Interview zum UKW-EndeEinbruch der SRG-Quoten: «Wir rechnen damit, dass sich die Hörerzahlen wieder erholen»
Nach dem massiven Publikumsschwund bei den SRF-Radiosendern nimmt der zuständige SRG-Direktor Stellung. Er vergleicht die Umstellung auf DAB+ mit einem Winterreifenwechsel.
- Die SRG-Radiosender haben nach der UKW-Abschaltung einen Rückgang von fast 25 Prozent erlebt.
- Direktor Derighetti bleibt optimistisch und erwartet eine Erholung der Hörerzahlen.
- DAB+ bietet ein kostenloses und zugängliches Radiosignal in der Schweiz.
- Der technische Umstieg führt zu weniger Sendeanlagen und energieeffizienterem Betrieb.
Erste Daten zeigen, dass die Hörerzahlen bei den SRG-Radiosendern um fast ein Viertel eingebrochen sind, seit sie nur noch auf DAB+ und über Internet zu hören sind. Am 1. Januar 2025 hat die SRG den Empfang über UKW abgestellt. Dennoch sieht der Direktor Operationen der SRG, Marco Derighetti, keinen Grund zur Beunruhigung.
Im Interview erklärt Derighetti, warum der Umstieg auf den neuen Standard DAB+ für die SRG der richtige Schritt sei – und was es mit dem «Winterreifen-Effekt» auf sich hat.
Herr Derighetti, die SRG-Radiosender mussten laut vorläufigen Zahlen massive Hörerverluste hinnehmen, seitdem sie nur noch über DAB+ und Internet zu hören sind. Hat die SRG die Nutzung von UKW durch die Bevölkerung unterschätzt?
Ich glaube nicht, dass wir das unterschätzt haben. Zunächst einmal sind die aktuellen Zahlen nicht aussagekräftig. Es war zu erwarten, dass es vorübergehend einen Rückgang gibt, da nicht alle unsere Hörerinnen und Hörer vor der UKW-Abschaltung umgerüstet haben oder umrüsten konnten. Dieser Effekt war uns bewusst, und wir rechnen damit, dass sich die Hörerzahlen wieder erholen werden.
Aber der Einbruch ist massiv.
Die Zahlen sind einfach nicht belastbar. Das sage nicht ich, sondern die unabhängige Firma, welche die Hörerzahlen für die ganze Branche misst.
Umgekehrt haben die Privatradios zugelegt, die immer noch auf UKW senden.
Glauben Sie mir: Es ist einfach zu früh, um die Auswirkungen auf die Hörerzahlen einzuschätzen. Dafür brauchen wir mehr Daten. Wir planen, Ende April eine fundierte Analyse vorzunehmen, basierend auf den Zahlen der letzten drei Monate.
Aber müsste die SRG als Service-public-Anstalt nicht eigentlich der letzte Anbieter sein, der auf UKW verzichtet?
Im Gegenteil. In Norwegen war es der Service-public-Sender, der die Umstellung zuerst vorgenommen hat, und das aus gutem Grund. Wir als öffentliches und unabhängiges Medienhaus sind fürs Radio nicht auf die Werbefinanzierung angewiesen wie die Privaten. Es liegt in unserer Verantwortung, mit unseren Mitteln haushälterisch umzugehen und eine Vorreiterrolle einzunehmen.
«Ich halte es für den richtigen Schritt, die Umstellung jetzt voranzutreiben.»
War das der Grund, warum Sie entschieden haben, bereits jetzt auszusteigen, während die Privaten bis Ende 2026 auf UKW senden?
Der Bundesrat hat eine letzte Verlängerung gewährt, um den Abschaltprozess gut zu begleiten. Wir haben uns frühzeitig und im Austausch mit den privaten Radiostationen und Verbänden für den Ausstieg entschieden. Ich halte es für den richtigen Schritt, die Umstellung jetzt voranzutreiben, statt sie unnötig hinauszuzögern.
Die ehemalige Medienministerin Doris Leuthard sieht das anders. Sie bezeichnete die UKW-Abschaltung als voreilig: Es sei in Ordnung, UKW beizubehalten, bis Radio nur noch im Internet gehört werde.
Frau Leuthards Aussage stammt von 2021 und bezieht sich nicht auf die heutige Situation. Ich respektiere selbstverständlich ihre Meinung, aber ich sehe das natürlich anders. Die Einführung von DAB+ hatte das Ziel, ein Free-to-air-Angebot sicherzustellen …
… free to air?
… ein frei verfügbares Radiosignal, ohne dass zusätzliche Kosten wie ein Internetabonnement anfallen. Radio bleibt so für alle zugänglich, was gerade für den Service-public-Gedanken essenziell ist.
