Sozialliberaler Flügel der SPDaniel Jositsch geht in die Offensive gegen eigene Parteispitze: «Man will die SP auf Linkskurs trimmen»
Der Ständerat übernimmt die Leitung der SP-Reformplattform. Auf seine Kritik kontert Co-Chef Wermuth: Jositsch solle an die Sitzungen kommen, um sich einzubringen.
- Daniel Jositsch übernimmt das Präsidium der Reformplattform der SP.
- Er kritisiert den Linksdrall der Parteispitze und fordert mehr Breite.
- Zentrale Themen sind die Asylpolitik, EU-Positionen und die Juso-Initiative.
- Co-Präsident Wermuth kontert, Jositsch solle sich stärker einbringen.
Es war lange still um die sogenannte Reformplattform der SP. Während die Spitze der Partei um das Co-Präsidium von Cédric Wermuth und Mattea Meyer seit ihrer Wahl 2020 einen klaren Linkskurs eingeschlagen hat, war von den sozialliberalen Kräften nicht viel zu hören.
Das soll sich nun ändern.
Am Freitag hat ein bekannter Politiker das Präsidium des Vereins Reformplattform übernommen: Daniel Jositsch, Zürcher Ständerat, gescheiterter Bundesratskandidat. Der Rechtsprofessor sagt, er wolle die Organisation inner- und ausserhalb der SP wieder sichtbarer machen: «Man will die SP immer stärker auf einen Linkskurs trimmen. Wir finden, dass sich auch die sozialliberalen Kräfte Gehör verschaffen müssen.» Wenn die SP die zweitgrösste Partei bleiben wolle, müsse sie inhaltliche Breite aufweisen.
Jositsch hat in den letzten Tagen und Wochen mehrfach Kritik am aktuellen Kurs der SP geübt: Die Parteispitze sei zu wenig kritisch gegenüber den Juso, welche die antiisraelische BDS-Bewegung unterstützten, und zu wenig kritisch gegenüber dem Palästinenserhilfswerk UNRWA. (Am Freitag forderte die Juso Kanton Zürich deswegen den Rücktritt und Parteiaustritt des Ständerats.)
«Die Gewerkschaften richten viel Schaden an»
Und: «Im Europadossier müsste sich die SP stärker gegenüber den Gewerkschaften abgrenzen», sagt Jositsch. Die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU müssten unter allen Umständen unterstützt werden; stattdessen überlasse die SP heute den Gewerkschaften das Wort, die vor allem auf ihre Vorbehalte fokussierten. «Ich glaube, die Gewerkschaften richten im Moment viel Schaden an», sagt Jositsch. «Wie wollen Sie rund um das EU-Paket in eine positive Rhetorik kommen, wenn Sie es zuvor ständig zerreden?»
Die Liste der Themen, in denen Jositsch eine Kurskorrektur fordert, liesse sich verlängern, von der Sicherheitspolitik («Die Armee braucht die notwendigen Mittel») bis zur Asylpolitik («Wenn die Leute Ihnen von Problemen erzählen, und Sie sagen dann, das seien keine Probleme, dann werden Sie nicht gewählt. Punkt.»).
Schliesslich ärgert Jositsch auch die Haltung der SP bei der Juso-Volksinitiative, die Vermögen von über 50 Millionen Franken mit 50 Prozent Steuern belegen will. Die Schweiz zeichne sich durch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus: «Wenn man eine Neidkultur bewirtschaftet, schadet das unserer Kultur und letztlich auch unserem Wohlstand.» Das Geld der meisten Vermögenden stecke in ihren Firmen. «Eine solche Juso-Steuer bezahlen zu müssen, brächte Unternehmerinnen und Unternehmer in Nöte.» Die Reformplattform hat an einer Mitgliederversammlung am Freitag die Nein-Parole zur Juso-Initiative beschlossen.
Die Frage drängt sich auf: Wie breit ist diese Kritik in der Partei abgestützt? Wird die Reformplattform nun zur One-Man-Show von Jositsch?
«Wir sollten die Wirtschaft nicht bashen»
Zur Juso-Initiative haben sich zwar auch andere nationale Exponentinnen der Partei geäussert, etwa die Aargauerin Gabriela Suter oder die Solothurnerin Franziska Roth. Aber in vielen Fällen steht Jositsch allein da. Im Vorstand der Plattform, die rund 800 Mitglieder hat, ist er die einzige Figur mit nationaler Bekanntheit.
Das war nicht immer so: Als sich der sozialliberale Flügel der SP 2016 erstmals zu einer Gruppe innerhalb der Partei zusammenfand, waren Köpfe wie die Aargauer Alt-Ständerätin Pascale Bruderer, die damalige Berner Nationalrätin Evi Allemann und der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr beteiligt. Bruderer ist inzwischen aus der Politik ausgestiegen. Allemann wechselte 2018 in den Berner Regierungsrat. Seither engagiere sie sich nicht mehr in parteiinternen Gremien, schreibt sie auf Anfrage. Erich Fehr tritt als Stadtpräsident ab, und sein Amt als Präsident der Reformplattform hat er nun an Jositsch weitergegeben.
