muss die Produktion von gewissen Produkten gedrosselt oder gar ganz gestoppt werden. Das Gas in diesen Prozessen zu ersetzen, ist kurzfristig meist nicht machbar. Dort, wo es möglich ist, wird es unweigerlich teuer. Entsprechend wären empfindliche wirtschaftliche Einbussen die Folge.
Bundesbank: Rezession bei sofortigem Energiestopp
Kein Wunder also, rechnet die Deutsche Bundesbank mit einer Rezession, wenn Putin den Gashahn zudreht. Die Bundesbank erklärte in ihrem jüngsten Monatsbericht vom Freitag, dass ein russischer Energiestopp das Bruttoinlandprodukt im Jahr 2022 um 5 Prozent senken würde.
Eine Rezession in Deutschland hätte nachhaltige negative Auswirkungen auf die Wirtschaft im ganzen EU-Raum und in der Schweiz.
2021 betrug der Anteil von Strom aus Gas in der EU 18 Prozent.
Ein Gasausfall würde zudem die Stromproduktion in Europa beeinträchtigen. Gerade Deutschland hat einen grossen Park an Gaskraftwerken. Zur Verdeutlichung: 2021 betrug der Anteil von Strom aus Gas in der EU 18 Prozent. Hinter Kernkraft ist Gas die zweitgrösste Stromquelle überhaupt. Solarstrom kam gerade mal auf 5 Prozent.
Nun ist der Betrieb dieser Gaskraftwerke in Europa nicht allein abhängig von russischem Gas, andere Bezugsquellen können angezapft werden. Die entscheidende Frage wird sein, ob diese in genügendem Masse vorhanden sind, teurer würde es in jedem Fall.
Deshalb arbeiten die EU und die Schweiz fieberhaft daran, Gas aus anderen Quellen zu erhalten. Namentlich Flüssiggas aus den USA oder Katar steht im Zentrum.
Enge Verflechtung im Stromnetz
Weil die Stromnetze in Europa stark miteinander verflochten sind, haben Ausfälle einzelner Kraftwerke immer eine Auswirkung auf das ganze System. Dabei geht es zuerst nicht um eine Mangellage, bei der uns unvermittelt der Strom ausgeht.
Aber die Strompreise würden weiter anziehen, das Stromnetz an sich würde noch instabiler, als es heute schon ist. Die Zahl der Eingriffe ins Stromnetz, um es stabil zu halten, hat in den letzten Jahren schon stark zugenommen – und das ist teuer.
Die Schweiz wäre also einerseits über die Verflechtung im Stromnetz, andererseits konkret über die Tatsache, dass fast 50 Prozent des Gases in der Schweiz aus Russland stammt, direkt von einem Energiestopp betroffen. Zudem treiben die erhöhten Energiepreise die Inflation an.
Erst mal beruhigende Voten
Klar ist, dass dies alles Extremszenarien sind und erst bei einer weiteren Eskalation überhaupt eintreffen könnten. Für den Moment trifft es nur Polen und Bulgarien. Die beiden Länder sind unterschiedlich exponiert. Polen beteuert, dass es relativ problemlos die Unabhängigkeit von russischem Gas schaffen könne, und das in kurzer Zeit, bei Bulgarien ist die Abhängigkeit grösser. In beiden Ländern sind Kohle und Öl als Energieträger wichtiger als Gas. In Bulgarien kommt zusätzlich Atomkraft als wichtige Energiequelle hinzu.
Exponenten von Regierungen und Gasversorgern in Europa beteuerten in der Vergangenheit und auch im Zuge der jetzigen Eskalation, dass man kurzfristig die Versorgung sicherstellen kann, auch wenn Russland Gaslieferungen an weitere Länder abstellen würde. Die Gasspeicher seien ausreichend gefüllt, um eine gewisse Zeit lang den Gasbedarf zu decken. Doch klar ist auch, dass ein längerer Lieferstopp nicht ohne Auswirkungen auf Europa wäre.
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