Aber nicht alle Tunnel sind umgerüstet, und viele Verkehrsnachrichten erreichen die Hörer noch nicht. Wann wird das gesamte Strassennetz abgedeckt sein?
Nach unseren Informationen ist das Strassennetz weitgehend abgedeckt. Ausserdem hat das Bundesamt für Strassen Mitte letzten Jahres mit dem Abbau der UKW-Infrastruktur in den Tunneln begonnen. Auch mit UKW werden also nicht mehr überall alle Verkehrsteilnehmer erreicht, dafür übernimmt jetzt DAB+. Man darf auch nicht vergessen: Radio ist nur ein ergänzendes Mittel für Verkehrsinformationen. Die Hauptinformationsquellen bleiben die Autobahn-Signalisierungssysteme.
Frankreich und Bayern nutzen UKW noch bis mindestens 2035. Ist es wirklich sinnvoll, dass die Schweiz zur DAB+-Insel wird?
Das mag auf den ersten Blick so wirken, aber wir haben bereits 2012 einen Zehnjahresplan für die Umstellung entwickelt. Frankreich hat erst letztes Jahr ein ähnliches Programm gestartet. Diese Länder werden irgendwann denselben Weg gehen, und ich sehe darin keinen Nachteil für die Schweiz.
«Wir haben die Bevölkerung über zehn Jahre hinweg auf diesen Wechsel vorbereitet.»
Viele kritisieren, dass durch die UKW-Abschaltung funktionierende Geräte zu Elektroschrott werden. Wie reagieren Sie darauf?
Alte Radios können ja auch umgerüstet und weiterverwendet werden. Aber ja: Jede technologische Umstellung bringt solche Herausforderungen mit sich. Die gute Nachricht ist, dass heute viel Wert auf Recycling gelegt wird. Viele Materialien aus alten Radios können wiederverwendet werden. Ausserdem spart DAB+ Energie: Wir haben 600 UKW-Sender ausgeschaltet, und mit deutlich weniger Sendern können wir eine grössere Vielfalt an Programmen ausstrahlen. Das ist effizienter.
Dennoch nutzen rund 30 Prozent der Hörer UKW zumindest gelegentlich, beispielsweise im Auto. Hat die SRG mit der Angabe von 10 Prozent «reinen» UKW-Nutzern nicht irreführend argumentiert?
Es stimmt, dass etwa 30 Prozent immer noch gelegentlich UKW nutzen, aber die Zahl von 10 Prozent ausschliesslich UKW-Hörenden zeigt auch, dass viele Menschen bereits auf DAB+ oder andere digitale Lösungen umgestiegen sind.
Trotzdem – als Service-public-Sender sollte die SRG doch eigentlich von allen gehört werden können. Ist es nicht problematisch, dass rund 10 Prozent der Bevölkerung jetzt gar kein SRG-Programm mehr empfangen können?
Wir haben die Bevölkerung über zehn Jahre hinweg auf diesen Wechsel vorbereitet und ihr ausreichend Zeit gegeben, sich umzustellen. Die Beratungswebsite DABplus.ch gibt Antworten auf alle Fragen. Wir hoffen, dass auch die letzten Hörer den Wechsel mitmachen, und wir setzen auf unsere Programme. Wir wollen die Menschen vor allem mit einem unverwechselbaren Angebot von uns überzeugen.
Unsere Berichterstattung über den Hörerschwund hat über 400 Reaktionen ausgelöst – überwiegend SRG-kritische. Haben Sie die Menschen vielleicht nicht ausreichend informiert?
Wir haben im Wochenschnitt etwa hundert Anfragen per Telefon oder Mail pro Tag erhalten, was deutlich weniger war als erwartet. Es gab auch keine grosse Spitze in der ersten Januarwoche, nachdem an Silvester die UKW-Sender verstummt waren. Mittlerweile liegt der Durchschnitt bei nur noch 50 Anfragen pro Tag – davon 90 Prozent nicht unbedingt kritische, sondern mit praktischen Fragen zur Umstellung.
Sie tönen tiefenentspannt. Der von Roger Schawinski prognostizierte «grösste Shitstorm», den die SRG «je erlebt hat», ist also nicht eingetroffen?
Hätten wir es schlecht gemacht, wären die Zahlen viel höher gewesen. Natürlich gibt es immer Menschen, die den Wechsel erst realisieren, wenn er sie direkt betrifft – das ist der Winterreifen-Effekt, wie ich es nenne.
Der Winterreifen-Effekt?
Man denkt an die Umstellung erst, wenn es notwendig wird – ähnlich wie bei Winterreifen, die man erst bei Schnee aufzieht. Aber wir haben keine grosse Protestwelle erlebt, und das spricht dafür, dass unsere Vorbereitung erfolgreich war.
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