Eine Alliierte auf nationaler Ebene hat Jositsch indes: Die neue Nationalrätin Andrea Zryd ist Reformplattform-Mitglied, wie sie auf Anfrage bestätigt. «Ich komme aus dem Sport», sagt die Berner Oberländerin, «da muss man manchmal pragmatisch sein, um ans Ziel zu kommen.» Sie wünsche sich eine offene SP, die fähig sei, mit anderen Parteien Allianzen zu schliessen. So oder so: «Wir brauchen die Unternehmen. Sie schaffen Arbeitsplätze, zahlen Löhne und Steuern. Deshalb sollten wir die Wirtschaft nicht bashen.»
Eine Reihe anderer SP-Politikerinnen und -Politiker lassen Anfragen zur Rolle der Reformplattform in der Partei unbeantwortet. Dazu gibt es mehrere Lesarten: Wo Jositsch am Steuer sitzt, wird es zu kontrovers, ist eine davon.
Eine zweite kommt vom Betroffenen selbst: «Ich weiss aus Gesprächen mit nationalen und kantonalen Parlamentariern, dass manche gern mitarbeiten würden», sagt Jositsch. «Aber sie haben Angst, dass sie damit in der Partei – sagen wir mal – keinen Vorteil haben.» Ein Beispiel will der Ständerat nicht nennen, stattdessen führt er als Beweis sich selbst an. Im Rahmen seiner Bundesratskandidatur habe er ein Gespräch mit einer SP-Kommission geführt, die ihn auf mögliche politische Angriffspunkte durchleuchtete. «Der Termin dauerte 45 Minuten, die Hälfte der Zeit ging es um meine Mitgliedschaft bei der Reformplattform.»
Am Parteitag wurde Jositsch nicht gesehen
Die Kritik Jositschs richtet sich auch ans heutige Co-Präsidium der Partei, die beide politische Wurzeln in der Juso haben. Cédric Wermuth hört sie sich an, um dann sogleich zu kontern: «Ich nehme Daniel Jositsch und seine Positionen eigentlich als sehr präsent wahr, gerade in den Medien.» Auch dank der Parteispitze sei die Reformplattform im Parteirat vertreten, einem SP-Führungsgremium, das sich viermal im Jahr trifft. «Daniel Jositsch müsste an diese Sitzungen einfach auch kommen, um sich einzubringen.» Am jüngsten Parteitag in Davos sei er nicht gesehen worden.
Mit dem Vorwurf, Andersdenkende würden in der Partei marginalisiert, kann Wermuth nichts anfangen: «Bei uns haben verschiedene Haltungen Platz, gerade auch jene von Jositsch.» Der Zürcher Ständerat trete zum Beispiel stark für die Armee ein, vertrete bei der Wiederausfuhr von Waffen an die Ukraine aber eine verhältnismässig strikte Linie – «das führt zu sich ändernden Allianzen, und das ist völlig normal.»
Inhaltlich verteidigt der Co-Präsident sowohl die Juso-Initiative («bringt Nachhaltigkeit und Finanzpolitik zusammen») als auch die Gewerkschaften in der Europafrage («wehren sich zu Recht für den Lohnschutz»).
Und bei aller Offenheit Richtung politische Mitte: Die SP bleibe erfolgreich eine linke Partei, sagt Wermuth: «Am Ende muss ich auch auf die Zahlen verweisen.» Bei den letzten nationalen Wahlen legte die Partei um eineinhalb Prozent zu. Unter Christian Levrat, dem Vorgänger von Wermuth und Meyer, hatten die Sozialdemokraten Wähleranteile verloren.
«Anspruchsvoll, Richtung Mitte Stimmen zu gewinnen»
In die Mitte oder nach links? Politologe Reto Mitteregger von der Universität Zürich war Teil eines Teams, das sich genau diese Frage näher angeschaut hat. Er sagt, das Wählerpotenzial der SP liege vor allem im linksprogressiven Lager. Die Analysen zeigten, dass es für die SP anspruchsvoll sei, Richtung politische Mitte Stimmen zu gewinnen: «Linksprogressive Positionen sind bei den momentanen und bei den potenziellen Wählerinnen und Wählern der SP klar am beliebtesten.» Hinzu komme ein Abwanderungsrisiko: Weil die Grünen in der Schweiz ein sehr ähnliches Profil hätten, bestehe die Gefahr, das man bei einem eingemitteten Kurs weniger gewinne, als man an die ebenfalls klar links positionierten Grünen verliere.
Mitteregger hängt sogleich ein «aber» an: Diese Faustregeln gälten vor allem für Proporzwahlen – also Nationalrats- oder Kantonsratswahlen. Wenn es um Personenwahlen gehe, etwa für den Ständerat oder für kantonale Regierungen, dann müssten Kandidierende meist breitere Koalitionen hinter sich scharen. Und damit sei etwa Daniel Jositsch bekanntlich sehr erfolgreich, da er Stimmen bis ins rechte Lager holen könne. Dieser Umstand sei für alle Polparteien konfliktreich, zum Beispiel auch für die SVP. «Aber: Mittelfristig zahlt sich für diese Parteien ein Ausgleich zwischen ‹wählbaren› Personen und klarem politischem Profil in Parlamentswahlen am meisten aus.»
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