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Buch «Die Sprachenräume der Schweiz»
Deutschschweizer Kinder haben einen geringeren Wortschatz – aber nur, bis sie elf sind

Des ecoliers lisent un livre lors de l'action "Le bruit des pages" pour une mobilisation publique en faveur de la lecture, de l'ecriture et du livre ce lundi 11 novembre 2019 dans la bibliotheque de l'ecole de l'etablissement primaire de Nyon Leman a Nyon. Tous les eleves, les enseignants, les membres des directions ou du personnel administratif du canton de Vaud, repesentant 100'000 livres, on ouvert un livre a 10h10 pour dix minutes de lecture. (KEYSTONE/Laurent Gillieron)
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Wenn Sie jemandem mit regem Interesse für die sprachlichen Verhältnisse in der Schweiz ein Geschenk machen wollen, ist das Buch «Sprachenräume der Schweiz» geradezu ideal. Es ist zwar nicht ganz billig, aber das wertet ein Geschenk ja bekanntlich auf. Und vor allem besticht es durch eine Qualität, die man selten findet, nämlich die Kombination aus akademischem Expertentum und inhaltlicher sowie sprachlicher Zugänglichkeit auch für Laien.

In «Sprachenräume der Schweiz» beschreiben Linguistinnen und Linguisten in relativ knappen, informativen Aufsätzen wichtige Sprachen unseres Landes. Ein Kapitel ist den Schweizerdeutschen Dialekten gewidmet, etwa ihrer Stellung innerhalb der deutschen Dialektlandschaft oder der Bedeutung, welche die Aussprachen des Verbes «schniie» oder «schneie» (schneien) für die Zuteilung einer Mundart zu einer bestimmten Dialektgruppe hat.

Man erfährt, dass Deutschschweizer Kinder beim Schreiben einen geringeren Wortschatz aufweisen als Hochdeutsch sprechende Kinder, aber nur bis zum Alter von elf Jahren. Dafür verknüpfen sie Sätze auf raffiniertere Weise, statt immer nur «und dann» zu schreiben.  Ausserdem schreiben sie fast immer korrekt «Hirsch» und «Kind» statt «Hiasch» und «Kint». Die Autorinnen und Autoren erläutern die phonetischen, lexikalischen und grammatikalischen Eigenschaften des sogenannten Schweizerhochdeutschen, also der Varietät, die erklingt, wenn Schweizerinnen und Schweizer Hochdeutsch sprechen.

Wer sich für die Geschichte des Rätoromanischen interessiert, wer wissen will, wie sich die Dialekte der Westschweiz – die verschiedenen Varietäten des Patois – voneinander unterscheiden oder welche italienischen Wörter man nur im Tessin verwendet, während sie in Italien fragende Blicke provozieren würden, etwa «nota» für «Schulnote» oder «mappetta» für «Sichtmäppchen»: Im Band, den die Sprachwissenschaftlerinnen Elvira Glaser und Barbara Sonnenhauser sowie der Linguist Johannes Kabatek herausgegeben haben, finden sich Antworten. 

Gibt es so etwas wie «Swiss English»?

Oder haben Sie sich jemals gefragt, was es eigentlich mit dem Dialekt auf sich hat, den man im Fürstentum Liechtenstein spricht? (Mir passiert es immer, wenn ich dort vorbeifahre.) Schweizerdeutsch, Vorarlbergisch, Österreichisch, ein Gemisch? Trotz seiner geringen Grösse zeichne sich Liechtenstein «durch eine erstaunliche dialektale Vielfalt aus», heisst es im Aufsatz von Karina Frick. 

Besonders verdienstvoll ist, dass das Buch nicht nur auf die vier Landessprachen eingeht, sondern auch auf andere Sprachen, die den linguistischen Alltag in der Schweiz prägen. Etwa Portugiesisch, das nach dem Englischen die am zweithäufigsten gesprochene Nichtlandessprache ist. Aber das im Unterschied zu Spanisch nur wenige Einheimische als Fremdsprache lernen.

Welche sogenannten Kontaktphänomene gibt es zwischen dem Italienischen und dem Spanischen, das die Angehörigen der zweiten Generation sprechen? Existiert ein «Swiss English» und falls ja, wodurch zeichnet es sich aus? Wie viele Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz nennen Niederländisch als ihre Hauptsprache, wie viele Rumänisch und wie viele Farsi? Und wie entwickelten sich die Sprachen der Schweizer Täufer in Nordamerika? 

Albanisch sowie das aus politischer Korrektheit Bosnisch-Kroatisch-Montenegrinisch-Serbisch genannte Idiom (früher Serbokroatisch) haben ihr eigenes Kapitel; ebenso Jiddisch, das zwar heute in der Schweiz nur noch selten gesprochen wird, aber auf eine lange Tradition zurückblickt.

Wie funktioniert die Gebärdensprache?

Anerkennenswert ist, dass auch der Gebärdensprache, oder besser: den verschiedenen in der Schweiz verwendeten Gebärdensprachen ein Kapitel gewidmet ist. Mit hochinteressanten Erläuterungen, nach welchen Prinzipien Gebärdensprachen überhaupt funktionieren. «Gebärdensprachen sind analog zu den besser bekannten Lautsprachen natürliche Sprachen und als solche voll entwickelte sprachliche Systeme», heisst es in der Einleitung.

Als Handbuch, das den Weg unseres Landes von der viersprachigen zur vielsprachigen Schweiz nachzeichnet und analysiert, ist «Sprachenräume der Schweiz» zweifellos ein Glücksfall.

Elvira Glaser, Johannes Kabatek, Barbara Sonnenhauser (Hrsg.): Sprachenräume der Schweiz. Narr Francke Attempto, 498 Seiten, 101.40 Fr.